von Edgar Benkwitz
Einige sprechen von einer asiatischen NATO, andere von einem „viereckigen Gespenst“ – zwischen diesen Polen bewegt sich der Quadrilaterale Sicherheitsdialog, kurz Quad genannt, der im November 2017 am Rande des Ostasien-Gipfels in Manila gegründet wurde. Eigentlich ist es die Wiederbelebung eines alten, mittlerweile vergessenen Projekts, das nun durch die Medien geistert, die Gemüter erregt und nicht so recht greifbar ist. Seine Mitglieder sind die USA, Japan, Australien und Indien. Kurioserweise erfolgten Gründung und Verkündung durch hohe Beamte, obwohl die führenden Politiker der Teilnehmerstaaten in Manila anwesend waren. Es gab auch keine Gemeinsame Erklärung, stattdessen veröffentlichte jeder Teilnehmer eine eigene Stellungnahme. All das weist auf Differenzen hin, die mit der dominierenden Macht in der Region, China, im Zusammenhang stehen dürften.
Dieser Eindruck wird noch dadurch vertieft, dass über Form und Zielstellung des Quad weitgehend geschwiegen wird. Den dürren Verlautbarungen ist lediglich zu entnehmen, dass man zusammenarbeiten will, um gemeinsame Ziele zu erreichen und Herausforderungen in der Region zu begegnen – basierend auf geltenden Regeln im Indo-Pazifik, wie der Freiheit der Schifffahrt. Die USA wurden da schon deutlicher. In ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2017 stellten sie unverblümt fest, dass der Quad ein Mittel sei, um Chinas Einfluss einzugrenzen. Der japanische Ministerpräsident Abe beschwichtigte hingegen, es komme darauf an, „die Stimmen zu erheben“ – vor allem mit dem Ziel einer regelbasierten Ordnung und multilateraler Kooperation im Indo-Pazifik. Auch bedeute der Quad nicht notwendigerweise, sich in militärischen Aktivitäten zu engagieren.
Weltweit gehen die Medien jedoch davon aus, dass dieses Forum geschaffen wurde, um den wachsenden Einfluss und Aktivitäten Chinas im Südchinesischen Meer und darüber hinaus im asiatisch-pazifischen Raum entgegen zu treten. Vorerst gehe es offensichtlich nur um einen Meinungsaustausch, dem später aber organisatorische Strukturen sowie gemeinsame Maßnahmen folgen könnten.
China reagierte umgehend mit der Frage, warum es bei der Erörterung solch wichtiger Themen ausgeschlossen werde. „Der entsprechende Vorschlag (gemeint ist der Quad – E.B.) sollte offen und allumfassend sein, einer Win-win-Zusammenarbeit dienlich, unter Vermeidung einer Politisierung oder des Ausschlusses bedeutender Parteien“, so der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Man hoffe, dass sich das Bündnis nicht gegen Dritte richte. Russland reagierte ähnlich. Außenminister Lawrow sagte in Neu Delhi, dass eine dauerhafte Sicherheitsarchitektur in der asiatisch-pazifischen Region nicht durch Blöcke erreicht werden kann, vielmehr nur auf einer für jeden zugänglichen kollektiven Basis.
Ein Blick auf die Interessenlage der Quad-Teilnehmer lässt unterschiedliche Motive erkennen. Die USA versuchen, mit einer offen antichinesischen Haltung den Ton anzugeben. Ihnen geht es vor allem um den Erhalt bisheriger eigener Positionen. Schwindender Einfluss soll durch Säbelgerassel ersetzt werden. Obwohl Japan und Australien militärische Verbündete der USA sind, teilen sie das kraftmeierische Gehabe ihres Partners nicht. Beide sind bisher nicht bereit, wie die USA Kriegsschiffe in das umstrittene Gebiet im Südchinesischen Meer zu schicken. Konfrontationen sollen vermieden werden, auch im Interesse der umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen mit China.
Fragen wirft die Teilnahme Indiens auf. Sie ist aber erkennbar Ausfluss des forcierten Bestrebens der gegenwärtigen nationalistischen Regierung, zu einer anerkannten Großmacht aufzusteigen. An der Seite der drei militärisch verbündeten Partner wird Neu-Delhi versuchen, seine Interessen einzubringen. Diese liegen auf den Gebieten Sicherheit und Wirtschaft und reichen von der Freiheit (und Überwachung) der Schifffahrt bis zur Ausbeutung der Ölvorkommen vor Vietnams Küste. Allein kann Indien seine geostrategische Lage jedoch nicht nutzen. „Hilfsbereite“ Partner, die sich seit jeher anbieten, sind neuerdings sehr willkommen. Indiens „Malabar-Manöver“ haben sich mittlerweile zu den größten Seekriegsübungen im Indischen Ozean gemausert, unter Beteiligung der USA, Japans und künftig wahrscheinlich auch Australiens.
