20. Jahrgang | Nummer 12 | 5. Juni 2017

Antworten

Konstantin Wecker, Preisträger und Jubilar – Dass Alter milde macht, ist ein Allgemeinplatz, konnte an Ihnen aber noch nicht beobachtet werden. Eher im Gegenteil, wie Ihre Bemerkung zum Tod Leonard Cohens und zum Wahlsieg Donald Trumps im Spätherbst 2016 erst wieder zeigte. Und so mag es zwar Zeiten gegeben haben, zu denen Sie den Bayerischen Staatspreis für Musik womöglich mit Nachdruck zurückgewiesen hätten, weil Ihnen so viel Staatsnähe, zumal mit Weißwurst-Hautgout, suspekt gewesen wäre. Dieser Tage aber haben Sie ihn aus der Hand des bayerischen Kunstministers Ludwig Spaenle entgegengenommen, und das war gut so, denn verdient haben Sie ihn allemal. Wenn auch vielleicht nicht unbedingt dafür, dass Sie sich, wie der Minister bei der Verleihung launig anmerkte, „in besonderer Weise um die Musik, das Singen und Musizieren in Bayern verdient gemacht haben“. Aber auf jeden Fall dafür, dass Sie neben Reinhard Mey und Hannes Wader zu den größten Barden Ihrer Generation zählen, und allein für den „Willy“ sowieso. Wir gratulieren von Herzen. Wie auch nachträglich zum 70., den Sie am 1. Juni begingen.

Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Vorsitzender – Beim Evangelischen Kirchentag fragten Sie die Bundeskanzlerin, warum auch Asylbewerber aus Deutschland abgeschoben würden, die bereits bestens integriert seien. Angela Merkel verwies auf „Ermessensspielräume“. Als die Duisburger Behörden jüngst die in Deutschland geborene 14-Jährige Bivsi Rana, eine der besten Schülerinnen ihrer 9. Klasse, nach Nepal abschieben ließen, von wo Bivsis Eltern vor 19 Jahren (!) nach Deutschland gekommen waren, nannten sie ihre Entscheidung „ohne Alternative“. Nun wissen Sie, was die Kanzlerin offenbar unter „Ermessensspielräumen“ versteht.

Arno Widmann, bisweilen auch im Blättchen Gelobter – In Ihrer Kolumne „Böses Denken“ in der Berliner Zeitung äußern Sie Ihre Meinung zu den sogenannten Verteidigungsausgaben, die Sie später durchaus treffend als Kriegsausgaben charakterisieren und dennoch rechtfertigen. Abgesehen davon, dass sich über diese Meinung streiten lässt, stößt ein Nebensatz auf: „… seit sich Europa von Putin mit einer lächerlichen Maskerade die Krim hat wegnehmen lassen …“ Haben Sie neue historische Erkenntnisse? Hat Nikita Chruschtschow die Halbinsel 1954 an „Europa“ verschenkt? Aber wer repräsentierte dieses „Europa“ damals? Es scheint, als lasse diese Ihre Passage ahnen, warum Wladimir Putin tat, was er getan hat.

Matthias Naß, im besten Falle Zyniker – Ihr Brötchengeber ist Die Zeit. Vor dem jüngsten Evangelischen Kirchentag fragten Sie mit Blick auf Barack Obama: „Lädt der Kirchentag also den Richtigen ein?“ Und antworteten mit Emphase: „Ja, denn Obama legte an die Politik, gerade die Außenpolitik, nicht nur den Maßstab des Interesses, sondern auch den der Moral an. Ihm ging es um die Menschen- und Freiheitsrechte, er verteidigte Prinzipien […].“
Im Juli 2016 war ein offizielles Papier der Obama-Regierung zu deren Drohnenkrieg veröffentlicht worden. Daraus ging hervor, dass im Zeitraum 2009 bis 2015 in Pakistan, Somalia, Libyen und Jemen 473 Drohnen-Angriffe geflogen worden waren – mit folgenden Ergebnissen: „Combatants Deaths“ 2372–2581; „Non-Combatants Deaths“ 64–116.
„Non-Combatants“ ist beim Militär der USA der terminus technicus für Zivilisten, Frauen, Kinder und Alte eingeschlossen. Deren kollaterale Ermordung erfolgte also, wenn wir Sie richtig verstehen, nach dem Maßstab der Moral und wegen Freiheits- und Menschenrechten? Ist das eigentlich bloß zynisch (im Sinne von „auf grausame, den Anstand beleidigende Weise“) oder müsste man hier bereits zu einer völlig anderen Bewertung greifen?

