von Peter Linke
In seiner Rede im indischen Parlament am 22. August 2007 geizte Japans Premier Shinzō Abe nicht mit schönen Worten: Von zwei „Asien repräsentierenden Demokratien“ war da die Rede, vom „Zusammenfluß zweier Ozeane“, dem Pazifischen und dem Indischen, zu Ozeanen der Freiheit und der Prosperität. Japan und Indien seien entschlossen, eine „Strategische Globale Partnerschaft“ zu begründen, einen Bund, basierend auf so fundamentalen Werten wie Freiheit, Demokratie, der Achtung grundlegender Menschenrechte sowie auf strategischen Interessen. Die japanische Diplomatie arbeite an der Schaffung eines „Bogens der Freiheit und der Prosperität“ entlang des äußeren Randes des eurasischen Kontinents. Der „Strategischen Globalen Partnerschaft“ zwischen Japan und Indien komme dabei eine entscheidende Rolle zu. Der Schulterschluß zwischen beiden Ländern werde dafür sorgen, dass sich dieses „Größere Asien“ zu einem gewaltigen Netzwerk entwickeln werde, das den gesamten Pazifik, die USA und Australien eingeschlossen, umspannen werde.
Vor diesem Hintergrund beschwor Abe das gemeinsame intellektuelle Erbe, schwärmte von der Freundschaft des hinduistischen Mönchs und Gelehrten Swami Vivekananda (1863–1902) mit Okakura Tenshin (1862–1913), einem frühen Theoretiker des Panasianismus (der den westlichen Imperialismus als Zerstörer menschlicher Schönheit geißelte und zu romantischer Solidarität mit einem Asien aufrief, das trotz großer Diversität eine „Einheit“ bilde). Er erinnerte an Subhas Chandra Bose (1897–1945), den glühenden indischen Nationalisten (und engen Verbündeten Nazi-Deutschlands und Japans im Kampf gegen das Britische Empire) sowie an Radhabinod Pal (1886–1967), den einzigen Vertreter Südostasiens am Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten (und einzigen Richter, der alle japanischen Angeklagten von jeglicher Schuld freigesprochen hatte). Und natürlich auch an seinen Großvater, Kishi Nobusuke, der 1957 als erster japanische Premierminister Indien besuchte und von Jawaharlal Nehru auf das Herzlichste empfangen worden sei…
Kein Zweifel: Unter Shinzō Abe hat Japan Asien (wieder) fest ins Visier genommen. Zum einen, um China, den neuen alten Feind, daran zu hindern, den Status Quo in der Region radikal zu seinen Gunsten zu verändern, zum anderen, um gemeinsam mit potentiell Willigen peu à peu eine konservative, gegen Peking gerichtete regionale Ordnung auszuhandeln. Oder wie es der Politologe und Asienkenner Andrew Levidis bereits 2012 formulierte: in Asien eine multilaterale Diplomatie zu pflegen, die unter geschickter Nutzung panasiatischer Motive historische Feindseligkeiten überwinde, eine konservative Aussöhnung erreiche und damit eine alternative regionale Ordnung unter japanischer Führung befördere. Dies wiederum impliziere eine Neujustierung der Beziehungen zu den ASEAN-Staaten, insbesondere zu Indonesien, den Philippinen und Vietnam. Entscheidend jedoch für den Erfolg einer solchen Ordnung sei eine strategische Partnerschaft mit Indien.
