von Bernhard Mankwald
Im Blättchen 20/2017 wird Frank-Walter Steinmeier in der Rubrik „Antworten“ als „Leisetreter“ kritisiert, der in seiner bisherigen Amtszeit nur wenige vernehmbare Äußerungen von sich gegeben habe. Auch wer den Sachverhalt ähnlich einschätzt, wird diese Zurückhaltung bei gründlicher Überlegung vielleicht als verständlich oder sogar legitim einschätzen.
Der Präsident wurde zu Beginn eines langen, wenn auch seltsam matten Bundestagswahlkampfs gewählt. Programmatische Äußerungen wären vielerorts als Einmischung angesehen worden, hätten die Aura der Überparteilichkeit beschädigt – und hätten seiner Partei kaum genutzt, der ja nach den Verlusten bei den Landtagswahlen des Frühjahrs ohnehin kaum mehr zu helfen war. Nun aber befindet er sich in einer Situation, in der Diskretion wenigstens zeitweise zur Tugend werden kann.
Abgesehen von seinen sonstigen eher repräsentativen Aufgaben kommt dem Bundespräsidenten nämlich bei der Regierungsbildung wenigstens potenziell eine sehr wichtige Rolle zu. Alle bisherigen Bundeskanzler – und auch die anscheinend immerwährende Angela Merkel – wurden auf Vorschlag des jeweiligen Staatsoberhaupts gewählt. Einzig Helmut Kohl kam bei seiner ersten Wahl im Jahr 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum ins Amt, wurde also durch eine Gruppe von Abgeordneten nominiert.
In diesen Fällen gab es im Bundestag stets eine Koalition mit tragfähiger absoluter Mehrheit, deren Kandidaten der Präsident vorschlug. Von dieser Gepflogenheit abzuweichen wäre sinnlos, da eine solche Koalition ihre Vorstellungen in einem folgenden Wahlgang durchsetzen könnte. Bei unklaren Mehrheitsverhältnissen könnte dem Vorschlag des Präsidenten aber durchaus eine entscheidende Bedeutung zukommen.
Bleiben diese Bemühungen erfolglos, so findet ein letzter Wahlgang statt, in dem zur Wahl die einfache Mehrheit genügt. In diesem Fall liegt beim Bundespräsidenten die Entscheidung, ob er die gewählte Person ernennt – die dann also einer Minderheitsregierung vorsitzt – oder aber den Bundestag auflöst.
Diese möglichen Konsequenzen einer misslungenen Regierungsbildung bestimmen die Rahmenbedingungen der bevorstehenden Koalitionsverhandlungen; beide müssen allen Beteiligten gleich unangenehm sein. Eine Neuwahl des Bundestags kann sich vor allem die CSU vor ihrer Schicksalswahl in Bayern nicht leisten. Die Union würde zu einer Neuwahl wohl auch sehr ungern mit einer geschäftsführenden Regierung antreten, in der immer noch die SPD vertreten ist. Eine Minderheitsregierung hingegen wäre auf die Unterstützung des Präsidenten angewiesen und würde vor allem diejenigen Interessenten enttäuschen, die nicht auf den ersehnten Ministersesseln Platz nehmen können. Ein Blick auf die Konsequenzen des möglichen Scheiterns zeigt also, dass eine solche Entwicklung wenig wahrscheinlich ist.
Der Präsident hingegen tut gut daran, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten und diskret zu begleiten und erst im Bedarfsfalle deutlich zu machen, wie er seine Befugnisse auszuüben gedenkt. Programmatische Reden kann er immer noch zu Genüge halten, wenn diese Aufgabe gelöst ist. Uns anderen dagegen, die all diese Parteien nicht gewählt haben, kann es relativ gleichgültig sein, wem am Ende welches Portefeuille zugeteilt wird. Wenn aber Präzedenzfälle für die Zukunft geschaffen werden, wenn also Verfassungsbestimmungen erstmals angewandt werden, die bisher nur auf dem Papier stehen, so liegt es gerade in unserem Interesse, dass dies in fairer und transparenter Weise geschieht. Und dieser wichtigen politischen Aufgabe scheint der neue Präsident nach seinem bisherigen Verhalten durchaus gewachsen zu sein.
Schlagwörter: Bernhard Mankwald, Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, Regierungsbildung