von Peter Petras
In der Nacht vom 22. zum 23. Juli 2018 hat die israelische Armee eine größere Gruppe der sogenannten Weißhelme und ihrer Angehörigen aus dem grenznahen Gebiet Syriens evakuiert und über die israelische Grenze nach Jordanien gebracht. BILD tönte, die Zeitung werde „exklusiv“ von „vor Ort“ berichten, und meldete 800 Evakuierte. Das war jedoch die von Jordanien genehmigte Personenzahl, die von Agenturen vermeldet worden war, während die tatsächliche Anzahl 422 betrug. Andere hatten es angesichts des Vorrückens der syrischen Armee und der Kampfhandlungen auf immer engerem Raum nicht zu den Sammelpunkten geschafft.
Die Aktion war offenbar am Rande der NATO-Tagung am 11. und 12. Juli in Brüssel verabredet worden. Jedenfalls hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mitgeteilt, er sei von USA-Präsident Donald Trump, den Regierungschefs von Kanada, Großbritannien und anderen um Hilfestellung gebeten worden. Israel selbst nimmt Flüchtlinge aus Syrien und anderen arabischen Ländern grundsätzlich nicht auf – man hat genug missliebige Araber im Land, das per Gesetz seit dem 18. Juli als „jüdischer Nationalstaat“ definiert ist. Die USA nehmen ohnehin kaum syrische Flüchtlinge auf, von Januar bis April 2018 waren es elf. Die evakuierten Weißhelme werden also in verschiedene andere NATO-Staaten durchgereicht. Kanada hat sich zur Übernahme von 50 Weißhelmen, mit Familienangehörigen etwa 250 Personen verpflichtet, Deutschland übernimmt acht, insgesamt 47 Menschen.
In der Presseerklärung des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums dazu gibt es einen Bezug auf Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Darin heißt es, einem Ausländer könne „aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“, wenn, ja „wenn das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt hat“. Eine solche Aufenthaltserlaubnis enthält zudem ein Privileg: Sie erlaubt die sofortige Ausübung einer Erwerbstätigkeit – was tausenden Asylbewerbern in den Wartehallen des Zuwanderungssystems grundsätzlich verwehrt ist. Fragt sich also: Worin liegt das spezifische politische Interesse, das die Bundesregierung in Ansatz bringt?
Der Legende nach geht es um humanitäre Helfer. In Bayern gibt es die Auszeichnung „Weißer Engel“ für besondere Verdienste in der Gesundheits- oder Krankenpflege. Der Weiße Helm suggeriert Ähnliches. In den Medien finden sich meist Verweise auf im syrischen Krieg insgesamt durch Weißhelme gerettete 80.000 oder 90.000 Menschen. Auf der Webseite des Bundesaußenministeriums wurde die Zahl auf 100.000 aufgerundet. Das klingt gewichtiger. Gegründet wurde die Organisation 2012, Pate stand die britische Regierung, nicht nur mit Geld. Ein früherer Armeeoffizier, der zeitweilig auch für private Sicherheitsdienste und die UNO tätig war, wurde als Entwicklungshelfer eingesetzt und kümmerte sich um Ausbildung und Ausrüstung der Weißhelme. Weitere Gelder kamen aus den USA, Kanada und anderen Ländern. Als die Trump-Regierung im Frühjahr 2018 den Mittelfluss aus Gründen der „Prüfung“ kurzzeitig unterbrach, sprangen flugs die Türkei und Katar ein. Deutschland steuerte allein in den Haushaltsjahren 2016 und 2017 zwölf Millionen Euro bei.
In westlichen Medien wurden die Weißhelme stets als Helden des syrischen Krieges gefeiert. 2016 wurde lanciert, sie seien des Friedensnobelpreises würdig. Wenigstens erhielt die Organisation den „Alternativen Nobelpreis“. Ole von Uexküll, Direktor der verleihenden Stiftung, nannte deren Arbeit „beispielhaft“ und „beeindruckend“. Der Chef der Weißhelme, Raed Saleh, freute sich über „eine internationale Anerkennung für freiwillige Rettungshelfer auf der ganzen Welt“.
