von Jan Opal, Gniezno
Das große Ziel ist Jarosław Kaczyński abhandengekommen – die zweite Welle des Kapitalismus. Die nämlich sollte eine polnische sein und den Menschen im Lande helfen, endlich von den Knien aufzustehen. Große Worte, die aber Eindruck machten, denn die Nationalkonservativen gewannen mit solch nebulösen Aussichten die schweren Wahlen 2015. Jetzt ist nicht mehr viel übriggeblieben von dem großen Versprechen – der Kapitalismus in Polen ist so polnisch wie ehedem. Vorzeigbar wäre höchstens die Einführung gesetzlicher Ladenschlusszeiten an Sonntagen, die unter bestimmten Bedingungen Familienbetriebe im Einzelhandel wieder ausnimmt, die im Unterschied zu den großen Einkaufsketten weitgehend in polnischer Hand sind.
So werden jetzt kleinere Brötchen gebacken, denn Kaczyńskis Leute konzentrieren sich bei ihrer nationalen Mission wieder ganz auf Geschichtspolitik. Das Land soll bis zum 11. November 2018 in neuem Glanz erstrahlen. Zu der Einhundertjahrfeier der wiedergegründeten Republik von 1918 will Kaczyński verkünden, nun geschafft zu haben, wovor seine liberalen Konkurrenten immer weggelaufen seien. Tatsächlich erlebt Polen in den letzten Monaten eine Säuberungswelle, um das Gespenst des Kommunismus für immer aus dem Land zu scheuchen. Seit 2016 haben die Nationalkonservativen in mehreren Stufen die auf die Zeitgeschichte abzielende Gesetzgebung zielstrebig verschärft – ein engmaschiges Netz hat künftig zu verhindern, dass der einmal zur Strecke gebrachte Feind ins Leben zurückkehrt. Mitunter mutet es an, als wollten Kaczyńskis Leute der Welt beweisen, wie sehr die von ihnen ausgemachten Spuren des Kommunismus in Polen dem Glanze der nationalen Souveränität schadeten.
Laut geltender Verfassung von 1997 ist in Polen die Propaganda der Praxis totalitärer Systeme verboten. Daraus haben die Nationalkonservativen nun schlicht das gesetzliche Verbot der Propaganda von Kommunismus und anderer totalitärer Systemen gemacht. Das Verbot zielt nicht auf den Privatbereich, gilt aber zwingend, sobald die Öffentlichkeit betroffen ist. Straßennamen, Namen von Plätzen und Gebäuden, Denkmäler sowie alle an Häusern sichtbar angebrachten Erinnerungs- sowie Gedenktafeln sind gemeint. Ausnahmen gibt es, etwa wenn sich ein Denkmal auf dem Friedhof befindet. Wer also ein Haus sein eigen nennt, sodann auf die Idee käme, es mit der Gleichung zieren zu wollen, Kommunismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung, kann das künftig nur tun, wenn es von außen, von der Straße oder vom Nachbarszaun nicht mehr einsehbar ist.
Als obersten Beschützer der bedrängten Öffentlichkeit haben die Nationalkonservativen die staatliche Geschichtsbehörde IPN (Institut für nationales Erinnern) auf Linie gebracht. Dort wird mit nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Expertisen entschieden, was Propaganda des Kommunismus sei und laut Gesetz verboten gehört. Der Vollzug wiederum liegt in den Händen des Wojewoden, des jeweils von der Regierung eingesetzten obersten Vertreters in den 16 Wojewodschaften. Ausgehebelt wurde die Entscheidungsbefugnis der gewählten Körperschaften auf der lokalen Ebene, die bislang selbst und ohne Einspruch von oben über Namensgebungen und geschichtliche Erinnerung entscheiden konnten. Doch wenn es um das Gespenst des Kommunismus geht, darf dem Zufall nicht Tür und Tor geöffnet werden.
Was aber wäre der Feldzug gegen den Kommunismus wert, käme die Volksrepublik Polen ungeschoren davon! Der von Kaczyński kurz vor Weihnachten eingesetzte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ist überzeugt, von 1944 bis 1989 habe es Polen gar nicht gegeben. Für die oben erwähnte Geschichtsbehörde ist der Zweite Weltkrieg in Polen erst 1989 zu Ende gegangen. Auch hier wollen Kaczyńskis Nationalkonservative nichts mehr dem Zufall überlassen. Eilig durch die Instanzen gepeitscht wurde ein Gesetz, das erlaubt, den Uniformträgern in der VR Polen nachträglich den Dienstgrad abzuerkennen, selbst wenn sie nicht mehr unter den Lebenden weilen. In erster Linie zielte das auf den 2014 verstorbenen Wojciech Jaruzelski, den Polens Parlament noch rechtzeitig vor Frühlingsbeginn vom Armeegeneral zum Gefreiten degradierte. In der Kaczyński-Fraktion hieß es triumphierend, nun sei in Polen der Kommunismus besiegt!
Doch ausgerechnet Staatspräsident Andrzej Duda machte hier einen Strich durch die Rechnung. In der Sache stehe auch er zu dem, was die Gesetzesschreiber wollten, doch fehle es an Einspruchsmöglichkeiten der Degradierten und wohl auch ein wenig an Pietät, denn schließlich könne doch niemand von Polens Regierung verlangen, auch noch das Amt eines Ombudsmanns für Verstorbene einzuführen. Das Präsidenten-Veto einen Tag vor Ostern schockte das Kaczyński-Lager, von nationalem Verrat war sofort die Rede. Tatsächlich – nicht alle Blütenträume reifen im Regierungslager, doch dem Gespenst des Kommunismus haben die Nationalkonservativen zum Glück für Land und Leute den unerschrockenen Kampf angesagt.
Jan Opal, Jahrgang ʼ56, war nach Journalistikstudium in Warschau lange Zeit außerhalb Polens tätig (vor allem in deutschsprachigen Ländern); derzeit freiberuflicher Publizist und Journalist. Opal lebt in Gniezno (Polen).
Schlagwörter: Jan Opal, Jarosław Kaczyński, Kommunismus, Polen