20. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2017

Bemerkungen

Fit für die Suche?

Haben Sie schon mal versucht, in Berlin-Lichtenberg einen Regionalzug zu finden? Das ist was für Abenteuerlustige und die Deutsche Bahn könnte echt noch einen Spaß-Zuschlag erheben. Sie kommen also hoffentlich mit Zeitpolster mit der S- oder U-Bahn in Lichtenberg an. Und Sie suchen dann Ihren Bahnsteig, zum Beispiel den mit dem Zug nach Templin. Hm, schwierig. Die Angabe des Gleises im Fahrplan hilft nicht, wenn Ihr Zug, den Sie vorher im Internetfahrplan gefunden hatten, mit der gewünschten Richtung Templin gar nicht im Fahrplan erscheint…
Also sprinten Sie drei Treppen hoch, um auf den jeweiligen Bahnsteigen Auskunft zu erhalten. Nee, nichts. Sie vermuten, dass …, aber Sie wissen nicht. Also laufen Sie mit nun schon deutlich weniger Zeit zum Service-Centrum der Deutschen Bahn. Halleluja, die wissen nichts an Schalter 1 und 2, an Schalter 3 schließlich wird gesagt, dass es nach Oranienburg ginge und dann ginge es wohl mit Bussen weiter. Aber nichts Genaues wisse man nicht. Ein Blick auf die Uhr und Sie sprinten zum Bahnsteig. Sie sind aber immerhin als Suchende nicht allein – es gibt noch Leute, die ohne Smartphone unterwegs sind… und auch das Internet hat – wie erfahren – doch nicht immer alle Informationen parat.
Atemlos steigen Sie schließlich in den Regionalzug ein, der Sie bis Oranienburg fährt. Und da kann ein Schaffner Sie endlich aufklären, dass Sie in Oranienburg eine knappe Stunde warten müssen auf den Zug nach Rostock, dann in Löwenberg (20 km entfernt von Oranienburg) erneut umsteigen müssen, um an Ihr Ziel zu gelangen. Phhh, blöd genug, aber immerhin eine Auskunft, und freundlich gegeben. Warum keinerlei (oder sichtbarer) Hinweis auf diese Änderungen, die seit Wochen gelten, in Lichtenberg zu sehen war und das Servicepersonal völlig überrascht schien, erklärt das natürlich nicht.
Eine wirklich verrückte Idee kommt Ihnen – es könnten ja wie bei der S-Bahn vor den Treppen zum Bahnsteig Richtungen angegeben werden… Wahnsinn – und dann noch ein gut sichtbarer Hinweis auf Fahrplanänderungen. Wirklich ein irrer Vorschlag. Aber immerhin – Sie haben Ihre Fitness trainiert und konnten das Abenteuerfeeling genießen.

mvh

Wirsing

Um ihre Kompetenz in Fragen der unterschiedlichen Entwicklung deutscher Bundesländer zu unterstreichen, sprach Bundeskanzlerin Merkel auf der Pressekonferenz nach der Wahl den bemerkenswerten Satz: „Ich habe meinen Wahlkreis im sogenannten Osten.“ Was heißt das? Ist der Osten kein Osten mehr und wird nur so genannt? Oder wollte sie eigentlich von der „sogenannten DDR“ sprechen und hat sich im letzten Moment noch bremsen können? Wie dem auch sei, Merkels Wahlkreis liegt auf jeden Fall in der ehemaligen DDR. Auf ihre Kompetenz hat das nicht abgefärbt.

