19. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2016

18. Juli 1936 – Madrid, Moskau…

von Jörn Schütrumpf

Der Putsch gegen die Volksfrontregierung begann mit einem doppelten Rückschlag: José Sanjuro, der Anführer des spanischen Faschistenmobs, starb am dritten Tag beim Rückflug aus seinem portugiesischen Exil. Seine leichte Maschine streifte einige Baumkronen – angeblich hatte der General sein Fluggefährt mit Koffern überladen, in denen er für die Siegesfeier Paradeuniformen mit sich führte.
Das Problem Sanjuro erwies sich allerdings als lösbar, Francisco Franco wartete in den Kulissen. Schwieriger war es mit Madrids Arbeitern: Sie widerstanden den Militärs, nicht nur völlig unerwartet, sondern auch erfolgreich. No pasarán!
In Moskau fühlte man sich irgendwie an den gescheiterten Kornilowputsch vom September 1917 erinnert, er war zum unmittelbaren Vorspiel für die Machtergreifung durch die Bolschewiki geworden. Bei Stalin und seiner Equipe löste die Aussicht auf eine Neuauflage des Herbstes 1917 – noch dazu in westeuropäischer Manier – keinerlei Begeisterung aus. Wohl hatten die Intriganten, bis 1922/23 alles Randfiguren im Revolutionsgeschehen, die einstigen Führer – soweit die noch lebten – entmachtet, sie saßen in Haft oder versteckten sich wie Trotzki im Exil; aber, und das war ihr Fehler: Sie lebten. Denn dem Zarenersatz, als den sich Stalin seit 1929 immer mehr gerierte, und seinem Gefolge – Woroschilow, Molotow, Kaganowitsch, Budjonny … – war klar, dass, falls sich nach zwanzig Jahren in Europa doch noch das fortsetzte, was im Oktober 1917 begonnen hatte, sie über kurz oder lang nicht nur von ihren Vorgängern weggespült, sondern auch für ihre Großverbrechen während der Kollektivierung zur Verantwortung gezogen werden würden.
Auch die Alternative – dass der 18. Juli 1936 in Europa den Zweiten Weltkrieg eröffnet hatte (was im Juli/August 1936 noch nicht entschieden war, sich aber bewahrheiten sollte) – machte die alte Revolutionsgarde um Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Radek, Rykow und etliche andere nicht weniger gefährlich. Bei einem Überfall – von wem auch immer – hätte sich die Rote Armee jene politische Führung zurückgeholt, unter der sie 1920 die innere und äußere Konterrevolution besiegt hatte. (1937 bannte das Politbüro auch diese Gefahr; es ließ vier der sechs Marschälle – unter anderem Tuchatschewski – samt 5000 höherer Offiziere ermorden.)
Ein idealer Hauptangeklagter für den Ersten Moskauer Prozess vom 19. bis 24. August 1936 gegen das „Terrorzentrum Trotzki-Sinowjew“ wäre der ehemalige Anarchist und Kopf der Leningrader Opposition Victor Serge gewesen – auf russischen Boden quasi der Stellvertreter Trotzkis, des Siegers im Bürgerkrieg; in der für russische Bauerngemüter zurechtgeschneiderten stalinistischen Mär schlichtweg ein Teufel.
Bis zur Ermordung des Leningrader Parteichefs Sergej Kirow, Stalins Konkurrenten (aber keineswegs Kontrahenten), am 1. Dezember 1934 galt es unter den ansonsten keineswegs tötungsabstinenten Bolschewiki als verabredet, dass man sich untereinander nicht umbringe. Nach Kirows Tod fiel zwar dieses Mord-Hemmnis, aber es passierte erst einmal – nichts (sieht man von der massenhaften Verhaftung alter Bolschewiki ab…).
Der „Trotzkist“ Victor Serge war da längst in Haft. Seit 1933 hatte er in Orenburg, nach einem Geständnis, das von seiner Schwägerin erpresst worden war, in der Verbannung gelebt und mit seinem Sohn eine Widerstandsgruppe aufgebaut. Im April 1936 wurden Serge und die Seinen jedoch plötzlich in den Westen abgeschoben. Nach dem spanischen Faschistenputsch drei Monate später wäre ihm das nicht mehr passiert. (So starb Victor Serge erst 1947, im mexikanischen Exil – unter ungeklärten Umständen, wie so viele kommunistische russische Emigranten.)
Als am 22. Juni 1941 Nazi-Deutschland die Sowjetunion, seit dem 28. September 1939 per „Grenz- und Freundschaftsvertrag“ in Treue fest miteinander verbunden, überfiel, zog sich Stalin auf seine Datscha zurück, dort seiner Verhaftung harrend. Die Mitglieder des Politbüros kamen am Morgen des 30. Juni tatsächlich, zwei Tage zuvor war Minsk gefallen, aber nicht um Stalin seiner Bestrafung zuzuführen, sondern – um ihn anzuflehen, endlich die Kriegsführung zu übernehmen. Da wusste Stalin, dass er ordentlich gearbeitet hatte: Zwischen 1936 und 1938 war niemand vergessen worden.