21. Jahrgang | Nummer 15 | 16. Juli 2018

Antworten

Bov Bjerg, unspektakulär spektakulärer Preisträger – Viele Berliner kennen Sie noch von der Lesebühne, die Sie 1989 mit Horst Evers und Manfred Maurenbrecher gegründet haben, aber inzwischen sind Sie dank Ihres Bestsellers „Auerhaus“ auch einem breiten Publikum bekannt. Nicht zuletzt war im Blättchen schon der ein oder andere Ihrer Texte zu finden. Umso mehr haben wir uns gefreut, dass Sie zu den diesjährigen „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt eingeladen worden sind und für Ihren Text „Serpentinen“ den Deutschlandfunk-Preis gewonnen haben, somit den 2. Preis des Wettbewerbs nach dem Ingeborg-Bachmann-Preis.
In „Serpentinen“ schildern Sie auf Ihre unnachahmliche Art Episoden aus dem Leben des Ich-Erzählers Höppner und dessen siebenjährigen Sohnes. Jury-Vertreter Klaus Kastberger, der Sie nach Klagenfurt geholt hat, bezeichnet den Text als „dicht und beziehungsreich, schwer und leicht zugleich [und] sprachlich brillant“ und attestiert ihm „Humor, den man nicht zu erklären braucht“. Und laut Juri Mitglied Insa Wilke ist „Serpetinen“ „ein spektakulär unspektakulärer Text oder anders gesagt ein unspektakulär spektakulärer Text“.
Wir fassen uns kürzer: „Serpentinen“ ist bewegend und hallt lange nach.
Wir gratulieren ganz herzlich.

Edward Snowden, Amerikas Staatsfeind Nr. 1 – Dass wir Ihrer Tat und Ihrem persönlichen Mut Hochachtung zollen, wollen und werden wir auch künftig nicht verhehlen! Jetzt gaben Sie der Süddeutschen Zeitung am Ort Ihres erzwungenen Exils, in Moskau, ein langes Interview. Darin fanden wir viel Bedenkens- und Bemerkenswertes.
So hatten Sie ein Sedativum für die ob Trumps Idee, man könne bei fortgesetzter Renitenz Berlins in Sachen Rüstungsausgaben die US-Truppen aus Deutschland ja auch abziehen, hektisch aufgescheuchten Hühner hierzulande: „Aber mal ehrlich: Selbst wenn Deutschland mir und zehn anderen Whistleblowern Asyl gewähren würde, und selbst wenn alle von der CIA kämen, hätte das keine wirklichen Konsequenzen. Deutschland ist für die Vereinigten Staaten ein zu wichtiger Partner. Auf deutschem Boden befindet sich der für Europa zentrale Horchposten. Der deutsche Geheimdienst hat wichtige Anti-Terror-Einsätze durchgeführt, außerdem arbeitet er Hand in Hand mit den amerikanischen Diensten, auch in Kriegsgebieten. Deutschland erlaubt uns ja sogar, in Ramstein eine Drohnenzentrale zu unterhalten.“
Auch über Angela Merkel haben Sie sich Gedanken gemacht: „Sie ist […] die Führerin Europas und kann neue Verhaltensnormen durchsetzen. Das ist eine Chance zur Veränderung. Vielleicht sehen wir nie wieder eine solche Gelegenheit in unserem Leben. Es ist doch so: Wenn morgen ein russischer Whistleblower, sagen wir jemand aus der Putin-Regierung, bei Frau Merkel anklopfen würde, sie würde ihn adoptieren. Aber wenn ein US-Whistleblower vor Merkels Haustür auftaucht, ist diese Frage nicht beantwortet. Merkels Haltung der vergangenen fünf Jahre jedenfalls ist eine Enttäuschung […]“.
Und obwohl Sie „Putin nur durch seine Politik [kennen], und mit der […] definitiv nicht einverstanden“ seien, äußerten Sie: „Wir haben heute viel über Russland gesprochen, über die Enttäuschungen und Herausforderungen. Aber was sagt es über unsere Welt, wenn der einzige Ort, an dem ein amerikanischer Whistleblower sicher sein kann, ausgerechnet Russland ist?“
Wir sehen Ihrem nächsten Interview mit anhaltendem Interesse entgegen. Oder gern auch einem Beitrag direkt fürs Blättchen …

