20. Jahrgang | Nummer 6 | 13. März 2017

Sprache und Politik

von Stephan Wohanka

was haben wir denn gemeinsames als unsere sprache und literatur?
Jacob Grimm

Bis zum Überdruss wurde in der Bundesversammlung repetiert: Die Macht des Bundespräsidenten liegt allein im Wort. Und tatsächlich, worauf auch ein Disput im Blog des Blättchens verweist, kommt es – zunehmend stärker – auf das Wort, die Sprache an.
Die Auseinandersetzung um Demokratie, den Liberalismus, den Nationalismus und was der -ismen mehr sind, wird (Gottseidank noch) über die Sprache geführt. Die politische Diskursfähigkeit liegt im Vermögen, sich der Sprache zu bedienen. Das heißt, grundsätzlich greifen alle auf die gleichen sprachlichen Codes zu; es herrscht Waffen-, besser gesagt Sprachgleichheit. Und dann geht es darum, innerhalb der Codes die besseren Argumente zu liefern, die Sprache des fairen Diskurses mit den eigenen politischen Ansprüchen zu füllen, um so der eigenen Meinung zum Durchbruch zu verhelfen. So viel knapp zur Theorie…
Die Praxis dazu differiert heute immer deutlicher. Und das war schon einmal so. Mit Recht zitiert Jörn Schütrumpf im Blättchen 4/2017 den Satz Ernst Blochs von 1935: „Die Nationalsozialisten haben betrügend gesprochen, aber zu Menschen, die Sozialisten völlig wahr, aber von Sachen.“ Das Ergebnis ist bekannt.
Heute wird desgleichen „zu Menschen gesprochen“; zumindest „Im Namen des Volkes“, wenn nicht gleich behauptet wird „Wir sind das Volk“. Diese Chiffre reklamiert für sich, die einzige politische Kraft zu sein, neben vielleicht Gleichgesinnten, die den Volkswillen zu kennen und zu artikulieren vermag. Zentral für diesen Willen ist das „Wir“; es konstituiert eine vermeintliche „kulturelle Identität“. Jedoch: Gibt es überhaupt einen singulären Volkswillen, einen authentischen, homogenen gesellschaftlichen Willen? Unterstellt man den, dann kann in simplen Sätzen geredet, können einfache „Lösungen“ für die schwierigsten Probleme vorgeschlagen werden. Sollten diese Kräfte einmal – auch durch demokratische Wahlen – an die Macht gekommen sein, träte ein, was Jochen Mattern im gleichen Blättchen so formuliert: „Die kulturelle Identität [garantiert] eine substantielle Übereinstimmung zwischen dem Volk und den Regierenden. Das mache politische Stellvertretung, eine plurale und parlamentarische Demokratie überflüssig.“ Sic!
Moderne Gesellschaften, moderne Völker zeichnen sich jedoch in klarem Widerspruch zu einer vermuteten „kulturellen Identität“ durch kulturelle Vielschichtigkeit und Mannigfaltigkeit aus, die wiederum ein mehr als simples Reden, sondern ein differenziertes Argumentieren – ergo „die Stellvertretung, eine plurale und parlamentarische Demokratie“ notwendig machen. Es ist also die Institution der parlamentarischen Beratung über das bürgerschaftlich Gebotene und Nützliche, die erst jene Übereinstimmungen zulässt, die demokratischer Gemeinbesitz werden sollte.
Demokratie ist eine Sache der Sprache. Das eine steht und fällt mit dem anderen. Erst einmal sichert die Sprache den politischen Diskurs innerhalb des demokratischen Spektrums, denn Demokraten sind links, rechts, sind liberal, konservativ oder was es der Spielarten mehr gibt und bedürfen daher des permanenten Austausches, der beständigen Selbstvergewisserung ihres ideellen Standortes. Diese Verständigungspraxis ist ein Prozess, der einmal verhindert, dass Begriffe zu reinen Worthülsen verkommen; was aber zum anderen auch bedeutet, dass Begriffen kaum eine endgültige, dauerhaft verbindliche Bedeutung zuzuschreiben ist. Ludwig Wittgenstein konstatiert, dass es kein Mangel sei, wenn Wörter „keine strenge Bedeutung“ hätten, jedenfalls solange unser Verständnis von ihnen mit der Art und Weise übereinstimme, in der das Wort gebraucht werde.
