von Mathias Iven
Der mittlerweile fünfte, von Volker Michels herausgegebene Band der auf zehn Bände angelegten Ausgabe von Hermann Hesses Korrespondenz versammelt knapp 500 Briefe aus den Jahren 1933 bis 1939. Hesse sah sich in diesen Jahren mit politisch-sozialen Verhältnissen konfrontiert, wie er sie zwei Jahrzehnte zuvor schon einmal erlebt hatte. „Die deutschen Zustände“, so fasste er die Situation Mitte März 1933 in einem Brief an seinen Sohn Bruno zusammen, „bringen mich noch mehr in Sorgen, es steht wahrscheinlich auch mir wieder viel Häßliches und eine Art Krieg bevor, mit Anfeindungen, Boykott, schwarzen Listen etc. Immer das alte Lied.“ Wie weit Hesse, der seit 1924 Schweizer Staatsbürger war, von den kulturpolitischen Schikanen der neuen Machthaber betroffen sein würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Anfangs schien sich nichts für ihn zu ändern. Die Bücher zahlreicher Schriftstellerkollegen gingen in Flammen auf, Hesse konnte – für den Moment – weiterhin veröffentlichen. „Man hat mich diesmal vergessen, und ich schätze das sehr, ohne doch zu vergessen, daß es nur ein Versehen ist und sich jeden Tag ändern kann.“
Von Tag zu Tag wurde die Zeit für die eigene Arbeit, das 1931 begonnene „Glasperlenspiel“, knapper. Aus Deutschland kamen die ersten Flüchtlinge in die Schweiz, jede Woche brachte der Postbote Hunderte von Briefen – alle wollten Hesses Hilfe. Und er half, sprach den Menschen Mut zu: „Die Periode der absoluten Brutalität und Verfolgung des Geistes wird ja bestimmt vorübergehn.“ Zugleich forderte er aber auch, die sittlichen, das Menschentum bestimmenden Werte zu achten: „Was unsere Zeit braucht und verlangt, ist nicht geschicktes Beamtentum und Betriebsamkeit, sondern Persönlichkeit, Gewissen, Verantwortlichkeit.“ An anderer Stelle schrieb er: „Inmitten einer um sich greifenden Eiszeit wirkt jeder sich wehrende Grashalm beglückend. So wehren auch wir uns, nicht kämpfend, aber leidend, nicht tötend, aber auch nicht an den Tod glaubend, und auf unserer Seite ist nicht nur das Leid, sondern auch die Tapferkeit.“
Die „Herrschaft des vollkommen Ungeistigen und Brutalen“ zeigte immer offener ihr Gesicht. In einem Brief an den Zürcher Bildhauer Hermann Hubacher charakterisierte Hesse das von den Nationalsozialisten entfachte „Pogrom gegen den Geist“ als „heftiger, brutaler und säuischer als alles Schlimme, was im fascistischen Italien geschah. Dazu die Judenverfolgung, das Unwürdigste, was diese blutigen Tiger sich noch extra ausdenken konnten.“ Und im Mai 1934 gestand er Friedrich Michael, zu dieser Zeit Lektor im Leipziger Insel Verlag: „Es wird uns Geistigen nahezu unmöglich, in dieser Zeit zu leben, aber Aufgaben haben wir doch, und damit ist auch in der Hölle Leben möglich.“ Hesse, dem jegliche Form von Machtstreben fremd war, sah seine Aufgabe allerdings nicht darin, „den Krieg zu verhindern, zu verzögern oder zu beschleunigen, […] sondern ihn zu sehen, den Blick ins Chaos zu ertragen, dem Chaos den Geist entgegenzustellen und den Glauben an den Geist, als Creator wie als Logos, den Späteren weiterzugeben.“
Der Glaube an den Geist war fundamental für Hesses Denken. Helene Welti, die zu seinen engsten Freunden gehörte, erklärte er: „Die Weltgeschichte lehrt, daß alles ziemlich dreckig ist und alles bald wieder verfault. Die Geistesgeschichte lehrt, daß eigentlich alles einmal Erstandene ewig ist, und daß Harmonie herrscht zwischen allem, was geistgeboren ist.“ Ganz in diesem Sinne sprach sich Hesse auch gegenüber der Münchner Ärztin Alice Seyler aus. Auf einer kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges geschriebenen Postkarte konnte sie lesen: „Aber das, was immer war, bleibt und gilt weiter und ist ein besserer Kompaß und Maßstab als die Tagesparolen.“
Wieder einmal zeigen Hermann Hesses Briefe, dass man auch in finsteren Zeiten die Ideale der Menschlichkeit verteidigen kann und muss.
„In den Niederungen des Aktuellen“. Hermann Hesse: Die Briefe, Band 5 (1933–1939). Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 768 Seiten, 58,00 Euro.
Schlagwörter: Briefe, Hermann Hesse, Mathias Iven, Nationalsozialismus