Fabian Ärmel

Bundestagswahl – Nachlese

An den AfD-Ergebnissen der Bundestagswahl in den neuen Bundesländern– mit solchen Highlights wie stärkste Partei in Sachsen (27,0 Prozent) und Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge satte 35,5 Prozent – gibt es nichts zu relativieren. Dass der Osten in der Folge mal wieder zur Schmuddelecke Deutschlands gestempelt wird, lässt allerdings die absoluten regionalen Zahlen der momentanen Wählerschaft der AfD unberücksichtigt, und das hat auch seine Tücken: Legt man im Internet – in offiziellen Portalen und in den Medien – zugängliche Zahlenangaben zugrunde, dann haben etwa in NRW von 13,1 Millionen Wahlberechtigten bei einer Wahlbeteiligung von 75,5 und einem AfD-Anteil von 9,4 Prozent immerhin mindestens 900.000 Menschen die Rechtsausleger gewählt, in Sachsen hingegen waren es bei 3,3 Millionen Wahlberechtigten und einer Wahlbeteiligung von 75,4 sowie einem AfD-Anteil von 27,0 Prozent „nur“ mindestens 700.000… Eine der jetzt am häufigsten bemühten Erklärungen für das Abschneiden der AfD zwischen Kap Arkona und dem Vogtland lautet, dass sehr viele Menschen in Neufünfland sich abgehängt fühlten und der Meinung seien, dass Politik und Staat ihre Probleme weder zur Kenntnis noch gar handlungsleitend ernst nähmen. Da stellt sich die Frage, woher das kommt, woran das liegt.
Ein paar wichtige Teilantworten findet man möglicherweise in der Untersuchung „Entsorgt und ausgeblendet. Elitenwechsel und Meinungsführerschaft in Ostdeutschland“ von Jürgen Angelow, der das, was als Beitritt von der einzig demokratisch gewählten Volkskammer der DDR beschlossen worden war, und als Anschluss, ganz böse Zungen sagen als Kolonisierung, exekutiert wurde, untersucht hat und nachwies: Nicht nur die Macht-, sondern auch die Funktionseliten der DDR wurden praktisch komplett entsorgt.
Mit unter anderem diesen Begleiterscheinungen und Folgen:

  • „Während höhere Posten in der Verwaltung, in den Schulen oder bei der Polizei durch westdeutsche ‚Spitzenkräfte‘ ersetzt wurden, blieben die unteren Gehaltsgruppen den Menschen aus der ehemaligen DDR vorbehalten. Zudem gab es Zulagen für ‚Wessis‘, während sonst die Löhne und Gehälter deutlich unter dem Westniveau lagen. Und nicht immer kamen die besten Kräfte aus dem Westen, häufig waren es diejenigen, die bei sich zu Hause nicht weitergekommen sind.“
  • „In den Regierungsinstitutionen der ostdeutschen Länder und des Bundes sind bereits ab der Ebene der Abteilungsleiter Ostdeutsche so gut wie nicht mehr vertreten. […] Unter 88 Hochschulrektoren befanden sich 2010 nur drei ostdeutsche. Die ostdeutschen Professuren im Bereich der Geisteswissenschaften sind beinahe durchgängig von Westdeutschen besetzt. Kein einziger deutscher General kommt aus dem Osten. Man könnte die Aufzählung fortsetzen. Auch in Sachen Gehaltsentwicklung hinken die Ostdeutschen bis heute hinterher.“
  • „Wohin man schaut, fehlen Ostdeutsche in den Verwaltungen und auf den Chefposten […]. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass dies Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und die nachfolgenden Generationen hat.“
  • „Da die ostdeutschen Sprecher in den öffentlichen Diskursen der Bundesrepublik nicht mehr adäquat repräsentiert und kaum mehr wahrnehmbar sind, werden ostdeutsche Probleme oft ausgeblendet oder verzerrt wiedergegeben. Wenn überhaupt, dann ist ostdeutsche Deutungskompetenz nur bei ostdeutschen Themen gefragt, und da meistens auf einem subalternen Niveau […]. Zu keinem einzigen essenziellen Problem […], ob Steuerpolitik, innere Sicherheit, Außenpolitik, Verhältnis zu den USA usw. wurde jemals ein ostdeutscher Wissenschaftler prominent gehört“

So was (die AfD-Wahlergebnisse) kommt von so was wäre, natürlich zu kurz gesprungen. Aber: So was kommt auch von so was.

