19. Jahrgang | Nummer 8 | 11. April 2016

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal eine Mozart-Prinzessin im Museum, ein Denkzeichen in Berlins Mitte und ein schwierig schönes Stück Land im Kino…

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„Don Giovanni“ im stillgelegten E-Werk, „Zauberflöte“ im U-Bahntunnel und jetzt „Die falsche Gärtnerin“ im Bode-Museum. Der Berliner Dirigent, Regisseur und Produzent Christoph Hagel hat ein Faible für extravagante Orte, für Oper und Mozart. Die bringt er in seinen Inszenierungen zusammen, auch, um auf diese Art einem dem Musiktheater fern stehenden Publikum die Lust zu wecken, es zu versuchen …
Diesmal also ein Mozart-Frühchen; das Jung-Genie war gerade mal 18 Lenze, als er die „Gärtnerin“ komponierte, der man sehr wohl anmerkt, dass sie viel mehr ist als ein hübsches Schäferspiel um die Irrwege der Liebe. Das dramatisch durchwehte Lustspiel gilt als „wilde“ Vorform der epochalen Gesellschaftskomödie „Hochzeit des Figaro“, die gut ein Jahrzehnt später erschien.
Doch Hagel ist nicht nur ein origineller Kopf, sondern auch ein ingeniöser Impresario, der mit seinen Produktionen (hoch)begabtem Sängernachwuchs eine Plattform gibt. Allein sein aufwändiges Casting auch für diese Produktion gleicht einem internationalen Wettbewerb. Die Folge: Ein blutjunges, hinreißendes Ensemble, das sich souverän behauptet gegenüber den Leistungen in den drei immerhin weltbedeutenden Opernhäusern der Stadt. Freilich, die grandiose Architektur des Museums bedingt szenischen Minimalismus; als karge Spielfläche dient eine Art Laufsteg. Auf dem wird nun, begleitet von den Berliner Symphonikern, umso intensiver gespielt in diesem irren erotischen Intrigen-, Versteck- und Verkleidungsspiel, das zu starken Gefühlsausbrüchen, berührenden Herzensergießungen, zu Sex und sarkastischen Kommentaren führt – mithin zu gesanglichen und schauspielerischen Herausforderungen.

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„Und sorglos hab ich es gesammelt, nicht wie einer, der mit der Sichel zur Ernte geht, sondern wie ein Spaziergänger, der die einzelnen Ähren aus dem reichen Felde zieht“, schreibt Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Und wie der große Hugenotte aus Preußen vor 150 Jahren spaziert heute Volker Koepp durch die märkische Landschaft, wo der bekannte Berliner Filmemacher zumindest den Sommer über auch sein Zuhause hat – wie so viele Künstler, Intellektuelle und Freaks der nahen Hauptstadt.
In seinem neuen, dokumentarisch angelegten Film „Landstück“ beschwört Koepp in faszinierenden Sommer- und Herbstbildern (Kamera Lotte Kilian) die Schönheit dieser Gegend; genau gesagt: die zwischen Templin und Prenzlau, also die Uckermark. Er tut so gelassen wie Fontane und ebenso akribisch, doch womöglich nicht ganz so sorglos. – Koepps Film ist zuerst einer über Menschen, über Lebensläufe und Alltag der Uckermärker; zeigend das Früher und Heute, das Gleichbleibende wie das sich Verändernde im Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
Da sind die riesigen Schläge der industriellen Landwirtschaft, dazwischen die schmalen Stücke der Ökobauern. Zwar zählt Brandenburg mit zehn Prozent zu den Bundesländern mit höchstem Flächenanteil bei Ökolandbau, doch werden immer mehr Bioprodukte importiert, was den Preisdruck erhöht und kleine Biobetriebe unrentabel macht. Zudem steigen die Bodenpreise, inzwischen haben sie sich mehr als vervierfacht (der Raubbau durch hoch profitable Monokulturen). Dabei haben Ökolandwirte einen viel größeren Platzbedarf als andere. Und auch das Tierfutter muss nach Bio-Kriterien angebaut werden, was wiederum Erträge schmälert. Mithin verdienen die familiären Biobauernwirtschaften trotz der Zulagen von 210 Euro pro Hektar ein Drittel weniger als die Konkurrenz der Intensivwirtschaft.
Und dann steht da die energisch umzäunte Hähnchen-Mastanlage in der hügeligen Idylle der eiszeitlichen Endmoränen. Ein nahezu vollautomatisierter, Energie fressender Großbetrieb, der auch noch sein Sojafutter aus Südamerika bezieht, die minderwertigen Fleischteile billig in Afrika auf den Markt bringt und die dortigen Hühnerfarmen ruiniert. – Naturschutz, angestammte Familienbetriebe, ortsfremde Großinvestoren, Monokulturen, Windräder, Tiermastbetriebe, Biogasanlagen; Bio und Öko und die Gier der Mehrheit nach billigen Lebensmitteln, die Kluft zwischen Vernunft und Profit – das ist das Mosaik der Verhältnisse, die künftig wohl noch komplizierter werden.
Koepp macht das Schlimme wie das Schöne anschaulich. Er schwelgt in betörenden Naturbildern, beobachtet mit feinem Humor Menschlich-Allzumenschliches und erschrickt über das Bedrohliche, ja Zerstörerische rationaler Kostenorientierung. Ein spannender, dabei unglaublich schöner Film. Ein Heimatfilm.

