19. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2016

El Siglo de Oro

von Corbinian Senkblei

Im Reich Karls V. ging die Sonne nie unter, und als er 1556 zugunsten seines Sohnes Philipps II. auf den spanischen Thron verzichtete, herrschte Spanien, zu dem damals auch das Königreich Portugal zählte, über ein weltumspannendes Imperium. Überschritten war der Zenit allerdings spätestens mit dem Untergang der Großen Armada 1588, die die Niederlage in der Auseinandersetzung mit England besiegelte.
Aus der Linie der spanischen Habsburger folgten auf Philipp II. zwischen 1598 und 1700, zugleich die Zeit des Barocks, Philipp III., Philipp IV. und Karl II., die als Herrscher allesamt recht glücklos agierten, so dass diese Epoche zu der des Abstiegs Spaniens in die Zweit-, ja Drittrangigkeit im Konzert der europäischen Mächte wurde, aus der sich das Land nie wieder erheben sollte. Zugleich litt die Iberische Halbinsel innenpolitisch schon seit 1498, als die katholische Inquisition eingerichtet worden war, unter religiösem Fanatismus und wahren Orgien an Ketzer- und Hexenverfolgungen, die meist mit Verbrennungen der Verurteilten endeten, was nicht zuletzt ein allgemeines Klima zur Folge hatte, in dem jegliche geistige Freiheit unterdrückt, ja ausgestorben war.
Dass ausgerechnet diese Epoche zum Goldenen Zeitalter – Siglo de Oro – der Malerei und Bildhauerei auf der Iberischen Halbinsel wurde, mag auf den ersten Blick verwundern. Nicht zuletzt im Vergleich zu den Niederlanden, deren wirtschaftliches und kulturelles Goldenes Zeitalter ebenfalls auf das 17. Jahrhundert datiert, dort aber mit dem Aufstieg des Landes zur globalen See- und Handelsmacht einherging. Doch wenn man die Faktoren betrachtet, deren Zusammenspiel in Spanien unter ganz anderen Bedingungen diese Blüte der Kunst hervor brachten, dann lüftet sich der Schleier:

  • Je desolater die Monarchie und die internationale Stellung Spaniens wurden, von dessen Herrschaft sich auch Portugal 1640 mit Hilfe der Engländer befreite, desto mehr wuchs der Bedarf an politischer Propaganda, nicht zuletzt zur Vortäuschung vermeintlicher Stärke und Stabilität. Dafür war in Zeiten, in denen sich die Reichweite des geschriebenen oder gedruckten Wortes infolge des verbreiteten Analphabetismus in Grenzen hielt, die bildende Kunst hervorragend geeignet.
  • Ähnliches galt für die reiche katholische Kirche, traditionell der größte Auftraggeber für die Kunstproduktion zwischen Pyrenäen und Gibraltar. Der es um die eigene Machtdarstellung ebenso wie um die Haltung der Volksmassen in unwissender, lenkbarer Frömmigkeit.
  • Hinzu kamen in einer gewissen historischen Häufung herausragende Künstlerpersönlichkeiten, von denen in unseren Breiten in der Regel nur die größten ein Begriff sind – von Domínikos Theotokópoulos (El Greco) über Diego Rodríguez de Silva y Velázquez (Hofmaler Philipps IV.), Francisco de Zurbarán und Bartolomé Esteban Murillo bis zu Jusepe de Ribera. Es gab jedoch weit mehr Meister ihres Faches.
  • Und keiner unter all diesen hervorragenden Künstlern war eine Persönlichkeit wie ihr späterer Kollege Goya, der durch einen Teil seines Œuvres erst die klerikale und späterhin ebenfalls die weltliche spanische Obrigkeit gegen sich aufbrachte. Goya avancierte zwar ebenfalls zum Madrider Hofmaler, reflektierte aber im gereiften Alter künstlerisch zunehmend die schaurig-brutalen, rückständigen Zustände im Lande und ging gegen Ende seines Lebens schließlich ins Exil, um sich möglicher Verfolgung zu entziehen. Bereits Jahre zuvor hatte ihn die Inquisition einbestellt, weil er den ersten Akt auf eine spanische Leinwand gebannt hatte, der Schamhaar zeigte: „Die nackte Maja“. Die großen Künstler des Goldenen Zeitalters hingegen waren in ihren Sujets und deren Darstellungsweisen „staatstragend“ und „sittlich“ geblieben. Wenn es etwas mindestens für die Auftraggeber der Künstler so Abartiges wie die Armut des Volkes doch mal auf die Leinwand schaffte, dann allenfalls als Idylle – wie etwa auf Murillos volkstümlichen Genrebildern, darunter die „Pastetenesser“.