Hannes Herbst

Kunst, Kunst, Kunst – und das Publikum (III)

Kunst kommt von Können. Käme es von Wollen, so hieße es Wulst. (Friedrich Nietzsche)

Der Durchschnittsdeutsche hat wenig Selbstvertrauen. Er hält für groß, was er nicht versteht. Sich bei einem Kunstwerk zu amüsieren, erscheint ihm minderwertig. Langweilen muß man sich, dann hat man etwas für seine Bildung getan. (Valeska Gert)

Logik ist die Feindin der Kunst. Aber Kunst darf nicht die Feindin der Logik sein. (Karl Kraus)

Der Künstler ist ein Exhibitionist aus Demut vor der Wahrheit. (Tilla Durieux)

Es gibt ein Kunstgesetz, das ewig ist: wir wollen nicht gelangweilt werden. (Kurt Tucholsky)

gefunden von bebe

Kurze Notiz

… zu Schönebeck

Schönebeck ist ein touristischer Geheimtipp – und man wird sehr viel über diese Stadt schreiben können und sie wird immer noch ein Geheimtipp bleiben, einfach weil es so unwahrscheinlich ist, dass sich jemals größere Besucherströme hierhin ergießen.
Dass Schönebeck so unscheinbar und den Menschen im Land so unbekannt ist, hat historische Gründe. Im Erzbistum und späteren Herzogtum Magdeburg stand die Stadt im Schatten der ebenso nahen wie mächtigen Residenzstadt. Als Saline- und Hafenstadt an der Elbe konnte Schönebeck nicht mit dem ungleich bedeutenderen Halle an der Saale mithalten. Und im neuen Jahrtausend hat Schönebeck seinen Rang als Kreisstadt an das ebenso provinzielle Bernburg verloren. Kurz: Die Stadt ist wie ein kleines Geschwisterkind, das dummerweise mitgenommen werden muss, wenn die großen Jungs spielen.
Hier hat sich nie etwas Großartiges ereignet, hier ist niemand Besonderes vorbeigekommen oder geboren worden. Schönebeck, so scheint es auf den ersten Blick, lohnt kaum der Erwähnung. Aber!Aber dann eben doch. Gerade weil sich hier nie der große Wandel vollzogen hat, sind noch viele Spuren des Alten da. Was an Geschichte nicht am Wegesrand steht, lässt sich im Salzlandmuseum besichtigen: Auf die Salzquellen der Vorzeit folgt fast nahtlos die gute, beschauliche Kaiserzeit, als unzählige Kähne das Schönebecker Salz in die Welt hinausfuhren.
Heute ist es deutlich ruhiger in der Stadt, die zum Flanieren am Gradierwerk im Kurpark oder am Elbufer einlädt. Eine weiß strahlende Brücke führt über den Fluss in das ostelbische Nichts. Es gibt keinen Grund, weiter zu ziehen. Also bleibt man irgendwo zwischen Gedenkplatten, Denkmälern, Schautafeln und Kunstwerken, die von Anno Dazumal berichten, kleben. Und noch am Markt, zwischen modernen Wasserspielen und wilhelminischen Brunnen, hängt so viel Vergangenheit in der Luft, dass man nicht verwundert wäre, wenn der Kaiser höchstselbst im nahen Café seinen Cappuccino trinken würde.

… zu Stendal

Früher gab es viele Städte in der Altmark. Gotische Backsteinkathedralen und Hanseheimatfeste künden noch in der kleinsten Dorfgemeinde vom einstigen Glanz dieser Region. Inzwischen aber ist Stendal die einzig übriggebliebene Stadt im weiten Norden Sachsen-Anhalts. Alle anderen Orte sind kaum der Rede oder des Besuchs wert.
Stendal fungiert in erster Linie als Dreh- und Angelpunkt der Altmark. Der örtliche Bahnhof spielt für den regionalen Verkehr eine herausragende Rolle, die Hochschule, das Theater, das Kino, der Dom: Ohne Stendal, so scheint es, hätte die Altmark nichts außer Kohlrüben und Wölfe.
Die Stadt selbst kommt erstaunlich geduckt daher. In der Innenstadt überragen steile Kirchen die niedrigen Häuser. Das Rathaus prunkt am Marktplatz, im Café gibt es Kalten Hund und Altmärker Hochzeitssuppe, auch ohne Trauschein. Enge, gewundene Straßen mit seltsamen Namen führen vom Platz zu den vielen Toren der einstigen Stadtmauer: Hoock, Karnipp, Wüste Worth – Das plattdeutsche Erbe der Stadt dringt nach wie vor durch.
Überhaupt die Geschichte: In Stendal erinnert nichts daran, dass hier einst Albrecht der Bär auf Hasenjagd ging, der Alte Fritz das Querflötenspiel erlernte und Napoleon gleich zwei Mal im ersten Hotel am Platz und denselben Zimmermädchen übernachtete. Selbst an Stendals bekanntesten Sohn, den Schriftsteller Ludwig Turek, erinnert nichts. Oder an diesen Franzosen, der sich nach der Stadt Stendhal benannte. Stattdessen widmet sich die Stadt ganz dem Gedenken an den Archäologen Johann Joachim Winckelmann, der sich in Italien beraubmorden ließ (er zeigte einem kleinkriminellen Stricher seine wertvolle Münzsammlung) und dem in seiner Heimatstadt ein Museum gewidmet ist.
Lohnt es sich also, Stendal zu besuchen? Im Fahrradladen werden auch Waffen verkauft. Im Tiergarten heißt es: „Achtung, Tiger spritzt mit Urin“ und irgendein Museum hat natürlich immer zufällig gerade heute geschlossen. Aber ja, ein Stück Kalten Hund durchzusäbeln und sich dabei zu freuen, hier nicht für immer leben zu müssen, ist kaum anderswo so erfrischend wie in Stendal.

