von Waldemar Landsberger
Rechte Aussagen machten oft sprachlos, erklärt das Netzwerk „Gegenargument“. „Wir alle“ seien mit neuen Herausforderungen im Umgang mit rechten Positionen konfrontiert und manchmal verunsichert. Gegenargument solle dabei unterstützen, die eigene inhaltliche Position zu stärken sowie mehr Souveränität in konkreten Gesprächssituationen zu vermitteln.
Es handelt sich um ein „Netzwerk selbstständiger Freiberufler*innen“, das ein Seminarkonzept zum Umgang mit (extrem) rechten und rassistischen Positionen entwickelt hat. „Durch eine Vielfalt von interaktiven, wissensvermittelnden und reflektierenden Methoden werden Teilnehmende in ihrer unmittelbaren Argumentationssicherheit und politischen Meinungsbildung unterstützt.“
Dass auch argumentativ etwas gegen das Nazitum und seine Wurmfortsätze in diesem Lande getan werden muss, steht außer Zweifel. Aber warum soll die „normale“ Argumentationsfähigkeit der „normalen“ Menschen nicht reichen? Wahlentscheidungen werden ohnehin überwiegend im Familienkreis oder im Arbeitszusammenhang getroffen, in der Regel ohne direktes äußeres Zutun. Was sollen da professionelle Argumentationsexperten bewirken? Die kommen dann in die Schulen oder in Interessierten-Seminare wie der Desinfektor in die Hühnerfarm? Der verabreicht dort Mittel gegen Hühnermilben, die verbreiten hier Mittel gegen die bösen Argumente.
Zunächst heißt Netzwerk von Freiberuflern: Die Beteiligten leben davon, dass sie diese Seminare durchführen. Das heißt, je größer der „Markt“, desto höher die Nachfrage, je lauter die „rechte Gefahr“ beschworen wird, desto auskömmlicher lässt sich von ihrer Bekämpfung leben.
Das Spektrum der Nachfrager ist breit. Auf der Webseite des Netzwerkes finden sich unter anderem verschiedene Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus, die Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Alice-Salomon-Hochschule Berlin, der Kreisjugendring Nürnberger Land, die Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen sowie die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen, die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD und die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Auf der Webseite der letzteren ist derzeit ein Material herunterzuladen: „Haltung zeigen! Gesprächsstrategien gegen Rechts“. Die vier Autorinnen gehören dem Netzwerk „Gegenargument“ an. Zunächst Frauke Büttner; sie ist „selbstständige Politologin“, „Beraterin, Coach und politische Bildnerin“ und „arbeitet seit 2002 in der Rechtsextremismus- und Rassismusprävention“. Schon in der Tätigkeitsbeschreibung kommt zum Ausdruck, dass diese Gewerbetreibenden meinen, solche „Prävention“ betreiben zu können, wie andere Prävention gegen Hühnermilben. Mit am Schreiben waren die Politologin Wiebke Eltze, die Sozialwissenschaftlerin und Gender-Spezialistin Lisa Gutsche, ferner die „Geschlechter- und Erziehungswissenschaftlerin“ Juliane Lang.
Die methodischen Hinweise, die im allgemeinen Teil geliefert werden, sind gewiss hilfreich und gelten in der Tat immer: Das Gegenüber drängen, aus einem Bündel von Aussagen jeweils die einzelnen Argumente gesondert zu diskutieren, die Auseinandersetzung auf der Sachebene zu führen, systematisch nachzufragen, den „Gesprächsverlauf nicht-konfrontativ [zu] steuern“, „rassistische“ Aussagen auf den Kern zuzuspitzen.
Bei den themenbezogenen Argumentationsmustern ist es allerdings anders. Zunächst zeigt sich, die Geisteswissenschaftlerinnen können nicht rechnen. Auf das „rechte“ Argument, die Flüchtlinge würden „Deutschland überfremden“, bieten sie zuerst an: „Hier im Land leben 82,2 Millionen Menschen. Wenn – wie im Jahr 2015 – eine Million Menschen hinzukommen, ist das noch nicht mal ein Prozent.“ Es sind 1,22 Prozent. Aber unter ein Prozent klingt natürlich beruhigender. Besonders, wenn man in diesem Kontext gänzlich unerwähnt lässt, dass 2015 bereits insgesamt über 17 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland lebten; das sind 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus diesem Jahr.
Doch zurück zu den vier Autorinnen. Da sie der Stärke ihres Nur-ein-Prozent-Arguments offenbar selbst nicht trauen, wird noch nachgeschoben: „Du hast Angst, die (neuen Migranten – W.L.) überfremden das Land mit einer bestimmten Kultur? Wenn ein Prozent der hier lebenden Menschen Metal-Musik hört, sind wir dann alle automatisch Metal-Fans?“ Das ist ein Scheinargument. Aus den Tagesnachrichten ist wohl jedem bekannt, dass junge Muslime mit „Allahu Akbar“-Rufen Menschen ermordet oder verletzt haben. Von Heavy Metal-Anhängern gibt es solche Nachrichten nicht.
