von Peter Petras
Als Russland und die USA einen Waffenstillstand zu Syrien ausgehandelt hatten, keimte Hoffnung auf, für die leidende Bevölkerung dortzulande und in der Welt. Zumindest in jenem Teil, der einen Frieden für das geschundene Land erstrebt. Dann wurde diese Hoffnung gewaltsam enttäuscht. Wer aber war an dieser Enttäuschung interessiert?
In den großen Medien tobte sofort eine scharfe Auseinandersetzung. Die Regierungen der USA, Frankreichs und Großbritanniens beschuldigten Russland und Syrien, am 19. September den Hilfskonvoi des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes beziehungsweise der UNO bombardiert zu haben, 18 von den 31 Lastwagen wurden zerstört, mindestens 20 Menschen kamen ums Leben. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, dass zu der fraglichen Zeit in dem fraglichen Gebiet weder russische noch syrische Kampfflugzeuge unterwegs waren. Zudem wurden russische Videoaufnahmen publik gemacht, wonach der Konvoi intakt war, solange er das von den Rebellen kontrollierte Gebiet noch nicht erreicht hatte. Inzwischen räumten andere westliche Regierungen ein, es stehe noch nicht einmal fest, ob die LKW tatsächlich von der Luft aus zerstört wurden, oder nicht doch durch Granatfeuer.
Stichhaltige Belege gab es für keine der Mutmaßungen. US-Außenminister Kerry beschuldigte dennoch am 21. September im UNO-Sicherheitsrat in einem sehr scharfen, sehr undiplomatischen Ton Russland; es sei für dieses Kriegsverbrechen verantwortlich, entweder weil es selbst bombardiert hätte oder weil es das Assad-Regime decke. Zugleich forderte er eine Flugverbotszone in Syrien, eine, die für die Regierungstruppen gelten soll. Der deutsche Außenminister assistierte.
Es ist wieder einmal nötig zu versuchen, Hintergründe auszuleuchten. Die Bombardierung war für die USA in mehrerer Hinsicht eine willkommene Sache. Die laute Beschimpfung Russlands lenkt davon ab, dass es die USA waren, die als erste den Waffenstillstand gebrochen hatten. Kampfflugzeuge der USA hatten am 19. September Stellungen der syrischen Armee in Deir ez-Zour im Osten Syriens bombardiert. Dabei kamen mindestens 60 syrische Soldaten ums Leben, die im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) standen. Die USA erklärten, sie hätten eigentlich den bombardieren wollen, es sei ein „Fehler“ gewesen, und sie murmelten ein trockenes „sorry“. Eine Entschuldigung sieht anders aus. Zumal die USA und ihre Willigen, die in Syrien herumbomben, dafür weder eine Bitte der rechtmäßigen syrischen Regierung noch ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates haben. Im Unterschied zu Russland, das in Syrien auf Bitten der Regierung agiert.
Aber die wollten die USA und die anderen westlichen Regierungen ja von Anfang an aus dem Weg schaffen, wie sie es zuvor mit Saddam Hussein in Irak und mit Muammar el-Gaddafi in Libyen gemacht hatten. Infolge des russischen Militäreinsatzes 2015 rückte dies in weite Ferne. Die russische Regierung erklärte, „Assad muss weg“ kann Ergebnis eines politischen Friedensprozesses in Syrien sein, aber nicht dessen Voraussetzung. Der von den USA und Russland kürzlich ausgehandelte Waffenstillstand akzeptierte dies faktisch. Zugleich schloss er den IS von dem Waffenstillstand aus, gegen den sollte von allen Seiten weiter gekämpft werden. Und die USA hatten sich verpflichtet, auf Seiten der syrischen Oppositionskräfte eine Differenzierung vorzunehmen, zwischen „guten“ Kräften, die für Freiheit und Demokratie seien, und „bösen“, die Dschihadisten sind. In den Kämpfen in und um Aleppo und an anderen Orten standen diese aber eng beieinander, zumal die Oppositionsallianzen um die al-Nusra-Front und Ahrar al-Sham die größte Unterstützung aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten sowie der Türkei erhalten. So lenkt die laute Auseinandersetzung um den zerstörten Konvoi davon ab, dass die USA einen wichtigen Teil ihrer Verpflichtung aus der Waffenstillstandsvereinbarung nicht erfüllt hatten, nämlich die Separierung der bewaffneten Oppositionskräfte. Außerdem war vereinbart, dass die USA und Russland eine militärische Kooperation im Kampf gegen den IS und die al-Qaida-Kräfte entwickeln und zunächst militärische Daten dazu austauschen. Dagegen waren Teile des US-Militärs von Anfang an. Sie meinten, die Russen würden dann Einblick in ihre Logistik im Nahen Osten bekommen.