Auch dieses Werk ist derzeit in einer großen Ausstellung in der Gemäldegalerie auf dem Berliner Kulturforum zu sehen, die dem „Siglo de Oro“ gewidmet ist – mit dem Untertitel „Die Ära Velázquez“.
Da ebenso informative wie kompetente Besprechungen dieser Exposition auf den Websites verschiedener Medien – etwa der ZEIT – abrufbar sind, kann sich der Rundgang des Blättchens sehr individuell und durchaus willkürlich auf einige Ausstellungsstücke beschränken, die nicht unbedingt im Fokus der Berichterstattung stehen, die aber für den Autor zu den besonders beeindruckenden Entdeckungen zählen.
Viel gerühmt wird an den barocken Malern, Bildhauern und Holzschnitzern Spaniens ein hohes Maß an Realismus in ihren Darstellungen. Dafür bietet auch diese Ausstellung etliche herausragende Beispiele.
So Riberas „Brustbild eines Mannes“ – ein Werk, das lange Zeit einem noch berühmteren Kollegen zugeordnet worden war, Caravaggio, bevor 1978 eine Neu-Zuordnung erfolgte. (Die bis heute allerdings nicht unumstritten ist.) Ribera soll dieses Porträt eines Unbekannten in seiner römischen Phase, also vor 1616, geschaffen haben. Da war er keine 25 Jahre alt.
Geradezu naturalistisch erscheint „Der tote Christus“ von Gregorio Fernández, eine Holzskulptur, die den Leichnam Christi nach der Kreuzabnahme hingestreckt darstellt. Die Polychromierung, die den Malern Diego de la Peña und Jerónimo de Calabria zugeschrieben wird, gibt dem Körper den typischen Leichen-Teint, und zur Erhöhung der Wirkung wurden weitere Materialien eingesetzt: Glas für die Augen hinter den halb geschlossenen Lidern, Elfenbein für die Zähne, Kork für den Schorf der Wunden und Stierhorn für die lebensechten Finger- und Fußnägel. Hinge auch noch der typische Geruch in der Luft, niemanden würde das wundern.
Kein größerer Kontrast ist vorstellbar als der zum nur wenige Schritte entfernt zu sehenden „Ecce Homo“ von Murillo, das einen Christus zeigt, der in gottergebener Resignation seine Kreuzigung erwartet. Zwar trägt er die Dornenkrone, und seine Hände sind gefesselt, aber der Maler verzichtete völlig auf die Darstellung jeglicher Folgen der barbarischen Geißelung, die Jesus wenige Stunden zuvor im Prätorium von Jerusalem hatte erleiden müssen. Statt dessen – der schöne, anatomisch sehr sorgfältig ausgeführte Leib eines jungen Mannes. Man darf spekulieren, ob den frommen Spanierinnen jener Zeit bei der Betrachtung dieses Bildes tatsächlich nur Andächtiges durch den Kopf ging.
Das gilt vergleichbar für den zierlichen „Christus am Kreuz“ von Luisa Ignacia Roldán, Tochter des berühmten Bildhauers Pedro Roldán. Die Wundmale dieses Jesus‘ sind zwar ausgesprochen erbarmungswürdig dargestellt, und kleine Glasperlen imitieren Blutstropfen seiner Haut. Aber der Körper insgesamt ist nicht der eines ausgemergelten Folteropfers, sondern gehört einem ausnehmend ästhetisch modellierten Vertreter seiner Gattung.
Dass die barocken spanischen Maler natürlich andere Sujets nicht minder meisterhaft beherrschten, dokumentiert die Ausstellung ebenfalls – zum Beispiel Stillleben. Unter mehreren sehr schönen soll hier speziell auf das „Stillleben mit Wildvögeln“ von Juan Sánchez Cotán verwiesen werden, auf dem das Gefieder der ausgestellten Jagdopfer (Racke, Turteltaube, Zwergtrappe und Stockerpel) bis ins kleinste Detail zu bewundern ist. Zugleich ist das Bild ein Beleg für des Malers Beherrschung des Trompe-l’œils, jener raffinierten optischen Täuschung, die den Eindruck von Dreidimensionalität vermittelt. Damit arbeitete auch Zurbarán, wie in der Ausstellung sein „Schweißtuch der heiligen Veronika“ offenbart. Das Motiv geht auf eine Episode der Passion Christi zurück. Auf seinem Weg nach Golgatha wusch ihm eine mitleidige Frau Schweiß und Blut vom Gesicht, worauf auf dem benutzten Tuch ein Abbild des Leidenden erschien. Mit diesem Motiv war Zurbarán so erfolgreich, dass er im Laufe seines Künstlerlebens diverse Versionen davon schuf.
Humor übrigens kommt bei den Künstlern des spanischen Goldenen Zeitalters praktisch nicht vor. Die Zeitläufte waren ja auch nicht danach. Zwar ist der in der Ausstellung gezeigte „Mars“ von Velázquez auch schon mal als satirische Parodie auf antike Mythen interpretiert worden, doch das war unzutreffend. Das Motiv geht vielmehr auf eine Stelle in Ovids Metamorphosen zurück: Mars war mit Venus von deren Angetrautem, Vulcanus, dem Gott des Feuers und der Metallhandwerker, in flagranti ertappt worden, und dem sehr unkriegerischen Melancholiker, den das Gemälde darstellt, schwant wohl, dass dem Fehltritt ein übles Nachspiel folgen wird …

„El Siglo de Oro. Die Ära Velázquez“ – noch bis 30. Oktober 2016. Gemäldegalerie auf dem Berliner Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin; Di, Mi, Fr 10:00 – 18:00 Uhr, Do 10:00 – 20:00 Uhr, Sa, So 11:00 – 18 Uhr, Mo geschlossen; Eintritt: 14,00 Euro, ermäßigt 7,00 Euro. Katalog 29,00 Euro.