20. Jahrgang | Nummer 19 | 11. September 2017

Weiche Währung aus dem Nichts

von Bernhard Mankwald

Seit Jahren entwickelt sich auf diesen Seiten eine recht lebhafte Debatte über die Natur des Geldes. Zuletzt hat Ulrich Busch im Blättchen 16/2017 (siehe auch 4/2014) seine Auffassung zu dieser Frage dargelegt, die den Leser allerdings eher verwirrt zurücklässt. Denn einerseits schließt sich der Autor der volkstümlichen Meinung an, dass aus nichts auch nichts wird, andererseits soll dieses „Nichts“ doch etwas für uns alle sehr wichtiges sein, nämlich eben Geld. In dieser allgemeinen Form ist das aber bestenfalls eine Halbwahrheit, da die Akteure dieser Art von „Geldschaffung“ nicht Geld schlechthin produzieren, sondern immer nur eine bestimmte Währung – und es ist keinesfalls gleichgültig, ob es sich dabei um US-Dollars handelt oder etwa um argentinische Pesos.
Zur Zeit des Goldstandards waren solche Unterschiede in der Tat von zweitrangiger Bedeutung: die Zwanzigmarkstücke der verschiedenen deutschen Länder waren annähernd so viel wert wie ein britisches Pfund Sterling, weil sie fast die gleiche Menge Gold enthielten. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs verschwanden diese Münzen aus dem Zahlungsverkehr, und die genannten Währungen nahmen eine sehr ungleiche Entwicklung.
Deutsche Regierungen machten im Krieg und erst recht danach hemmungslos von der Notenpresse Gebrauch; das Geld musste schließlich in Waschkörben ausgeliefert werden. Von ehrlicher Arbeit konnte man nicht mehr leben, da der Lohn zu schnell wertlos wurde. Spekulanten dagegen finanzierten mit Krediten riesige Unternehmenskäufe und zahlten mit wertlosem Geld zurück. Schließlich wurde die Mark durch eine neue stabile Währung ersetzt, die zunächst Rentenmark, dann Reichsmark hieß; der Umtauschkurs lag bei eins zu einer Billion. – Eine derartige „Geldfälschung durch die Regierung“ war aber höchstens dem Ausmaß nach neu. Schon Karl Marx beschrieb das Phänomen; ich berichtete darüber im Blättchen 22/2014.
Die britische Währung dagegen blieb annähernd stabil. Winston Churchill führte in seiner Zeit als Finanzminister den Goldstandard wieder ein; die deflationäre Wirkung dieser Maßnahme führte zu einer Wirtschaftskrise, zu ernsthaften innenpolitischen Auseinandersetzungen – und zum vorläufigen Ende der Karriere dieses Politikers. Durch die Praxis lernte man so, dass ein Hauch von Inflation dem wirtschaftlichen und sozialen Klima durchaus zuträglich sein kann.
In den Vereinigten Staaten existierte noch bis 1971 ein Goldstandard, der sich bei näherer Betrachtung aber als Mogelpackung erweist. Privatpersonen in den USA war der Besitz von Gold in diesem Zeitraum sogar verboten, und andere Staaten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg derartige Schulden bei den USA, dass sie für ihre Dollars eine bessere Verwendung hatten, als sie ausgerechnet in Gold umzutauschen. Dies änderte sich erst durch kostspielige Kriege wie den in Vietnam – und durch den Niedergang vieler Branchen der amerikanischen Industrie.
Eine bestimmte Währung kann man nach dem Zusammenbruch dieses Systems also als eine Ware betrachten, deren Gebrauchswert in ihrer Eignung als Zahlungsmittel liegt und die nur von bestimmten Akteuren ausgegeben werden kann und darf. Diese Akteure können das in der Tat nach Belieben tun – sind aber sehr wohl beraten, die Folgen ihrer Handlungen für die Volkswirtschaft zu berücksichtigen. In der Währungspolitik geht es demnach vor allem um die richtige Balance zwischen den bereits geschilderten Extremen der Deflation und der Hyperinflation. Die Europäische Zentralbank etwa strebt mit allen verfügbaren Mitteln eine leichte Inflation von 2 Prozent an; das angeblich veraltete Konzept des Schwundgelds verfolgte ähnliche Ziele.
Aus der Sicht einer bestimmten Währung erscheinen die anderen gängigen Währungen als Waren; deren Preise werden in den Tageszeitungen notiert. Umgekehrt wird ihr eigener Warencharakter aus der Sicht anderer Währungen deutlich; der Wert des Euros lässt sich in Schweizer Franken, in verschiedenen Arten von Dollars und Kronen oder in anderer Valuta angeben.
Karl Marx hatte den Wert der verschiedenen Währungen auf eine bestimmte Menge Gold (oder in manchen Fällen auch Silber) zurückgeführt. Diese von ihm beschriebene „Geldform“ des Tauschwerts könnte man daher präziser als „konkrete“ Geldform bezeichnen und durch eine „abstrakte“ Geldform ergänzen, die diese feste Bindung aufgibt. Der Wert einer bestimmten Währungseinheit spiegelt sich hier in einem ganzen Warenkorb wider. Man könnte auch von einer „absoluten“ Geldform reden, da der Wert der Währungseinheit von jeder einzelnen Ware losgelöst (lateinisch absolutus) ist. Das erwähnte Beispiel der deutschen Inflation zeigt die damit verbundene Gefahr, dass das Geld auch absolut wertlos wird.
Der Euro setzt als Warenkorb einzelner Währungen noch einmal eine weitere Ebene der Abstraktion auf dieses ökonomische Luftschloss. Die Geldmenge wird damit zentral geregelt; fürs ganze europäische Haus gibt es gewissermaßen nur noch einen Thermostaten. Damit also die Wirtschaft der BRD nicht überhitzt, müssen die Bewohner von Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal in einem recht ungesunden ökonomischen Klima ausharren.
Dass Gold im Gegensatz zur Auffassung Ulrich Buschs immer noch Geld sein kann, dass also im Sinne der hier versuchten Definition Zahlungsmittel einer bestimmten Währung daraus hergestellt werden, zeigen unter anderem die 100-Euro-Münzen der Bundesrepublik, die hierzulande als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. In dieser Funktion wird man sie aber wohl kaum antreffen, da ihr Marktwert das Mehrfache des Nennwerts beträgt. Dieses Phänomen wiederum hängt sicher damit zusammen, dass man das verwendete Material eben nicht wie die bisher erwähnten mehr oder weniger weichen Währungen aus dem „Nichts“ erschaffen kann. Seine Knappheit ist daher nicht durch die kluge Selbstbeschränkung einer Zentralbank bedingt, sondern durch die Mühe, die nötig ist, um es Gramm für Gramm aus Tonnen von Felsgestein zu gewinnen. Der Tauschwert solcher Münzen beruht daher – ganz im Sinne von Marx – auf ihrer Eigenschaft als „vergegenständlichte menschliche Arbeit”.