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Die Friedrichstraße in der Mitte Berlins hat, direkt neben dem Revue-Tempel Friedrichstadt-Palast, ein neues Denkmal: massiv, aber mit Schwung. Es ist ein drei Meter hoher Quader aus Gussbeton, durchbrochen von einem exzentrisch verschobenen Kegelstumpf. Dies Loch im Block imaginiert den Lichtstrahl eines Bühnenscheinwerfers. Auf dem Boden, also im Gehwegpflaster, wird dieser gedachte Strahl als ovale Fläche aus dunklem, geschliffenem Granit fortgeführt. Das Ganze sei ein „universelles Sinnbild“ für die Welt des Theaters, sagt das niederländische Künstler-Duo Cisca Bogman (Malerin) und Oliver Störmer (Bildhauer). Von ihm stammt der Entwurf.
Doch der steht hier freilich nicht allein als in Beton gegossenes Sinnbild für die luftige Welt des Theaters (welch witziger Widerspruch zur Festigkeit des Materials). Auf einer schlanken Stele informiert eine Texttafel über den Hintergrund dieses Kubus: Er ist ein Signal in die Vergangenheit, hin zu den Anfängen des Palastes und seinen künstlerisch Epoche machenden Gründervätern. Er ist eine Hommage auf Max Reinhardt, Hans Poelzig und Eric Charell.
Und es sei ein „Denkzeichen“ an die drei vom Nazismus Verfemten, sagt Berndt Schmidt, Intendant des Palastes, dessen Theatergeschichte 1919 mit der Eröffnung des Großen Schauspielhauses begann. Theater-Erneuerer Max Reinhardt hatte Hans Poelzig, Star expressionistischer Architektur-Moderne, beauftragt, einen ehemaligen Zirkusbau (vormals Markthalle) zur Arena für seine monumentalen Breitwand-Inszenierungen und Massenspektakel umzurüsten – damals eine weltweit bestaunte Innovation. Die später genutzt wurde von Eric Charell für dessen stilbildenden Revue- und Operetten-Produktionen. Die Hitlerei setzte all dem ein Ende – Reinhardt wurde „rassisch“ verfolgt, Charell wegen seiner Homosexualität, Poelzig wegen seiner „entarteten“ Baukunst. Der Palast ehrt seine Altvorderen. Und damit sich selbst.