von Mathias Iven
Eine äußerst sehenswerte, derzeit im Literaturhaus Berlin laufende Ausstellung ist dem fast tausend Seiten umfassenden, bisher unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und seinem jüngsten Sohn Martin (1911–1968) gewidmet. Konzipiert wurde die Exposition von Lutz Dittrich. Im Vorwort des von ihm herausgegebenen Begleitbandes heißt es zum Anliegen, dass „die Ausstellung und die vorliegende Publikation zwei Erzählebenen zusammen[fügen]: die von der brieflich-familiären Korrespondenz ausgehende und die der Zeitgeschichte, fokussiert auf die Jahre des ,Dritten Reichs‘“.
Am Anfang des grafisch sehr anspruchsvoll gestalteten, mit zahlreichen Fotos und Faksimiles ausgestatteten Bandes steht ein Beitrag des Hesse-Biografen Gunnar Decker. In großen Zügen werden darin der Lebensweg Martin Hesses und die Beziehung zwischen Vater und Sohn nachgezeichnet. Nach der endgültigen Trennung von seiner Frau Mia und der Übersiedlung nach Montagnola wuchsen Hesses Söhne Bruno, Heiner und Martin an unterschiedlichen Orten in der Schweiz auf. Sie wurden, so Decker, „durch und durch Schweizer, sogar patriotische Schweizer, für die das Deutsche nicht mehr zur eigenen Biographie gehört, sondern fremd und feindlich erscheint“.
Martin, der seine Kindheit in Kirchdorf bei dem Landarzt Ernst Ringier verlebte, war lange Zeit auf der Suche, was er beruflich machen sollte. Am 15. Februar 1932 teilte er seinem Vater mit, dass er sich für eine Ausbildung am Dessauer Bauhaus entschieden habe. Doch schon bald nach der Ankunft stellte er fest: „Man hat hier bei vielen Leuten den Eindruck, dass sie Universalgenies seien und in Wirklichkeit ist alles nur oberflächlich.“ Er ging auf Distanz zum Lehrbetrieb: „Mein Prinzip ist, einfach so viel wie möglich zu profitieren, bevor der Laden geschlossen wird.“ Reklame, Weberei und Fotografie, so erfuhr der Vater, zogen ihn am meisten an. Letztere machte er späterhin zu seinem Beruf. Ein immer wiederkehrendes Motiv seiner Arbeit wurde der Vater.
So schwierig die Kindheits- und Jugendjahre für Martin Hesse auch waren – im Januar 1950 vertraute er dem Brief-Vater an: „Als ich ein kleiner Junge war, hätte ich vielleicht gern hin und wieder einen ,Papa‘ gehabt, der einen aufs Knie genommen, aber ernstlich vermisst habe ich das nie.“ – Insgesamt, so bewertet es Decker, ist der Briefwechsel ein Ereignis. „Nicht nur in biographischer Hinsicht, sondern auch in historischer. Denn im Briefgespräch von Vater und Sohn ersteht auch eine Alltagsgeschichte der Schweiz von 1919 bis 1962.“
Volker Michels, der Herausgeber von Hesses Werk, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit Hesses Korrespondenz der Jahre 1933 bis 1939. Es war dies die Zeit, in der Hesse am „Glasperlenspiel“, seinem großen Alterswerk arbeitete. In einem an Sohn Martin gerichteten Brief vom 3. Dezember 1943 schrieb er, dass das Buch für ihn „viel mehr als eine Idee und ein Spielzeug“ war, die Arbeit daran war ihm „ein Panzer gegen die häßliche Zeit und eine magische Zuflucht, in die ich, so oft ich geistig dazu bereit war, für Stunden eingehen konnte, und wohin kein Ton aus der aktuellen Welt drang“.
Das Thema vertiefend, untersucht Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg und Autor einschlägiger Veröffentlichungen zur Literaturpolitik des Dritten Reichs, das Verhältnis der nationalsozialistischen Schrifttumsbürokratie zu Hermann Hesse. Für Barbian stellen sich angesichts der heute zur Verfügung stehenden Quellen gleich mehrere Fragen: Welche Deutung ist zur Verortung eines großen Schriftstellers in finsteren Zeiten zutreffend? Wie verhielt sich Hesse tatsächlich zu den Ereignissen, die mit der Machtübernahme Hitlers einsetzten? Welche Rolle wollte er selbst in seiner alten Heimat spielen und welche Rolle wurde ihm von der nationalsozialistischen Schrifttumsbürokratie zugestanden? – Von Beginn an wusste Hesse, dass seine Wirkung im Dritten Reich begrenzt war und seine Bücher bestenfalls geduldet wurden. Barbian resümiert: „Für seinen Versuch, allen politischen Bedenken zum Trotz als Autor im Dritten Reich präsent zu bleiben, zahlte Hermann Hesse letztlich einen sehr hohen Preis – sowohl materiell, weil er kaum noch Einnahmen aus Deutschland erhielt, als auch ideell, weil er zunehmend von den Lesern, die er eigentlich erreichen wollte, abgeschnitten wurde.“ Desungeachtet muss aber auch gesagt werden, dass man bei Hesse, anders als beispielsweise bei Thomas Mann, „den politischen Lernprozess und das kämpferische Engagement gegen die Diktatur Hitler-Deutschlands“ vermisst.
Lutz Dittrich betritt mit seinem Beitrag „Dem Schwert folgt die Zeitung“ editorisches Neuland. Erstmals wird der Blick auf die Tatsache gelenkt, dass Erzählungen und Gedichte Hesses während des Krieges von den deutschen Eroberern gezielt in der Publizistik eingesetzt wurden. So erschienen, was seit Jahrzehnten bekannt ist und nicht weiter hinterfragt wurde, allein in der Krakauer Zeitung und der Deutschen Zeitung in Norwegen zwischen 1941 und 1945 mehr als 120 bereits früher an anderer Stelle veröffentlichte Beiträge Hesses. Bis dato ließ sich die Frage, ob Hesse von diesen Veröffentlichungen irgendeine Kenntnis hatte, allerdings nicht klären. Zu wünschen bleibt in diesem Zusammenhang, dass die von Dittrich angekündigte Studie, die zeigen soll „wie das nationalsozialistische Regime Hermann Hesse auch durch die Abdrucke in den Besatzungszeitungen instrumentalisierte und ausmanövrierte“, baldmöglichst erscheint.
Lutz Dittrich (Hrsg.): Zwischen den Fronten. Der Glasperlenspieler Hermann Hesse. Texte aus dem Literaturhaus Berlin, Band 18, Berlin 2017, 96 Seiten, 12,00 Euro. – Die Ausstellung kann noch bis zum 11. März 2018 täglich außer montags besucht werden.
Schlagwörter: Ausstellung, Briefe, Hermann Hesse, Martin Hesse, Mathias Iven