19. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2016

Zäher Marsch mit Smolensk als Symbol

von Holger Politt, Warschau

Der nächste Höhepunkt im politischen Kalender von Jarosław Kaczyński fällt auf den 10. April 2016. Zum sechsten Mal jährt sich dann die Flugzeugkatastrophe, bei der in Smolensk Lech Kaczyński als amtierendes Staatsoberhaupt Polens den Tod fand. Mit an Bord waren die Präsidentengattin und weitere zum Teil hochrangige Vertreter aus Staat und Gesellschaft. Insgesamt kamen 96 Menschen ums Leben – ein Ereignis folglich, dass Polens Öffentlichkeit nachhaltig erschüttert hatte.
Für Jarosław Kaczyński geht es um zwei Dinge. Erstens möchte er die Gelegenheit nutzen, noch einmal nachdrücklich auf ein zentrales Denkmal für seinen Zwillingsbruder unmittelbar vor dem Präsidentenpalast zu pochen. Die bisherigen Pläne, ein solches Denkmal an andere Stelle im Stadtzentrum Warschaus zu errichten, missfallen ihm. Zweitens aber geht es um eine Änderung der Wahrnehmung der Katastrophe, denn ihm sehr zum Ärger glaubt noch immer eine Mehrheit in Polen, die Katastrophe sei eine tragische Folge unglaublicher Schlamperei gewesen – vor allem derjenigen auf polnischer Seite. Jarosław Kaczyński hingegen hält eisern an der Mär fest, sein Präsidentenbruder sei damals einer unerhörten Machenschaft zum Opfer gefallen, die in die Verantwortung von Wladimir Putin und Donald Tusk falle, den damaligen Ministerpräsidenten Russlands und Polens.
Sein wichtigster Gewährsmann bei der Verbreitung solch kruder Theorie ist Polens jetziger Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der fest von einem Bombenanschlag ausgeht. Geschickt getarnte Bombenexplosionen hätten das Flugzeug beim Landeanflug zerschellen lassen, darauf deuteten, so der Minister unerschütterlich, alle erhalten gebliebenen Spuren hin. Ihm als Vorwand dient die Tatsache, dass die Trümmer der Präsidentenmaschine noch immer in Smolensk lagern.
Jedenfalls will Jarosław Kaczyński die Gelegenheit nun beim Schopfe packen, denn er werde, so kündigte er in den letzten Tagen an, an diesem Tage Millionen Polen auf die Beine holen, die seiner Sichtweise auf die Dinge folgten und den beiden Forderungen die nötige öffentliche Unterstützung brächten. Wie sehr der Schmerz über den Unfalltod des Zwillingsbruders, der immer der engste politische Weggefährte gewesen war, ihn auch heute noch prägt, demonstrierte Jarosław Kaczyński gleich am Wahlabend im späten Oktober in breiter Öffentlichkeit. Er meldete hoch in den Himmel hinauf den Vollzug, so wie einst Lech Kaczyński dem wirklich existenten PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński Meldung abgestattet hatte, als er im Oktober 2005 die Schlacht um den Präsidentensessel gegen Erzfeind Donald Tusk gewinnen konnte.
Doch die ganze Mühe um das Lech-Kaczyński-Denkmal und die Bombenexplosionen an Bord der Maschine haben vor allem ein innenpolitisches Ziel. Seit Wochen wird die geschichtspolitische Sau durchs Dorf getrieben, um nun auch dem letzten noch klarzumachen, dass mit Lech Wałȩsa der falsche oder, wenn man es andersherum sieht, auch richtige Mann auf dem Thron des Gründungsvaters der dritten Republik sitzt. Polens oberste Geschichtsbehörde IPN – das Institut für Nationales Erinnern – gibt Aktenfunde frei, mit denen bewiesen werden soll, wie sehr doch Polens letzter wirklicher Arbeiterführer mit der Geheimpolizei in der VR Polen im Bunde stand, was nun eigentlich beweisen soll, wie wenig der Runde Tisch von 1989 noch tauge, um als Gründungsmoment des neuen, freien Polens angesehen zu werden. Damals sei es vor allem darum gegangen, das freiheitsliebende Polen zu betrügen, denn die Kommunisten seien ja schließlich glimpflich davongekommen.
Nach hinten gerückt wird nun der Ausgangspunkt, weit in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs hinein. Polens richtige Freiheitshelden seien nun diejenigen, die sich damals bis zum vergeblichen Schluss bewaffnet der sowjetischen Dominanz entgegengestellt hätten, wiewohl ihr Kampf schier aussichtslos gewesen sei. Das waren die unerschrockenen Untergrundkämpfer, die sich nicht erst lange bei der Niederlage des Warschauer Aufstands vom Sommer 1944 aufgehalten hätten, sondern nun gegen den aus ihrer Sicht wohl richtigen Feind losgezogen seien. Ein abstruses Geschichtsbild, so als ob Polen mit seiner Geschichte im Zweiten Weltkrieg es nötig hätte, den oftmals halsbrecherischen geschichtspolitischen Wegen in den drei baltischen Republiken zu folgen.
Wie nun aber Jarosław Kaczyński daraus ein Fundament zimmern wird, das erinnerungspolitisch eine ganz neue Republik tragen soll, bleibt vorerst sein Geheimnis. Nur eine Parallele ist offensichtlich, denn so wie die antikommunistischen Waldpiraten damals am Ende des Zweiten Weltkriegs auf ihrem Posten ums Leben kamen, so 2010 auch Lech Kaczyński, denn er war auf dem Weg zu den Gedenkfeierlichkeiten in Katyn, wo pünktlich zu erscheinen ihn die Bombenexplosionen an Bord der Tupolew hinderten. Nun versucht sein Zwillingsbruder ihn auf jenen Sockel zu hieven, der vakant sein wird, wenn Lech Wałȩsa endlich hinuntergestürzt worden ist. Der versprochene Aufmarsch der Millionen am 10. April 2016 soll zum Meilenstein werden auf diesem zähen Marsch, um Polens tradiertes Geschichtsverständnis weichzuklopfen.