Thomas Zimmermann

Medien-Mosaik

Die Leipzigerin Franziska Meletzky hat unseren Honni auf die Leinwand gebracht, und das nach einer Originalidee von Markus Thebe. Originalidee? Die ist wohl eher von einem Team um Ernst Lubitsch. Der zeigte 1942 in der Tragikomödie „Sein oder Nichtsein“ eine Warschauer Schauspieltruppe, die kurz vor Kriegsausbruch eine antifaschistische Komödie probiert, in der auch Hitler auftritt. Als die deutschen Besetzer und ein Besuch Hitlers die Truppe in ernste Bedrängnis bringen, schlüpfen die Schauspieler in ihre Bühnenrollen, um die Deutschen zu übertölpeln.
„Vorwärts immer!“ heißt das Lustspiel, das diese Grundidee in den Herbst 1989 versetzt. In Leipzig nehmen die Montagsdemonstrationen immer größere Dimensionen an, als in einem Ostberliner Theater an einem Stück über das Politbüro geprobt wird. Da ein Schauspieler durch seine ausreisewillige Tochter in Bedrängnis gebracht wird, beschließt man, in Maske und Kostüm ins Politbüro einzudringen, um das Schlimmste zu verhindern.
Das ist eine Farçe, und mit einigen stilistischen Brüchen wird sie so auch gespielt. Besonders Jörg Schüttauf als echter und falscher Honecker sowie Alexander Schubert und André Jung als ebensolche Krenz und Mielke können ihrem Affen Zucker geben. Über Josefine Preuß und ihren „Dialekt“ deckt man allerdings lieber den Mantel des Schweigens. Von der Grundkonstellation ist alles unausgegoren, falsche Fakten werden transportiert – sowohl über die Situation in Leipzig als auch über Biermann, von dem frischweg behauptet wird, sein Köln-Konzert sei 1976 verboten worden. Es soll ja nur komisch sein!
Da ich immer vom Schlimmsten ausgehe, kann vorausgesagt werden, dass das unausgegorene Lachstück 2018 mit dem Lubitsch-Preis ausgezeichnet wird.

Vorwärts immer!, Regie Franziska Meletzky, Verleih DCM Film Distribution, seit 5.10. in zahlreichen Kinos.