Besonders intensiv gestalten sich die bilateralen Beziehungen seit dem Amtsantritt Narendra Modis im Jahre 2014. Zehnmal haben er und Premier Abe bisher zusammengesessen. Ende 2015 formulierten beide Regierungschefs eine „India Japan Vision 2025“. Deren Schwerpunkte lassen aufhorchen: Bau einer über 500 km langen Trasse für Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge in Indien (der erste Spatenstich erfolgte im September 2017), Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie (eine entsprechende Vereinbarung wurde nach sechsjährigen Verhandlungen Ende 2016 unterzeichnet) sowie verstärkte militärpolitische Kooperation (so nahm im vergangenen Sommer Japan erstmals aktiv mit mehreren Schiffen, darunter der Hubschrauberträger „JS Izumo“, am traditionellen indisch-US-amerikanischen Seekriegsmanöver „Malabar“ im Golf von Bengalen teil), unterfüttert mit entsprechenden wehrtechnischen Offerten (etwa die Lieferung amphibischer Such- und Rettungsflugzeuge ShinMaywa US-2, die Indien erweiterte Patrouille-Fähigkeiten bis hin zu den Andamanen und Nikobaren geben würden, einer Inselgruppe, gelegen rund 300 km südwestlich vom burmesischen Kap Negrais, die offiziell indisches Unionsterritorium sind, inoffiziell jedoch von China beansprucht werden).
Was jedoch ganz besonders ins Auge sticht, ist die zunehmend transregionale Dimension des japanisch-indischen Miteinanders. Dreh- und Angelpunkt: die im August 2016 von Premier Abe auf der 6. Tokioter Internationalen Konferenz für afrikanische Entwicklung (TICAD-VI) verkündeten „Strategie eines Freien und Offenen Indo-Pazifiks“, mit der das Ziel verfolgt werde, durch Freihandel und Infrastrukturinvestments eine verbesserte „Konnektivität“ zwischen Asien, dem Nahen Osten und Afrika zu erreichen.
Aus Tokioter Sicht kommt Indien dabei eine Schlüsselstellung zu. Vor allem hinsichtlich der gemeinsamen Entwicklung von Hafeninfrastruktur und Wirtschaftssonderzonen in Myanmar (Ausbau des Tiefseehafens Sittwe als Konkurrenzprojekt zu Kyaukphyu, wo China seit Jahren das Sagen hat) sowie maritimer Transportkorridore (wie dem Kaladan-Projekt, das Sittwe mit dem ostindischen Kolkata verbinden soll).
Delhi wiederum rechnet stark mit japanischer Hilfe bei der Schaffung eines Wirtschaftskorridors, der Indien mit Iran und Afghanistan verbindet. Dabei von entscheidender Bedeutung: der südostiranische Hafen Chabahar, für dessen Ausbau Ende vergangenen Jahres das Startsignal gegeben wurde.
Die afrikanische Dimension der transregionalen japanisch-indischen Partnerschaft widerspiegelt sich vor allem in der im Mai 2017 auf der Jahrestagung der Afrikanischen Entwicklungsbank im westindischen Ahmedabad vorgestellten Vision eines Asiatisch-Afrikanischen Wachstumskorridors (AAGC), einer gemeinsamen Initiative des Instituts für Entwicklungsökonomien (IDE-JETRO) Tokio, des Forschungs- und Informationssystems für Entwicklungsländer (RIS) New Delhi und des Wirtschaftsforschungsinstituts für die ASEAN und Ostasien (ERIA) Jakarta, vorbereitet in enger Abstimmung mit asiatischen und afrikanischen Denkfabriken. Im Zentrum: die Schaffung von „Qualitätsinfrastruktur“ in Afrika (Gesundheitsvorsorge, digitale „Konnektivität“) sowie zwischen Afrika, Asien und Ozeanien (Wiederbelebung traditioneller maritimer Transportrouten, etwa zwischen Dschibuti und dem westindischen Jamnagar oder Mombasa/Sansibar und dem südindischen Madurai). Für viele Beobachter ein durchaus ernstzunehmender Gegenentwurf zu Pekings Projekt einer „Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“.
Auf den fahrenden indo-pazifischen Zug aufzuspringen, versuchte Ende vergangenen Jahres US-Präsident Donald Trump. Während seiner Tournee durch fünf asiatische Staaten wurde er nicht müde, auf die geostrategische Bedeutung der neuen Megaregion zu verweisen. Seine Vision schrumpfte dabei jedoch sehr schnell zusammen auf die nicht gerade neue Idee eines exklusiven quadrilateralen Sicherheitsdialogs zwischen den US, Japan, Australien und Indien, kurz „Quad“ genannt.
