Andrzej Wajda, Gigant des Kinos – Bedürfte es noch eines Beweises, dass der Begriff Filmkunst zu Recht existiert, man bräuchte nur Ihren Namen nennen. Ihr Streifen „Asche und Diamant“ (1958) ist eingereiht in den Kanon der größten Werke der Filmgeschichte, an deren Spitze Cineasten „Citizen Kane“ (1941) von und mit Orson Welles sehen. Auch „Das gelobte Land“ (1974) gehört in diese Reihe. Dabei waren Sie den kommunistischen Machthabern ein ebenso unbequemer kritischer Zeitgenosse wie den derzeitigen. In einem Interview vor einigen Monaten sagten Sie zur aktuellen Lage in Ihrem Lande: „Unser Beitritt zur Europäischen Union war ein wichtiger und richtiger Schritt. Und plötzlich hören wir nun, dass wir uns in eigenen Grenzen selbst regieren werden, am besten isolieren wir uns von allen anderen, weil uns sonst niemand versteht. […] Ich wäre glücklich, noch eine solche Entwicklung der polnischen Demokratie erleben zu können, die mich zufriedenstellen würde!“ Und: „Filme ‚im Auftrag der Partei‘“ hatten wir schon zu Zeiten der Volksrepublik Polen.
In den Kreisen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ wurde die Botschaft verstanden: Als Ihnen Gdansk anlässlich Ihres 90. Geburtsages die Ehrenbürgerschaft verlieh, boykottierten die Vertreter dieser Partei die Veranstaltung.
Nun sind Sie verstorben. Doch aufatmen sollten die, denen Sie ein Dorn im Auge waren nicht zu früh, denn Ihre Filme, die bleiben.
Dario Fo, Volkstheaterschreiber, -macher und -schauspieler in der Tradition der Commedia dell’arte, dazu noch Bühnenbildner, Komponist, Erzähler und Satiriker – Ihren künstlerischen Lebensweg haben Sie einmal so beschrieben – vom „Hofnarren der Bourgeoisie“ zum „fahrenden Sänger des Volkes“, und Sie waren ein Großmeister der Groteske. Dazu passt durchaus, dass das Leben einen Hang zu hübschen Koinzidenzen hat, selbst im Tragischen: Die Bekanntgabe Ihres Todes fiel genau auf den Tag, an dem wir Kenntnis erhielten von der Verleihung des Nobelpreises an Bob Dylan. (Arno Widman ist es aufgefallen, und in der Berliner Zeitung war es zu lesen.) Auch Sie sind ja Nobelpreisträger, seit 1997, und auch bei Ihnen, allerdings heftiger noch als bei Dylan, folgte auf die Nominierung der Aufschrei jener, die meinten, Sie seien kein Literat. Was akademisch betrachtet, also aus Sicht jener, die „nur die Literaturliteratur für Literatur“ halten, wie es Widman trefflich auf den Punkt brachte, sogar stimmen mag, Aber wer Ihre großartigen Farcen und Politgrotesken wie „Bezahlt wird nicht!“, „Die Frau zum Wegschmeißen“ oder „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ (zum Beispiel im Deutschen Theater zu Berlin unter der Regie von Dieter Mann mit Reimar Johannes Baur in der Hauptrolle, 1978) gesehen hat, dem wird Akademisches nicht so am Herzen liegen.
Aus letztgenanntem Stück stammen die folgenden Sentenzen – so aktuell, als wäre die Tinte, mit der sie aufs Papier gebannt wurden, noch nicht trocken: „Wenn es keine Skandale gäbe, müsste man sie erfinden, weil sie ein unentbehrliches Mittel sind, die Macht der Mächtigen zu erhalten und den Unmut der Unterdrückten fehlzuleiten. […] Worauf es ankommt, ist der Skandal! […] Damit endlich auch das italienische Volk sozialdemokratisch wird, wie die Völker Englands, Nordamerikas, Deutschlands […]. Damit unsere Mitbürger endlich stolz sagen können: ‚Ja, wir waten bis zum Hals in der Scheiße, aber genau deshalb tragen wir den Kopf hoch erhoben!‘“
Sie sollen bis zum Schluss Zwiesprache mit Ihrer 2013 verstorbenen Frau Franca Rame gehalten haben, die auch Ihre jahrzehntelange Künstler- und Bühnenkollegin war und die Sie stets als Mit-Nobelpreisträgerin betrachtet haben. Jetzt sind Sie wieder vereint und sitzen hoffentlich bei einem guten Roten zusammen. Wir schmettern derweil die alte Partisanenhymne „Bella Ciao“, wie es Tausende Ihrer Landsleute bei Ihrer Beerdigung getan haben.