Die Organisation war jedoch von Anfang an umstritten. Zunächst einmal agierte sie stets nur in Gebieten, die von Islamisten oder den gegen die Assad-Regierung kämpfenden Truppen beherrscht waren. Die syrische Regierung sprach deshalb von einem Ableger der Terrororganisation Al-Qaida. Roger Waters, bekannt als Sänger der Band Pink Floyd, nannte während eines Konzerts im April 2017 in Barcelona die Weißhelme „eine Fake Organisation“, deren Hauptaufgabe es sei, Propaganda für Dschihadisten und Terroristen zu machen. Tatsächlich hatten die Weißhelme mindestens dreimal die allgemeines Entsetzen auslösenden Bilder geliefert, die die Regierungen der USA und anderer NATO-Staaten zum Vorwand nahmen, um Ziele in Syrien zu bombardieren. Der berühmte US-amerikanische Journalist Seymour Hersh, der Kriegsverbrechen der USA 1969 in Vietnam und 2004 in Irak publik gemacht hatte, sagte im Juli 2018 zu den von den Weißhelmen offerierten Bildern: „Zu oft haben wir das gleiche Kind auf Fotos gesehen, Jahr für Jahr, immer mit Staub bedeckt.“ Es sei offensichtlich, dass die Weißhelme sich „in Anti-Assad-Aktivitäten engagieren“. 2013, als ein chemischer Angriff aus Syrien gemeldet wurde, verfügte die syrische Armee über „ausgeklügeltere chemische Waffen“, während die Türkei und Saudi-Arabien der islamistischen Al Nusra-Front nach Syrien Chemikalien geliefert hatten, aus denen man durch einfaches Zusammenmischen einen Kampfstoff machen konnte, der im Jargon „Küchen-Sarin“ genannt wurde. Der Geheimdienst der USA wusste das. Insofern gab es zwei Verdächtige, die Obama-Regierung sprach aber immer nur über einen: die syrische Regierung. Und diesem Drehbuch folgte man bei späteren Chemiewaffenvorkommnissen in Syrien mit steter Regelmäßigkeit. Auch Günter Meyer, Leiter des Forschungszentrums zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, sagte in einem Interview gegenüber der ARD, Hauptziel der Weißhelme sei es, solche Dinge zu inszenieren und propagandistisch gegen das Assad-Regime einzusetzen.
Die syrische Regierung nannte die jetzt vollzogene Evakuierung der Weißhelme eine „Aggression gegen Syrien“, auch von deutscher Seite. Der Großmufti von Syrien, Ahmad Badr ad-Din Hassun, betonte: „Diese Menschen sind keine Flüchtlinge. Sie sind Kriegsverbrecher. […] Alle diese Menschen sind sehr gut gebildet. Unter ihnen gibt es viele Chemiker. Unter dem Deckmantel humanitärer Missionen haben sie sich damit beschäftigt, chemische Substanzen gegen Zivilisten einzusetzen. Wir wollen fragen, warum sie aus Syrien fliehen, warum sie nicht in die syrische Gesellschaft zurückkehren wollen.“
Die Bilder der Weißhelme, insbesondere von angeblichen oder tatsächlichen Chemiewaffeneinsätzen dienten der Begründung und der Rechtfertigung einer bestimmten Politik des Westens gegen die Assad-Regierung. Nicht zufällig fielen die Gründung der Weißhelme und die Gründung der „Freunde Syriens“, jenes Zusammenschlusses westlicher und reaktionärer arabischer Staaten mit syrischen Oppositionsgruppen zum Zwecke des Sturzes von Assad und seiner Regierung, gleichermaßen auf das Jahr 2012. Es war die Regime-Change-Politik der Regierungen von George Bush jun. und Barack Obama, die in die Tat umgesetzt werden sollte. Die Fraktion Die Linke hatte kürzlich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Weißhelme in Syrien“ gerichtet und unter anderem gefragt, welche Erkenntnisse sie darüber habe, dass Mitglieder der Weißhelme „aktive oder ehemalige Mitglieder extremistischer Gruppen“ seien oder mit diesen sympathisierten. Die Bundesregierung antwortete am 28. Juni 2018 auf die Kleine Anfrage, eine Antwort auf diese spezielle Frage jedoch „aus Gründen des Staatswohls“ verweigert. Man weiß offenbar mehr.
Die Bitte Trumps an Israel, die Weißhelme aus der Schusslinie zu holen, ist dem Wesen nach Ausdruck dessen, dass seine Regierung den Regime Change in Syrien überhaupt oder zumindest für die nächste Zeit aufgegeben hat. Im Gegensatz zur Sowjetunion, die „ihre Leute“ in der DDR nach 1990 ihrem Schicksal vor den BRD-Gerichten überlassen hat, haben die USA am Ende des Vietnamkrieges „ihre Leute“ rausgeholt, unmittelbar nach 1975 etwa 130.000 Südvietnamesen. Jetzt also die Weißhelme aus Syrien. Wahrscheinlich auch, wie manche Beobachter meinen, weil sie „zu viel wissen“. Was wiederum die Bundesregierung ihrer Bevölkerung vorenthalten will.