Das Terrorproblem soll an anderer Stelle abgearbeitet werden. Der „rechte“ Satz heißt hier: „Wir befinden uns im Krieg!“ Dem wird im ersten Schritt entgegengestellt: „Ich sehe hier keinen Krieg, sondern Terroranschläge. Und ich sehe Menschen, die vor Bürgerkriegen und Umweltzerstörung in ihrer Heimat geflohen sind.“ Abgesehen davon, dass die Netzwerkerinnen an dieser Stelle selbst einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terroranschlägen hergestellt haben, berechtigen Bürgerkrieg und Umweltzerstörung in den Herkunftsländern wohl kaum zu Terroranschlägen hierzulande. Auch im kleingedruckten Erklärungstext wird darauf nicht eingegangen, sondern nur gegen einen „Generalverdacht“ gegen Migranten zu argumentieren versucht. Bei diesem Antwortmuster gibt es ebenfalls wieder ein zweites. Das lautet: „Die Anschläge sind sehr schlimm, aber Krieg sehe ich hier nicht. In Deutschland sterben deutlich mehr Menschen an Krankenhauskeimen als an Terroranschlägen.“ Was dabei allerdings völlig fehlt ist – Empathie, sowohl für die Terrortoten als auch für die Opfer der Krankenhauskeime.
Da stellte sich zum Beispiel die Frage, wie denn die Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen solche Argumentationsbelehrung bewertet? Sachlich stimmt die Aussage ja. Walter Popp, Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, schätzt die Zahl der Toten durch Krankenhauskeime auf jährlich 30.000 bis 40.000. Die Zahl der Mauertoten betrug von August 1961 bis November 1989 nach Angaben des Zentrums für Zeithistorische Forschung 139 – in 28 Jahren, das waren im Durchschnitt fünf pro Jahr. Wenn ich jedoch sagte, fünf Mauertote im Jahr sind angesichts von 40.000 Krankenhaustoten eine irrelevante Größe, würde ich sofort als unverbesserlicher Stalinist und Verteidiger des „Unrechtsstaats“ gebrandmarkt. Wahrscheinlich auch durch die Autorinnen des Papiers. Aber deren Argumentationsfigur bewegt sich auf genau solcher Ebene.
Zudem stellt sich die Frage, ob die Netzwerkerinnen bei der politischen und ideologischen Breite der Auftraggeber jeweils nachfragerbezogene Argumentationsfiguren zu liefern imstande sind, oder ob es mit einem allgemein-antifaschistischen Grundmuster sein Bewenden haben soll. So heißt es im Einleitungsteil, eine rechte Strategie sei auch die „Umdeutung und Vereinnahmung von Begriffen“. Ein Beispiel sei „der Terminus der ‚Demokratie‘, der im rechten Diskurs häufig mit direkter Demokratie und Volksabstimmungen gleichgesetzt wird. Gewählte Parteien werden im rechten Denken nicht als Vertreter der Bürger_innen angesehen, sondern als elitäre Gruppe, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist.“ Hier ist völlig ausgeblendet, dass die Linke seit Jahren für mehr direkte Demokratie und Volksabstimmungen eintritt. Und Herrschaftskritik, die bürgerliche Regierung als Sachwalterin von Kapitalinteressen identifiziert, gehört nun wirklich seit Karl Marx zur Grundausstattung linker Gesellschaftsanalyse.
Es gibt dann zwar die Argumentationsschleife, es gehe nicht darum, „die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik als fehlerlos hinzunehmen“. Der Unterschied zwischen „rechter“ und „linker“ Gesellschaftskritik wird jedoch nicht wirklich deutlich gemacht. Tatsächlich haben wir es hier mit einer Argumentationsweise zu tun, die recht gut zu Sozialdemokratie und Grünen passt, aber nicht zur Linken.
An anderen Stellen wird das noch stärker sichtbar: Wieder zunächst die „rechte“ Aussage, dieses Mal in Sachen Islam: „Das ist eine ganz schlimme Kultur, dort werden Menschen gefoltert!“ Als politisch korrekte Antwort wird präsentiert: „Ich finde Folter auch grauenhaft. Sie kommt leider in den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen zum Einsatz. Was können wir gegen Folter weltweit tun?“ Der letzte Satz ist eine Ausrede; wer für „die Welt“ verantwortlich sein will, ist konkret für nichts verantwortlich. Hätte man nicht wenigstens einen Satz über Saudi-Arabien mit seiner wahabistischen Islam-Variante einfügen können, wo auch ohne Bürgerkrieg von Staats wegen gefoltert, ausgepeitscht und geköpft wird? Natürlich, Sozialdemokraten und Grüne waren an Bundesregierungen beteiligt, denen gute Beziehungen zu Saudi-Arabien schon aus Wirtschaftsgründen stets politisches Ziel waren. Aber hätte man in eine Argumentationshilfe, die die Linke bezahlt hat, nicht auch ein paar linke Argumente hineinschreiben können?
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