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Gehört eine Ausstellung ins Medien-Mosaik? Immerhin ist sie aus vielen Wand-Zeitungen zusammengesetzt! In die Zeit der Wandzeitungen führt die Ausstellung „Die Kinderzeitschrift BUMMI zwischen Spielzeugland und sozialistischer Ideologie“. Bis heute hat die Zeitschrift aus dem Verlag Junge Welt überlebt und erscheint nach dem Verkauf durch die Bauer-Gruppe seit diesem Sommer bei Blue Ocean Entertainment der Burda-Gruppe. BUMMI ist jetzt unpolitischer geworden, und das kann gut oder schlecht sein. In der von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderten Ausstellung geht es überwiegend um die mehr als drei BUMMI-Jahrzehnte in der DDR. Der inhaltliche Zwiespalt dominiert die Ausstellung nicht, wird aber deutlich thematisiert.
Als Freund der Kinder aus dem Spielzeugland wurde Bummi 1957 eingeführt. Ursula Böhnke-Kuckhoff war von 1957-1989 Chefredakteuerin und darüber hinaus noch jahrelang eine der Autorinnen. Sie schrieb auch das von Hans Naumilkat vertonte Bummi-Lied, das bis heute gesungen wird. Ingeborg Meyer-Rey gab Bummi das Aussehen, das lange beibehalten wurde, sich aber inzwischen gewandelt hat. Seinerzeit (und teilweise bis heute) gab es Bummi-Kindergärten, Bummi-Kaufhäuser, Bummi-Lauflernschuhe, Bummi-Wettbewerbe. Dass in den BUMMI-Heften nicht nur Bastelbögen (von Richard Hambach, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre) sondern auch Erzählungen über Lenin oder Thälmann abgedruckt wurden, kann Indoktrination, oder, wie es Margot Honeckers Pädagogen meinten, Geschichtsvermittlung genannt werden. Wer hat Recht?
Wer den Weg ins brandenburgische Reckahn scheut, wo man nicht nur Wandzeitungen, sondern auch Vitrinen mit Bummi-Objekten und Filme am Monitor betrachten kann, sollte zu dem liebevoll gestalteten Ausstellungskatalog der Kuratoren Jeannette Toussaint und Ralf Forster greifen, der verschiedene Aspekte der BUMMI-Geschichte aufgreift und mehrere der künstlerischen Mitarbeiter porträtiert, darunter neben Meyer-Rey und Hambach auch Manfred Bofinger, Ingeborg Friebe, Christine Klemke und Reinhard Link.

Die Kinderzeitschrift BUMMI zwischen Spielzeugland und sozialistischer Ideologie, Rochow-Museum im Schloss Reckahn, noch bis 10.12.17, tgl. außer montags;
Silke Siebrecht-Grabig (Hg.), BUMMI – Vom Spielzeugland in die ostdeutsche Wirklichkeit, Rochow-Edition, Reckahn 2017, 100 Seiten, 15,00 Euro.

bebe

Die Müll-Ecke

Im politischen cosi fan tutte („so machen es alle“) nach den jüngsten Wahlen – realistischer müsste man sagen tutti con tutti („jeder mit jedem“) – kann man leicht die Übersicht verlieren. Dem geschätzten Kollegen Frederick Bombosch von der Berliner Zeitung gelang dieser Tage eine tiefsinnige Beschreibung des Dilemmas der Berliner Grünen, nämlich „wie sie es bewältigen wollen, auf Landesebene zwar mit SPD und Grünen zu regieren, zugleich aber Kompromisse mit FDP und CSU im Bund verteidigen zu müssen.“ Wir sind verwirrt. Wie in Gottes Namen regieren die Berliner Grünen in Berlin eigentlich mit SPD und Grünen? Da muss doch ein erhebliches Konfliktpotenzial im Verborgenen liegen!

G.H.

multipolar aktuell

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Ende des Kalten Krieges scheinen dessen Lehren schon weitgehend vergessen zu sein. In Europa kommt es zu neuer Konfrontation, werden Truppen an die Grenzen zwischen NATO und Belarus/Russland verlagert, finden auf beiden Seiten große Manöver statt. Kernwaffen werden modernisiert, ein „Raketenabwehrschild“ installiert. Die Wiederherstellung von Vertrauen verlangt aber auf beiden Seiten ein gewisses Maß von Empathie, eben Verständnis für die Interessen, Probleme und Motive des anderen. Dazu gehört auch, das Sicherheitsdenken der anderen Seite zu kennen, sich mit seinen Interessen, Zielen und militärpolitischen Maßnahmen auseinanderzusetzen. In der aktuellen Ausgabe von multipolar beschäftigen sich deshalb deutsche Militärexperten mit den Sicherheitsdoktrinen von drei eurasischen Mächten: Deutschland, Russland und China.
Um die Entwicklungen im eurasischen Raum besser verstehen zu können, erweist es sich als nützlich, die Konzeption des Eurasismus zu kennen, die Sergej Biryukov und Andrej Kovalenko (Russland) analysieren. Immerhin sieht die Elite Russlands das Vielvölkerreich als eine eurasische Macht, die eine Vielzahl von Kulturen und Nationalitäten vereinigt, wie Außenminister Sergei Lawrow jüngst erklärte. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit Indiens Position zu Afghanistan, einer Bilanz der ersten Rohani-Präsidentschaft in Iran, der Diskussion über eine neue NATO-Strategie und den ersten außenpolitischen Schritten der Trump-Administration.