Mit den USA wurden auf militärischem Gebiet in den letzten Jahren bedeutende Vereinbarungen erzielt. Als Major Defence Partner wird Indien bei Waffenlieferungen und militärischem Technologietransfer inzwischen wie ein Bündnispartner behandelt. Erste Vereinbarungen über die Lieferung modernster Überwachungstechnik, wie Seedrohnen, stehen vor dem Abschluss. Weiterhin erhalten die US-Streitkräfte das Recht, Flugplätze und Häfen in Indien zu benutzen.
Mit Japan sind zwei große Projekte anvisiert, die sich zum Teil über den Indischen Ozean hinaus erstrecken sollen. Das ist zum einen der „Asiatisch-Afrikanische Wachstumskorridor“, ein Projekt für Infrastrukturmaßnahmen, das auf den afrikanischen Kontinent gerichtet ist, sowie zum anderen die Entwicklung sogenannter Smart Islands, vorzüglich im Indik gelegen, wie die indischen Andamanen- und Nikobar-Inseln am Nordausgang der Malakka-Straße.
Neuester Partner ist übrigens Frankreich, dessen Präsident Mitte März in Neu Delhi eine gegenseitige logistische Unterstützung der Seestreitkräfte beider Länder sowie die Nutzung ihrer maritimen Einrichtungen und der Militärstützpunkte vereinbarte. Die Times of India kommentierte: „Das Abkommen wird die Optionen für die indischen maritimen Operationen im Indo-Pazifik erhöhen und so der Drohung einer potentiellen Einkreisung Indiens durch China entgegentreten.“
Doch ganz so einfach wird es für die indische Außenpolitik nicht. Indien hat mit der verstärkten Hinwendung zu den USA in den Augen Chinas offensichtlich gewisse Linien überschritten. Selbst indische Beobachter, wie die Professoren für internationale Beziehungen P. K. Arora und V. Kaura, stellen fest, dass die Quad-Teilnahme den Beziehungen zu China geschadet hat. China verfolgt argwöhnisch das Geschehen südlich seines Territoriums und wird auf Veränderungen reagieren. Mittel dazu hat es gegenüber Indien in der Hand. Unverhohlen schreibt dazu die Global Times: „Es ist nicht in Indiens Interesse, die Rolle eines Außenposten in der US-Strategie zur Eindämmung Chinas einzunehmen. Das könnte zu katastrophalen Ergebnissen führen.“
In der Tat fordert Indiens Interessenlage seit jeher eine Ausbalancierung seiner Außenpolitik. Der weitere Verlauf des Quad-Prozesses wird zeigen, ob Neu-Delhi mit einer mäßigenden Position hier Einfluss nehmen kann oder ob es dem Druck der westlichen Partner erliegt. Konflikte könnte es auch mit der Shanghai-Organisation geben, der Indien seit einem Jahr angehört. Es braucht dieses Forum als wichtige Dialogbühne, wo es solche zentralen indischen Anliegen wie Kampf gegen Terrorismus, wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den mittelasiatischen Staaten sowie Neutralisierung pakistanischer Politik einbringen will.
Aber auch mit Russland zeichnen sich Probleme ab, die die bisherige vertrauensvolle Zusammenarbeit gefährden könnten. Die Times of India spricht schon von einer Lücke in Indiens internationalen Beziehungen, „die offensichtlich durch die Abkühlung der strategischen Partnerschaft Russlands mit Indien und dessen Hinwendung zu China“ entstehe. Der gleichen Zeitung hatte Sergej Karaganow, ein Berater von Präsident Putin, in einem Interview Ende Februar mitgeteilt, dass es infolge internationaler Entwicklungen eine stärkere Hinwendung Russlands zu China gebe, mit dem „robuste Beziehungen nach dem Konzept eines größeren Eurasiens“ aufgebaut würden. Auch werde Russland seine Interessen in Pakistan und Afghanistan stärker wahrnehmen. Karaganow riet Indien, die Probleme mit China einvernehmlich zu lösen, so wie das Russland auch getan habe; Moskau werde keine Partei ergreifen, stünde aber als Vermittler bereit.
Das alles ist nicht nach dem Geschmack Neu Delhis. In der Tat könnte sich Indien zwischen zwei Stühle gesetzt haben.
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