Robert Zimmermann, nobler Preisträger – Sie wurden als Nobelkandidat schon so lange gehandelt, dass niemand mehr ernstlich daran geglaubt hat. Die interne, längst publike Stasi-Einschätzung vor Ihrem einzigen Konzert in Ost-Berlin am 17. September 1987 hat sicher ein Übriges getan: „Es wird eingeschätzt, dass ältere Jugendliche und Menschen mittleren Alters großes Interesse für die Musik […] haben werden […].“ Es wurde davon ausgegangen, dass der Künstler „bei seinem Auftreten sich gegenüber dem Publikum und dem Veranstalter diszipliniert verhalten wird und bei seinem Auftritt keine negativen Emotionen zu erwarten sind. Das Konzert sollte inhaltlich unter den Gedanken eines ‚Friedenskonzerts‘ gestellt werden.“ Nach Held der westlichen Welt klingt das nun wirklich nicht.
Und so war aus Ihrem Umfeld bereits vor Jahren kolportiert worden, dass es durchaus sein könne, dass der Nobelpreis Sie brauche, nicht aber umgekehrt. Übrigens eine hübsche Adaption der bekannten Lafontaineschen Fabel, derzufolge einem berüchtigten Hühnerdieb ein üblicherweise wohlgelittenes herbstliches Obst vornehmlich warmer Breiten sowieso viel zu sauer sei, und eine keineswegs unoriginelle Frustprävention.
Aber nun ist die Schwedische Akademie ja doch noch über ihren Schatten gesprungen: Der Literaturnobelpreis 2016 geht an – Bob Dylan.
Natürlich wissen es einige gleich wieder besser: „[…] etliche der Songtexte des großen Barden sind ausgezeichnet, dennoch finde ich die Wahl – salopp gesagt – ‚a wäng‘ komisch.“ (Sybille Lewitscharoff) „Gelegentlich erlaubt sich die Akademie ein ‚Späßken‘. Die Auszeichnung von Bob Dylan ist […] ein Witz […]. Am besten, man lacht mit.“ (Denis Scheck)
Aber Sie fragen angesichts dieser Sprüche womöglich nur:
„Sybille … wer?
Denis … was?“
Und da haben Sie völlig Recht. Die Preisverleihung als solche war überfällig und geht in Ordnung! Wir ziehen – mit grüßender Neigung des Kopfes – andachtsvoll den Hut.
Eine kritische Spitze in Richtung der Schwedischen Akademie wollen wir uns dennoch nicht verkneifen: Werte Damen und Herren, mit Verlaub – John Lennon hätte vorher dran sein müssen!
Wenzel & Mensching, Comebäcker – Als Sie am 7. Oktober – das Datum hätte passender nimmer sein können! – nach 16 Jahren Abstinenz in den vertrauten Clownskostümen wieder gemeinsam vors Publikum traten, um Ihre Finger erneut in die politischen und gesellschaftlichen Schwären der Zeitläufte zu legen und nicht minder auf deren Absurditäten, Kuriosa und Widerwärtigkeiten, da lag die Latte zum Fürchten hoch, und Sie hatten sie sich selbst gelegt – mit so genialischen Programmen wie „Letztes aus der DaDaeR“ oder „Der Abschied der Matrosen vom Kommunismus“. Der Neustart konnte da noch nicht ganz mithalten, aber die Richtung stimmte. Der Rest, so viel Vorschusslorbeer fließt uns locker aus der Feder, wird sich finden!
Oder wollen Sie es ernsthaft bei den fünf Konzerten belassen, die Ihre jetzige Tournee umfasst?
Doch nicht nach dieser Premiere?‘
Doch nicht, nachdem Ihnen der Saal zum Schluss gefühlte 20 „Vorhänge“ bescherte?
Und Sie sich überdies zuvor coram publico gegenseitig versichert hatten, noch ganz die Alten zu sein – nämlich der Wenzel, dessen Nähe zu meiden jeder Leberarzt empfehle, und der Mensching, der ebenso kleinwüchsig wie großmäulig sei.
Von den Spitzen Ihres Programms „Nochmal das Fahrrad erfinden“ soll hier nur eine verraten werden: „Ideologie ist wie Mundgeruch: Haben immer nur die anderen.“
Christian Bommarius, Sympathisant von „Volksverrätern“ – Sie zitieren Kurt Tucholsky: „Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Es erscheint etwas ungewöhnlich, dieses Zitat auf Angela Merkel angewandt zu sehen – dennoch: sie hat in der Flüchtlingspolitik trotz aller Einschränkungen der jüngsten Zeit Courage gezeigt. Sie denken über die notwendige Vermittlung von (Flüchtlings-)Politik nach, da Angela Merkel die ihre nicht erklären kann. Sie sehen diese Rolle beim Bundespräsidenten und verlangen angesichts der Pegida-Schreihälse, dass der nächste Bundespräsident vor allem eines sein müsse – ein „Volksverräter“. Ja, das ist eine gute Jobbeschreibung und wir hoffen auf geeignete „Volksverräter“, die laut „Nein“ sagen können zu vorgeblicher „Stimme des Volkes“.
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