19. Jahrgang | Nummer 5 | 29. Februar 2016

Von Wien nach Rom. Das Leben der Ingeborg Bachmann

von Mathias Iven

Herbst 1945. Es war ein Aufbruch ins Unbekannte. Von Klagenfurt ging es zum Studium nach Innsbruck. Bereits im darauffolgenden Semester der Wechsel nach Graz – doch auch hier hielt es sie nicht lange. Im Sommer 1946 öffnete die Universität Wien wieder ihre Pforten, am 5. Oktober 1946 traf Ingeborg Bachmann in der von den Spuren des Krieges gezeichneten österreichischen Hauptstadt ein. Zunächst kam sie bei Verwandten in der Severingasse 15 unter, kurze Zeit später zog sie in die Beatrixgasse 26, wo sie bis zum März 1949 wohnte. Ihre letzte Wiener Anschrift lautete Gottfried-Keller-Gasse 13. Bis zum Juli 1953 war sie hier als Untermieterin der Journalistin Bobbie Löcker gemeldet.
An der Wiener Universität schrieb sich Bachmann für Germanistik und Philosophie ein, letztere hörte sie vor allem bei Alois Dempf, Leo Gabriel und Victor Kraft, einem ehemaligen Mitglied des Wiener Kreises um Moritz Schlick. Im Dezember 1949 schloss sie ihre Dissertation zur Existentialphilosophie Heideggers ab und wurde am 23. März 1950 promoviert. Diese Arbeit war, so charakterisiert es Joseph McVeigh in seiner herausragenden Studie zu Bachmanns Wiener Jahren, zugleich Ausdruck ihres neuen Verständnisses von Dichtung, die, im Sinne von Clausewitz, „die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln“ sein sollte. Die damit einhergehende Hoffnung, dass sich aus der Promotion eine akademische Karriere ableiten würde, schwand im Verlauf der Zeit allerdings immer mehr, so dass sich Bachmann 1952 endgültig der Dichtung zuwandte.
Bereits 1947 hatte sie den Kritiker und Schriftsteller Hans Weigel kennengelernt, durch den sie Zugang zu den intellektuell-künstlerischen Kreisen Wiens erhielt. Dieses Zusammentreffen markierte den Beginn ihrer journalistischen Karriere. Ihre Eltern informierte sie im Februar 1948: „Tagsüber studiere ich mit ,heißem Bemühen‘ Philosophie […], nachmittags schreibe ich meistens irgendwo, im Institut, Kaffeehaus etc. für meine journalistischen Sachen“.
Nicht alles, was Bachmann in den oftmals kurzlebigen Zeitschriften publizierte, konnte bis heute ausfindig gemacht werden. Zumal die Suche nach ihren Texten dadurch erschwert wird, dass sie von ihr häufig nur mit einem Kürzel versehen oder anonym veröffentlicht wurden. Umso lobenswerter ist es, dass McVeigh sechs dieser weitgehend unbekannten, seither nicht wieder gedruckten Artikel und Erzählungen aus den Jahren 1948/49 in den Anhang des von ihm veröffentlichten Bandes aufgenommen hat.
Neben dem journalistischen Tagesgeschäft – 1951 bekam sie eine Stelle beim US-amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot und war dort unter anderem mitverantwortlich für die erzieherisch gedachte Sendereihe „Die Radiofamilie“ – nahmen Bachmanns dichterische Versuche immer breiteren Raum ein. Im November 1948 fand im Rahmen der Österreichischen Buchwoche die erste öffentliche Lesung ihrer Gedichte vor einem größeren Publikum statt, Anfang des darauffolgenden Jahres veröffentlichte die Zeitschrift Lynkeus in ihrer ersten Nummer die Bachmann-Gedichte „Abends“, „Wir gehen“, „Es könnte viel bedeuten“ und „Entfremdung“. Als sie im Mai 1953 für ihren Gedichtband „Die gestundete Zeit“ den Preis der Gruppe 47 zugesprochen bekam, bestärkte sie das in ihrem Entschluss, zukünftig das Leben einer freien Schriftstellerin zu leben.
McVeigh, der sich seit Längerem mit dem Leben und Werk Ingeborg Bachmanns beschäftigt, offeriert nicht nur ein äußerst eindrucksvolles Bild von der Entwicklung Wiens nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Darstellung wirft zuvorderst ein Licht auf die politische Sozialisation Bachmanns, die durch die literatur- und kulturpolitischen Debatten jener Jahre geprägt wurde. Gezeigt wird die „Verwandlung der jungen Frau aus der Provinz in eine kosmopolitische Schriftstellerin und Intellektuelle“. Umfassender als andere Autoren widmet sich McVeigh in diesem Zusammenhang den Gründen für Bachmanns Umzug nach Italien im August 1953, der für ihr Schaffen nicht nur einen kreativen Schub bedeutete – ihre Gedichte wurden „sinnlicher, unmittelbarer und kräftiger“ –, sondern vor allem auch eine Hinwendung zu politischen Fragen mit sich brachte.