Feridan Zaimoglu, Schriftsteller und „harter“ Eröffnungsredner – Eine „harte Rede“ hatten Sie zum Auftakt des Wettlesens um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt angekündigt. In der Tat redeten Sie einigen Ihrer Berufskollegen mutig ins Gewissen: „Es hilft nichts, den Rechten edle Motive zu unterstellen, wie es mancher Feuilletonist tut. Es geht ihnen einzig und allein um die Fremdenabwehr, die Vaterländerei ist ihre Phrase der Stunde. […] Der Rechte ist kein Systemkritiker, kein Abweichler und kein Dissident, er ist vor allem kein besorgter Bürger. Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt. Wer für das Recht der Armen streitet, ist ein Menschenfreund. Punkt. Es gibt keinen redlichen rechten Intellektuellen. Es gibt keinen redlichen rechten Schriftsteller.“
Das gehörte wohl ins Stammbuch so manches Unterzeichners von Vera Lengsfelds „Gemeinsamer Erklärung 2018“, der offenbar nicht wusste, mit wem er sich da „solidarisierte“.
Egal, ob Sie deren Gewissen gerührt haben:
Hochachtung!

Thea Dorn, Mutter der Nation in spe? – Wenn Sie sehen, „wie die Herrschaften von der AfD den Begriff des Deutschen für sich vereinnahmen und das Thema Nation dumpfbügeln, dann freut“ Sie „das ganz und gar nicht“. Da sind wir noch ganz bei Ihnen. Wenn Sie im selben Kontext allerdings fragen: „Ist das Heroische neuerdings schlimm?“, um anschließend zu bekennen, Sie müssten „oft an den Schiller-Satz denken: ‚Das Leben ist der Güter höchstes nicht.‘“, dann kommen uns doch erste Zweifel. Die sich verstärken, wenn Sie auf die Frage eines Interviewers („Können Sie mir kurz erklären, was deutsch ist?“) erst abwiegeln („[…] niemals darf man sich auf dieses Glatteis führen lassen! Es gibt Begriffe, die kann man nicht kurz erklären.“), um es dann ganz kurz zu machen: „Von der Matthäus-Passion über die Wanderlust bis zur Ordnungsliebe haben wir es mit einem komplizierten Netz verwandter Phänomene zu tun.“
Das mit den verwandten Phänomenen hätten wir im Übrigen gern etwas genauer gewusst, weil man, wie ein prominenter Linker, als er noch in der SPD war, mal festgestellt hat, mit Sekundärtugenden auch ein KZ leiten könne.
Leider hat der Interviewer nicht nachgebohrt, Sie aber dafür an anderer Stelle zu einem weiteren hübschen Ausweichmanöver provoziert. Auf seine Frage, ob Sie glaubten, dass der Islam zu Deutschland gehöre, replizierten Sie: „Ich glaube, Martin Walser hat einmal gesagt: Es gibt Sätze, die sind so falsch, dass noch nicht mal ihr Gegenteil wahr ist.“
Nun ist wahr zwar nicht das klassische Gegenteil von falsch, aber vielleicht haben wir Sie trotzdem richtig verstanden – etwa unter Zugrundlegung folgender Definition: „Höherer Blödsinn ist nicht nur, wenn man am Ende trotzdem lacht, sondern auch nicht mehr weiß warum.“

