Ein bestangezogener Mann

von Bernhard Romeike

Gentlemen’s Quarterly, abgekürzt GQ, ist ein aus den USA stammendes Lifestyle-Magazin für Männer, das seit 1997 auch in Deutschland erscheint. 2016 kürte es den damals 49-jährigen Bundesjustizminister Heiko Maas zu „Deutschlands bestangezogenem Mann“. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte ironisch: „Dass ein Minister smart, also clever ist, sollte zwar selbstverständlich sein. Aber dass ein Männer-Magazin bei perfekt sitzenden Anzügen an den Justizminister statt an einen Geheimagenten denkt, ist dann doch sehr ungewöhnlich.“ Im selben Jahr wurde seine Liaison mit der Schauspielerin Natalia Wörner öffentlich, wodurch er auch immer wieder gern in den Boulevard-Gazetten zum Gegenstand der Berichterstattung wurde.
Politisch war er zunächst unauffällig. Nach katholischer Kindheit im Saarland mit Einsatz als Messdiener ging er zur SPD und fand die freundliche Förderung von Oskar Lafontaine. Beide verband die katholische Herkunft und ein Start bei den Jungsozialisten im Land, allerdings hatte Lafontaine drei Landtagswahlen gewonnen und war über 13 Jahre Ministerpräsident, während Maas als SPD-Spitzenkandidat dreimal scheiterte und es nur bis zum stellvertretenden Ministerpräsidenten im Saarland unter Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gebracht hatte. 2013 erlöste ihn Sigmar Gabriel von dem bescheidenen Dasein des Provinzpolitikers und machte ihn zum Bundesjustizminister, wo er zunächst seiner Bekleidung wegen auffiel.
Er aber zeigte Eifer. Während seiner Jahre als Justizminister hat er an die 80 Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht, darunter zur Mietpreisbremse, die bekanntlich nicht so recht funktioniert, zur Frauenquote, bei der es ebenfalls hapert, und das Facebook-Gesetz. Eigentlich heißt es: „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“, kurz Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es soll Hassbeiträge, Hetze und Falschmeldungen in sozialen Netzwerken unterbinden. Der Deutsche Anwaltsverein und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger sprachen sich gegen den Gesetzesentwurf aus. Reporter ohne Grenzen nannten ihn einen „Schnellschuss“, geeignet, „das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit massiv [zu] beschädigen“. Immerhin wird die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen in die Hand privater Unternehmen beziehungsweise von deren Mitarbeitern gelegt. Bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag hielt die Mehrheit der Fachleute den Entwurf für grundgesetzwidrig. Der Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Vereinten Nationen, David Kaye, forderte in einem offiziellen Schreiben die Bundesregierung auf, die Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland zu gewährleisten. Die Studie, die Heiko Maas zur Grundlage seines Handelns gemacht hatte, war nach Einschätzung des Leipziger Professors für Medienrecht, Marc Liesching, eine „Bewertung von Rechtslaien“.
Gleichwohl wurde das Gesetz in Kraft gesetzt. Am 1. Januar 2018 lief die Übergangsfrist ab, innerhalb derer sich alle Beteiligten auf die neuen Anforderungen einstellen mussten. Die Bild-Zeitung wusste jedoch zu berichten, dass Twitter bereits am 6. Januar einen Tweet des Ministers aus dem Jahr 2010 gelöscht hatte. Es hieß, Maas hätte damals seinen Parteikollegen und Ex-Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin als „Idiot“ bezeichnet. Twitter-Nutzer waren gegen das Gesetz Sturm gelaufen und hatten angekündigt, Maas wegen Hetzrede und Beleidigung zur Anzeige zu bringen. Twitter hatte offenbar in vorauseilendem Gehorsam gehandelt, um Strafe zu vermeiden.
Besonderes Anliegen ist Heiko Maas der Kampf gegen alles Rechte. Im Dezember 2014 erklärte er, Pegida sei eine „Schande für Deutschland“. Seither wurde er zu einer Hassfigur der rechten Demonstrationsszene. Im Gegenzug würdigte ihn die Times of Israel als „German Anti-Nazi Kreuzritter“. Die Neue Zürcher Zeitung (22.03.2018) schrieb über Maas: „Wenn in Deutschland etwas gesagt wird, was rassistisch sein könnte, dann wird das auch heute noch sehr schnell von ihm auf Twitter abgefertigt. Die AfD ist Maas’ Geschäftsmodell geworden.“ Der deutsche Journalist Henryk M. Broder nannte ihn die „Dekonstruktion des Deutschen“. Wenn es Stahlhelm-Deutsche gebe, dann seien am anderen Ende des Spektrums die „Heiko-Maas-Deutschen“. Allerdings meinte er auch, Maas strahle „eine maßlose schmalbrüstige Eitelkeit“ aus.