Und das wissen die neuen Demagogen, die zum Teil selber aus dem Mediengeschäft stammen, ganz genau: Die Sprache ist auch das einzige Instrument ihrer demokratischen Gegner im politischen Meinungskampf. Und sie haben den „Angriff“ auf die Sprache auch schon in Szene gesetzt. Es geht dabei nicht um das Zerstören von Sprach-Elementen (Wortschatz, Grammatik und Stil), sondern um die Reflexion von Wirklichkeit. Wieder spielt das „Wir“ eine entscheidende Rolle; es steht in diesem Falle gegen Wirklichkeit. Diese delegitimierte sich gegenüber dem Wir schon dadurch, dass sie für alle Menschen egal welcher Denkungsart als „gleich“ gilt. Und wie kann etwas wirklich sein, wenn man es mit „fremden“, nicht zum Wir gehörenden Menschen teilen muss? Wirklichkeit kann so nur eine Erfindung des politischen Establishments sein, zu der – selbstverständlich – die „Lügenpresse“ respektive „Fake News“ zählen. Letztere sind „the enemy of the American People“, so Trump.
Fake News sind gewollt – nicht irrtümlich – verfasste und lancierte Meldungen und Berichte, die eine gezielte Agenda haben, die einen eindeutigen Zweck verfolgen. Es sind also keine „Enten“, keine Fehler, die sich einschleichen können, keine Satire, auch keine Propaganda. Ihre Verbreitung geschieht vorzugsweise über elektronische Medien unter Ausschaltung der „Mainstream-Medien“; dass es so kaum Kontrolle der Absender geben kann – ein zusätzliches Plus. Es zählen die enthemmte, die direkte Ansprache des „Wir“ sowie die Schnelligkeit und Reichweite der Verbreitung – ehe mögliche Dementis und Richtigstellungen überhaupt greifen könnten. Darin liegt ein Teil der politischen Wirkung. Der andere liegt darin, dass scham- und rücksichtslos auf Gefühle, Emotionen, Instinkte niedrigster Art gesetzt wird – in einer Art und Weise, die im bisher üblichen Politikbetrieb trotz aller seiner Entgleisungen nicht üblich war und ist.
Das gilt auch hierzulande: Tradierte Medien gleich „Lügenpresse“, so die Gleichung. Dem Wir entsprechen „alternative Fakten“, die eine eigene Wir-Wirklichkeit schaffen, die dann hermetisch innerhalb der rechten Milieus zirkuliert, so wechselseitige Bestätigung findet und sich radikalisierend hochschaukelt. „Es ist eine Welt aus Überforderung und Angst. Sie ist emotional nicht mehr erreichbar. Als ob man zwei Sprachen spricht.“ (Alexa Waschkau) Sind Angst und Überforderung aber überhaupt durch Aufklärung und Fakten aus der Welt zu schaffen? Wobei in Rechnung zu stellen ist, dass auch Fakten, Tatsachen immer das Resultat von Selektion sind, die ebenso anders hätte ausfallen können.
Eine differenzierte Gesellschaft prägt Sprach-Differenzierungen aus; in einer Gesellschaft, deren Elemente auseinander streben, opponiert die Sprache gegen die Sprache selbst. Die Sprache – das sind Fakten, Logik, Kontext, aber auch Gefühl, Emotion, Mimik, Fiktionen. Namentlich die „Gefühlssprache“ ist – wie angedeutet – kaum noch zugänglich für die anderen, vernunftbasierten Elemente, den umfassenden Sinn der Kommunikation, die Reflexion von Wirklichkeit. Eine verbreitete Unkultur der (nicht nur) verbalen Übersensibilität auf der anderen Seite vertieft die Kluft. Trotzdem ist dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz zu widersprechen: „Auch die politisch Korrekten sind Hater“; nein, das sind sie nicht.
Dem „Bürgerkrieg“ der Sprache(n) sollte so etwas wie eine semantische Friedenspolitik entgegengesetzt werden, eine innere Mehrsprachigkeit. Wer könnten deren Autoren sein?