Leander Haußmann (59), hält sich für zu alt für die Intendanz der Berliner Volksbühne – Auf die Frage, warum es überhaupt so schwer sei, einen Intendanten für die Volksbühne zu finden oder sich auch nur über die Funktion und Struktur dieses Kulturveranstaltungsortes zu einigen, antworteten Sie dieser Tage: „Natürlich hat jetzt jeder eine Meinung, das macht es leider auch zur Stunde der Dilettanten. Das erinnert mich sehr an die Wendezeit. Da haben sich auch viele ahnungslose Wichtigtuer an die runden Tische geschummelt und sind dann oft übrig geblieben.“
Wir können Ihnen da nicht widersprechen, und der Volksmund meint ja sowieso: „Es ändert sich alles, wie es war.“

Manfred Quiring, früher Mitteiler aus, heute über Moskau – Am 12. Oktober 1984 ließen Sie die Leser der Berliner Zeitung, deren Korrespondent in der sowjetischen Hauptstadt Sie damals waren, gleich auf Seite eins wahrlich Weltbewegendes wissen:
„Zur Teilnahme am ‚Berlin-Tag‘, der im Rahmen der ‚Tage der Kultur der DDR in der UdSSR‘ heute in der sowjetischen Hauptstadt stattfindet, traf gestern in Moskau eine Delegation unter Leitung des Mitglieds des Politbüros und Sekretärs des Zentralkomitees der SED Konrad Naumann, 1. Sekretär der Bezirksleitung Berlin der SED, ein. Der Abordnung gehören Oberbürgermeister Erhard Krack, Mitglied des Zentralkomitees der SED, sowie Ellen Brombacher, Sekretär der Bezirksleitung Berlin der SED, an. Am Ankunftstag traf Genosse Konrad Naumann zu einem Gespräch mit Viktor Grischin, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU und 1. Sekretär des Stadtkomitees Moskau, zusammen. Viktor Grischin würdigte in herzlichen Worten die großen Errungenschaften der DDR, die der erste deutsche Staat in den 35 Jahren seiner Existenz erreicht hat. Darin nehmen die vielfältigen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Kommunisten und allen Werktätigen der Hauptstädte Moskau und Berlin einen würdigen Platz ein. Konrad Naumann hob die große Einmütigkeit der deutsch-sowjetischen Freundschaft hervor, wie sie in den Reden Erich Honeckers und Andrei Gromykos anläßlich der Festveranstaltung zum 35. Jahrestag der DDR in Berlin zum Ausdruck kam.“
Die Frage, durch welche Brille dies betrachtet war, muss sicher nicht gestellt werden. Zumal Sie das Sehgerät offensichtlich in der Zwischenzeit gründlich gewechselt haben, denn dieser Tage ließen Sie die Leser eines von uns ansonsten durchaus geschätzten Monatsmagazins wissen, dass Putin „den Zerfall der Sowjetunion […] rückgängig machen [würde], wenn er denn könnte“. Das sei „die ureigene Agenda der Moskauer Führung, auf die der Westen nur in dem Maße Einfluss nehmen kann, indem er auf diese Wünsche eingeht. Und das sollte er tunlichst vermeiden.“
Das zeigt einmal mehr, dass ein Wechseln des Binokels nicht a priori ein Plus an Sehschärfe bedeutet. Von der Wahrnehmungsschärfe ganz zu schweigen.

Boris Johnson, Ex-Außenminister Ihrer Majestät – Sie haben nunmehr den Dienst quittiert, was zu den wenigen erfreulichen Nachrichten dieser Tage und Wochen gehört. Es war uns, so sorry, leider nie gelungen, Sie als seriösen Politiker anzusehen; Ängstlichkeit vor dem, was Sie anzurichten vermögen, hatten Sie hingegen allemal ausgelöst. Nun haben Sie ja vielleicht Zeit, persönlich die Täterschaft Moskaus am Nowitschok-Anschlag auf die Skripals nachzuweisen. Die Ihrerseits seinerzeit umgehende Schuldzuweisung samt diplomatischer Strafmaßnahmen könnten dann ja vielleicht nachträglich Berechtigung erlangen. Aber womöglich kommen Sie gar nicht dazu, weil Sie damit beschäftigt sind, sich als May-Nachfolger in Stellung zu bringen – Grundgütiger …