Patrick Bernau, im besten Falle dumm wie Bohnenstroh – Ihr Brötchengeber ist die FAZ. Die Causa beschreiben Sie so: „Die Europäische Kommission hat Facebook jetzt eine regelrechte Lüge nachgewiesen […]. Als Facebook im Jahr 2014 den Nachrichtendienst Whatsapp kaufte, argwöhnten alle: Kombiniert Facebook jetzt seine Nutzerdaten mit denen von Whatsapp? Facebook beteuerte: Nein nein, das geht technisch gar nicht. […] Es ging doch. Vergangenes Jahr begann Facebook, die Konten der Nutzer auf den beiden Diensten zusammenzuführen. Dass das gehen würde, wusste Facebook auch schon im Jahr 2014 – so schreibt es die Europäische Kommission und spricht zurückhaltend von ‚inkorrekten oder irreführenden Informationen‘. Es war eine glatte Lüge. Die Strafe von 110 Millionen Euro ist dafür vergleichsweise mild. Das Geld verdient Facebook in drei Tagen. […] Das ist fatal. Gerade wenn es um Datenschutz geht, ist Vertrauen unersetzlich.“ Wer allerdings, wie Sie das tun, auch diesen Fall wieder lediglich mit der Frage ausklingen lässt „Wie kann man sicherstellen, dass das nicht wieder vorkommt?“, der ist im besten Falle – siehe oben. Und ein Glücksfall für Facebook, Google, Amazon und Konsorten, denn solange Politik und Öffentlichkeit nur hinreichend sediert werden – durch Placebo-Medien nicht zuletzt – besteht für deren Geschäftsmodelle keine Gefahr.

Jochen-Martin Gutsch, nestbeschmutzender Identitätsverleugner – Wir konzedieren zunächst freimütig, dass wir Ihre wöchentliche Kolumne in der Berliner Zeitung – im Wechsel mit Ihrem Kollegen Maxim Leo – meist mit überdurchschnittlichem Vergnügen lesen.
Sie sind Baujahr 1971, gebürtig in Berlin, Hauptstadt der DDR. Als Sie 2005 vom SPIEGEL engagiert wurden, kam ein hässlicher Verdacht auf: wohl auch so eine liebedienerischer, turboassimilierter Ossi, der seine Herkunft verbirgt und den neuen Herren nur so hinten reinflutscht. Andere nimmt so eine großbourgeoise Postille doch gar nicht.
Seit Ihrer Kolumne vom 20./21. Mai ist der Verdacht niederschmetternde Gewissheit. Sie beschreiben, welche mentalen und habituellen Mutationen ihren Kollegen Leo entstellt haben, seit er Halter zweier Katzen geworden ist. Unter anderem: „Am Nachmittag hockte Leo auf allen Vieren mit einer Art Sieb vor dem Katzenklo. Mit dem Sieb werden, so erklärte er, die Kotmurmeln und der durch die Katzenstreu verklumpte Urin herausgefischt. Die große Hingabe, mit der Leo vor der Pullerkiste hockte, um Exkremente zu sieben, als wäre er ein Goldsucher am Rio Grande auf der Jagd nach Nuggets – das war berührend.“ Auch dieses: Als einer der Stubentiger einen Vogel jagte, meinte Leo: „Wenn sie auf der Jagd sind, dann wird ihr Schwanz dick. Es ist wie bei den Menschen.“
Und dann folgte Ihr Outing: Leo „sagte es in diesem Heinz-Sielmann-Ton (Hervorhebung – d. Red.), also vollkommen asexuell“.
Aber hallo! Geht’s noch? Heinz Sielmann?
In der DDR mag nicht vieles Kult gewesen sein, aber eines, und zumal für Berliner, gehörte ganz gewiss dazu: Die halbe Radiostunde sonntags zu bester Frühstückszeit, wenn „Im Tierpark belauscht“, über den Äther des Berliner Rundfunks ging. Unvergessen, wie die Reporterin Karin Rrrohn mit ihrem markanten böhmischen Zungen-R stets aufs Neue versuchte, Tierparkdirektor Heinrich Dathe in den seltenen Momenten, da er mal Atem holen musste, eine Frage zu stellen. Vom 2. Juli 1955 an, also seit Eröffnung des Berliner Tierparks, versuchte sie dies insgesamt 1774 Mal.
Wenn es also eine von Ihnen asexuell genannte Tonlage zu benamsen gilt, dann stehen dafür gefälligst nicht Sielmann, auch nicht Grzimek, obwohl wir die beiden natürlich aus dem Westfernsehen kannten, sondern allein Heinrich Dathe! Wer dem nicht Rechnung trägt, ist ein – siehe oben.