Diese im Kern auf militärische Konfrontation in und um die Golfregion, vor allem jedoch gegenüber China und Iran setzende Idee stieß in Tokio, Canberra und Delhi auf wenig Begeisterung: Widerstand gegen Peking – ja, aber nicht vordergründig militärisch. Eher im Sinne des von Premier Abe bereits 2012 lancierten Bildes eines „Asiatischen Demokratischen Sicherheitsdiamanten“, in dem Japan, Indien, Australien und der US-Bundesstaat Hawaii zusammen eine „diamantene“ Struktur zum Schutz maritimer Gemeingüter (Freiheit der Schiffahrt, Förderung internationaler Hafeninfrastrukturstandards etc.) vom Indischen Ozean bis zum Westpazifik formen.
Insbesondere die Reaktion auf Trumps Quad-Vorstoß macht deutlich, dass sich Tokios (und Delhis) Indo-Pazifik-Narrativ nicht nur gegen ein expansives China, sondern auch den regionalen Hegemonialanspruch der USA richtet: Mehr Asien, weniger Pazifik! Washingtons Asia-Pacific-Konzept, seit spätestens Ende der 1980er Jahre das ideologische Vehikel zur Durchsetzung (trans)regionaler US-Machtinteressen, gerät ins Wanken.
Dabei von besonderem Interesse: das weitere Schicksal der Transpazifischen Partnerschaft (TPP): 2002 war es, da schlossen 4 APEC-Mitglieder – Brunei, Chile, Singapur und Neuseeland – ein Freihandelsabkommen, genannt Transpazifische Strategische Wirtschaftspartnerschaft (TPSEP). 2005 in Transpazifische Partnerschaft umbenannt, traten dieser im Laufe der Jahre weitere Staaten bei: 2008 die USA, Australien, Vietnam und Peru, 2010 Malaysia, 2012 Mexiko und Kanada, 2013 schließlich und endlich Japan. Ende 2015 lag ein entsprechendes Abkommen vor, das freilich dem neuen Herrn im Weißen Haus Donald Trump überhaupt nicht gefiel. Anfang 2017 kündigte er TPP kurzerhand auf. Die verbleibenden Elf jedoch zeigten sich entschlossen, auch ohne die USA weiterzumachen. Federführend dabei: Japan. Anfang 2018 einigte man sich auf einen revidierten Vertragstext, genannt Umfassendes und Progressives Abkommen für eine Transpazifische Partnerschaft (CPTPP). Für erfahrene Sicherheitsanalysten wie Yōichi Funabashi ein „wichtiger Schritt hin zu einem asiatischen Regionalismus ohne USA“.
Bis 2019 soll CPTPP ratifiziert sein. Derweil schlichtet Japan zwischen Indien und den übrigen Mitgliedern der Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP), dem Projekt einer Freihandelsvereinbarung zwischen der ASEAN (Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) und 6 Staaten, mit denen die Assoziation Südostasiatischer Nationen Freihandelsabkommen geschlossen hat (Australien, China, Indien, Japan, Neuseeland und Südkorea). Die Verhandlungen waren ins Stocken geraten, nachdem sich Delhi Regelungen zum Abbau von Zöllen verweigert hatte…
Mit anderen Worten: Tokio treibt diskret, aber beharrlich die Neuordnung Asiens voran – eine stille Revolution, wenig schlagzeilenträchtig, dafür aber nachhaltig, eben sehr japanisch…
PS: Vergangene Woche wies Donald Trump seine engsten Wirtschaftsberater Lawrence Kudlow und Robert Lighthizer an, die Möglichkeit einer Rückkehr der USA in die TPP zu prüfen. Tokios Reaktion fiel eher zurückhaltend aus: Sollte Washington damit die Bedeutung der TPP anerkennen, so Chefkabinettssekretär Yoshihide Suga, wäre das zu begrüßen. Allerdings müsse man wissen, dass der revidierte Vertrag eine garasu saiku (eine Arbeit aus Glas) sei…
Schlagwörter: ASEAN, China, Indien, Japan, Neuordnung Asiens, Shinzo Abe, Transpazifische Partnerschaft