Gavin Williamson, UK-Verteidigungsminister – Sie wissen die beweislose Bezichtigungsstrategie Ihrer Regierung nahtlos fortzusetzen. Analog zur seinerzeitigen Anklage Moskaus in Sachen Anschlag auf die Skripals, für die bis heute keinerlei Belege vorgelegt wurden, waren Sie bei der neuerlichen Nowitschok-Vergiftung nahe Salisbury, diesmal nun auch mit einem Todesopfer, umgehend mit einer Schuldzuweisung an denselben Adressaten zur Hand. „Die einfache Realität ist, dass Russland einen Anschlag auf britischem Boden verübt hat, der zum Tod einer britischen Bürgerin geführt hat“, ließen Sie im Londoner Unterhaus wissen und fügten den an Unverschämtheit nicht zu überbietenden Satz an: „Ich glaube, dass die Welt darin mit uns übereinstimmt und es verurteilt.“
Das hat so etwa das Niveau und die „Überzeugungskraft“ von Hitlers Diktum, dass die Juden an allem schuld seien und dass dies ja auch alle Welt wisse.
Ist der Ruf erst ruiniert, lügt es sich ganz ungeniert; Her Majesty, wie tief sind Ihre obersten Untertanen bloß gesunken …

Gudrun Burwitz, alias „Püppi“ – Sie wurden im August 1929 in München geboren. „Blonde Haare, mit blauen Augen und einer rosigen Nase“, schrieb Mutter Margarete ins Babyjournal. Also arisch wie aus dem Bilderbuch. Ihr Vater war, wie Sie es einmal ausdrückten, für „die Müllabfuhr des Reiches“ zuständig. Sie nannten ihn „Pappi“ und er Sie „Püppi“. Ihrem Tagebuch vertrauten Sie im Sommer 1941 voller Bewunderung an: „Das ganze Volk schaut auf ihn.“ Und: „Er hält sich immer so zurück und tut sich nicht hervor.“ Auch in jenem Sommer zeigte Ihnen der „Pappi“ einen „sehr großen Betrieb“ – es wäre „herrlich“ gewesen: „Wir haben den Kräutergarten gesehen, die Birnbäume […]. Wunderbar! Danach haben wir sehr gut zu Mittag gegessen.“
Nun, der „Betrieb“ war das KZ Dachau, in dem mehr als 40.000 Häftlinge zu Tode gebracht wurden. Und der „Pappi“ – Heinrich Himmler, Reichsführer SS und nächst Hitler der mächtigste Mann in Nazi-Deutschland, operativ Hauptverantwortlicher für die industrielle Menschenvernichtung in den KZs.
Das focht Sie auch später nicht an. Stolz erwähnten Sie noch lange nach Kriegsende in Vorstellungsgesprächen: „Mein Vater war Reichsführer SS.“ Im Jahre 1959 skizzierten Sie Ihr mentales Credo: „Mein Vater ist als der größte Massenmörder aller Zeiten verschrien. Ich will versuchen, dieses Bild zu revidieren.“
Dies wiederum focht die junge Bundesrepublik nicht an, für Sie zu sorgen. Von 1961 bis 1963 waren Sie im Staatsapparat als Sekretärin beschäftigt – konkret beim BND. Ob sie dort mit Klaus Barby zusammengetroffen sind, ist zwar nicht bekannt, aber dass der BND den „Schlächter von Lyon“ ebenfalls auf der Payroll hatte, hingegen schon.
By the way – auch als Sie Ihren Nachnamen wegen Heirat änderten, waren Sie dem „Pappi“ eine gute Tochter: Sie ehelichten einen NPD-Funktionär.
Wie erst jetzt bekannt wurde, sollen Sie nunmehr und bereits am 24. Mai verschieden sein. Das ist so einer von den Momenten, in denen selbst die Atheisten in unserer Redaktion nichts dagegen hätten, wenn wenigstens die Hölle existierte.