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multipolar – Zeitschrift für kritische Sicherheitsforschung, Ausgabe 2/2017, (Schwerpunktthema: „Sicherheitsdoktrinen eurasischer Mächte“), Potsdam, Einzelpreis: 9,90 € / Jahresabonnement: 25,00 €. Weitere Informationen im Internet.

Blätter aktuell

Mit der AfD ist zum ersten Mal in der Geschichte eine in weiten teilen rechtsextreme Partei ins Parlament eingezogen. Ihre mediale Selbstinszenierung als Opfer der sogenannten Lügenpresse hat wesentlich zu diesem dramatischen Ergebnis beigetragen, so der Politikberater Johannes Hillje. Umso dringlicher stellt sich nun die Frage, wie ein kritischer Umgang mit der AfD in den Medien aussehen kann, der der Partei nicht weiter Auftrieb verschafft.
Nach der russischen Revolution von 1917 gab sich die Kommunistische Internationale einen weltweiten Geltungsanspruch. Der rote Stern sollte von Moskau aus als Hoffnungszeichen für die Proletarier aller Länder gelten. Die beiden Garantiemächte des globalen Kommunismus – die Sowjetunion und später China – trugen diese Bewegung über einen Großteil des 20. Jahrhunderts. Diese ist inzwischen erlahmt, prägt aber, so der Historiker Gerd Koenen, bis heute die chinesische Politik: In Peking verbinden sich maoistische Kontrolltechniken mühelos mit kapitalistischer Unternehmensführung – zu einem späten Triumph des Kommunismus im realexistierenden Kapitalismus.
Das Schlagwort „Industrie 4.0“ ist derzeit in aller Munde. Diese neue Form der Hightech-Produktion prägt bereits den Alltag in jeder Lidl-Filiale: Vernetzte Maschinen übernehmen mehr und mehr Management-Aufgaben und steigern so die Ausbeutung der Mitarbeiter. Doch obwohl gerade geringqualifizierte Beschäftigte dadurch zunehmend austauschbar werden, handelt es sich keineswegs um eine neue industrielle Revolution, so der Journalist Matthias Becker. Vielmehr treibt die „späte Digitalisierung“ die computergestützte Rationalisierung nur weiter auf die Spitze.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Ryanair: Der Hohe Preis des billigen Fliegens“, „China: Auf dem Sprung zum Global Player“ und „EU: Rüstung ohne Rechtsgrundlage“

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Oktober 2017, Einzelpreis 9,50 Euro, Jahresabonnement 79,80 Euro (Schüler und Studenten 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

WeltTrends aktuell

Das Jahr 2017 gibt auf sein Ende hin einen nachdrücklichen Anlass, wieder über das Phänomen Revolution nachzudenken. Die russischen Revolutionen von 1917, vor allem die im Oktober, die das Attribut „groß“ erhielt, sollten Fortschritt in einem rückständigen Land und Frieden in ein vom Krieg zerrüttetes Europa bringen. Das Schwerpunktthema widmet sich diesem Jahrhundertereignis – seinem „Platz in der Geschichte“, aber auch den internationalen Auswirkungen. Vladimir Fomenko (Moskau) veranschaulicht in seinem Beitrag die widersprüchliche Rezeption im heutigen Russland.
Im WeltBlick geht es um das Pipelineprojekt Nord Stream 2 wie auch um die Wasserfrage im Nahostkonflikt. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Verhältnis der deutschen Linken zur NATO und dem autoritären Wandel der AKP in der Türkei. Im Kommentar setzt sich Michael Harms, Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, mit den jüngsten US-Sanktionsmaßnahmen gegen Russland auseinander.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 132 (Oktober) 2017 (Schwerpunktthema: „Russische Revolutionen“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.