Ein Teil der großen Medien auch in Deutschland räumt ein, dass die USA im Nahen Osten die Kontrolle verloren hätten und ihnen nicht nur Saudi-Arabien und die Türkei auf der Nase herumtanzen, sondern auch die syrischen Oppositionskräfte, und die Obama-Regierung in Sachen Syrien derzeit hysterisch reagiert. Spiegelverkehrt wird Russland ebenfalls zugeschrieben, Assad nicht mehr kontrollieren zu können, habe dieser doch das Ende des Waffenstillstands verkündet. Dabei wird ausgeblendet, dass ein Teil der Militärführer der Dschihadisten den Waffenstillstand von Anfang an abgelehnt hatte. Und die Tatsache, dass die Oppositionskräfte nach dem Ende des Waffenstillstands in Aleppo mit Panzern gegen die Regierungstruppen vorzurücken vermochten und die von der Regierung kontrollierten Stadtviertel mit Mörsern beschießen. Sie und ihre Paten konnten also die Waffenruhe wieder einmal zur Aufrüstung benutzen. Auch zu diesem Bürgerkrieg in Syrien gehören immer zwei Seiten, die schießen und morden.
Die Forderung des Westens nach einer Flugverbotszone bedeutet ein Zurück auf Anfang, weit hinter den Stand von vor dem Waffenstillstand. Sie ignoriert aber, dass Russland, aber auch China und andere Staaten wissen, wie der Westen dieses Instrument im Falle Libyens schamlos missbraucht hatte, um seine Regime Change-Strategie gegen Gaddafi durchzusetzen. Deshalb wird es auch im UNO-Sicherheitsrat dazu keine Zustimmung geben. Und ein Versuch der USA, eine solche Zone gewaltsam durchzusetzen, würde zu einem Zusammenstoß russischer und US-amerikanischer Streitkräfte führen. Die russische Flotte hat gerade ihren Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ in Richtung Syrien in Marsch gesetzt. Ein Teil der westlichen Presse höhnt zwar, Russland habe nur den einen Flugzeugträger. Aber der reicht vielleicht.
Historische Vergleiche hinken. Aber diejenigen, die in Belgrad 1914 die Attentäter nach Sarajevo schickten, den österreichischen Thronfolger zu ermorden, wussten, dass sie wahrscheinlich den Weltkrieg auslösen. Aber anders war Österreich-Ungarn nicht zu zerschlagen und ein großes Jugoslawien nicht zu erreichen. Die Dschihadisten im Nahen Osten wollen die Niederlage „der Revolution“ in Syrien nicht hinnehmen. Jedes Mal, wenn die Regierungstruppen militärisch ihre Positionen verbesserten, tauchte ein Chemiewaffen-Einsatz auf, der mindestens einmal fast zum Militärschlag der USA führte. Der Einsatz wurde regelmäßig der Assad-Regierung zugeschrieben, was aber nie bewiesen werden konnte. Und man wusste stets, dass auch die Oppositionskräfte in der Lage waren, primitive Chemiewaffen zu produzieren und folglich auch einzusetzen. Nun also der Angriff auf den Hilfskonvoi. Soll er die USA zu einem direkten militärischen Eingreifen in Syrien provozieren?
Hier folgt die Frage: Kann die Obama-Administration die Nerven behalten? Ein „kleiner“ Konflikt mit Russland könnte auch dazu beitragen, anti-russische Stimmungen in den USA zu schüren. Das wiederum würde die Wahlaussichten Hillary Clintons vergrößern, denn Donald Trump hatte bekanntlich erklärt, sich mit Putin einigen zu wollen und zu können. Ein Konflikt mit der zweiten Atommacht Russland aber bleibt nicht „klein“. Sarajevo ist aktueller, als die meisten denken.
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