Neben seiner Tätigkeit als Minister fand Heiko Maas Zeit, seinem Kampf in einem Buch Ausdruck zu geben. Es heißt: „Aufstehen statt wegducken. Eine Strategie gegen Rechts“ und erschien 2017. Dabei unterscheidet er nicht zwischen Populisten wie der AfD und Extremisten. Rechts ist ihm alles, was nicht ins Bild passt, bis hin zum Neoliberalismus. Das mag auf einer abstrakten Ebene nicht falsch sein, bedürfte jedoch jeweils unterschiedlicher Strategien. Maas meint: Wenn die demokratische und weltoffene Mehrheit in diesem Land aufstehe und die schweigende Mitte sich zu Wort melde, dann werde der rechte Rand mit seinem Fremdenhass ein Randphänomen bleiben. Am Ende jedes Kapitels liefert er eine knappe Handlungsanweisung: „Was wir tun können.“ Dazu gehören: Wählen gehen, gemeinsam auf der Straße protestieren, argumentieren, eine sachliche Sprache pflegen, bei den Fakten bleiben. Am Ende bleibt die Frage, ob das denn reichen soll. Oder ob es nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, die das Verhalten der Menschen antreiben.
Bei der Amtsübernahme im Auswärtigen Amt am 14. März hatte Heiko Maas erklärt, er sei nicht wegen Willy Brandt oder der Friedensbewegung in die Politik und in die SPD gegangen, sondern „wegen Auschwitz“. Viele Zeitungen haben den Satz wohlwollend zitiert. Was aber bedeutet er politisch? Zu erinnern ist, dass Joseph Fischer – bekanntlich ein Vorgänger im Amt, von den Grünen – mit dem Verweis auf Auschwitz Deutschland in den Krieg gegen Jugoslawien bugsiert hatte. Wolfgang Gehrcke, damals außenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion, hatte dies „das neue Selbstbild des neuen Nachkriegsdeutschlands“ genannt, das aus dem Bruch des Grundgesetzes entstand und den Grundkonsens des „Nie wieder“ aufgekündigt hatte. „Das ‘Nie wieder’ als Lehre des Faschismus kann nur brechen“, schrieb Gehrcke 1999, „wer einen höheren Wert in der deutschen Geschichte findet, den es zu verteidigen gilt: Das war Sühne für Auschwitz. Die rot-grüne Bundesregierung hat die Zweieinigkeit des ‘Nie wieder’ – nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg – aufgelöst; nun richtete sich das eine gegen das andere. ‘Nie wieder Auschwitz’ wurde zum kategorischen Imperativ, der ‘gerade uns Deutsche’ verpflichtet, bei drohenden Menschenrechtsverletzungen Krieg zu führen.“
Kaum im Amt, hatte Heiko Maas im Falle des in Großbritannien vergifteten ehemaligen russischen Doppelagenten die britische Lesart übernommen, ohne dass ein Beweis für eine russische Verantwortung vorliegt, und sprach von einem „nicht hinnehmbaren Verbrechen“, während sein Vorgänger Sigmar Gabriel sich „an ganz schlechte James-Bond-Filme erinnert“ sah. In Bezug auf Russland benutzte Maas das Wort: „Gegnerschaft“, wohl als erster deutscher Außenminister nach dem Kalten Krieg. Unter Gabriel hatte sich die Russland-Politik von der des Kanzleramts entfremdet. Mit dem Personalwechsel hat Merkel die Zügel wieder fester in die Hand genommen. Maas ist der Mann dafür. „Aus dem Katholizismus und dem Sozialdemokratischen entsteht bei Maas das Kreuzritterhafte“, sei noch einmal die Neue Zürcher Zeitung zitiert. „Das sind seine beiden Fundamente. Von hier aus scheidet er die Welt in Gut und Böse.“ Das aber führt zu etwas anderem, als einer vernunftgeleiteten deutschen Außenpolitik.