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Frühjahr 1954. In der Via Ripetta 226, „einer eher desolaten Unterkunft mit Mäusen als Untermieter“, findet Ingeborg Bachmann ihre erste römische Unterkunft. Bewusst, ohne den verklärten Blick der Touristen, hat sie sich für dieses Land, für diese Stadt entschieden. Italien, so erklärt sie Jahre später, ist für sie „etwas Selbstverständliches, und ich fühle mich dort nicht in einem anderen Land, sondern es ist für mich ein Zuhause“. An insgesamt acht verschiedenen Orten wird sie in Rom nach ihrem Zuhause suchen. Immer getrieben, so beschreiben es Irene Fußl und Arturo Larcati in ihrer Darstellung von Bachmanns Zeit in Rom, von dem „große[n] Ehrgeiz, die Maria Callas der Dichtung werden zu wollen“.
Rom ist teuer, vom Schreiben allein kann Bachmann nicht leben. Sie liefert Beiträge für Zeitschriften wie den Merkur, und sie arbeitet als Korrespondentin für Radio Bremen. Im Kreis der Prinzessin Marguerite Caetani findet sie ihrem dichterischen Werk gegenüber aufgeschlossene Gesprächspartner, und mit der von Caetani herausgegebenen Zeitschrift Botteghe Oscure, der wichtigsten internationalen Zeitschrift der Nachkriegszeit, steht ihr ein anerkanntes Publikationsorgan zur Verfügung. Dennoch zwingt sie die finanzielle Lage, Rom Mitte 1955 zu verlassen. Der Abschied fällt ihr schwer. Fußl und Larcati dazu: „Rom ist Bachmann zur Notwendigkeit geworden. Sie wird nach allen Aufbrüchen immer wieder hierher zurückkehren.“ An zahlreichen Beispielen zeigen die beiden Autoren, wie Rom Eingang in Bachmanns Werke gefunden hat. Rom, so ihr Fazit, „bildet den Hintergrund für Szenen der Einsamkeit und der Schwermut und für Bilder des Todes, die alle mit Liebe und Liebesklage zu tun haben“.
Nach eineinhalb Jahren ist sie wieder da. In der Via Vecchiarelli 38, in der Nähe der Engelsbrücke, bezieht Bachmann im Januar 1957 eine kleine Wohnung. „,Bleiben‘ ist alles, was ich mir wünsche“, so heißt es in einem Brief an Hans Paeschke. Doch bereits im Herbst des Folgejahres verlässt sie die Stadt erneut. – 1960, die Rückkehr. Zwei Jahre lang teilt sie die Wohnung mit Max Frisch. Als er sich von ihr abwendet (Frischs Erzählung „Montauk“ spricht davon) versucht Bachmann, sich das Leben zu nehmen. Es folgen Klinikaufenthalte, die sie von ihrer Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit heilen sollen. Diese Trennung, gesteht sie Hans Werner Henze, bedeutet „die grösste Niederlage meines Lebens“.
Sie reist nach Berlin, wo sie sich bis 1965 aufhält. Zurück in Rom lautet ihre neue Adresse: Via Bocca di Leone 60. Hier lebt sie bis Anfang 1972. Ihr Gesundheitszustand, der sich auf Grund eines jahrelangen Medikamentenmissbrauchs zunehmend verschlechtert, hält sie nicht davon ab, noch einmal umzuziehen: Via Giulia 66, Palazzo Sacchetti, ihre letzte Adresse. Hier kommt es in der Nacht vom 25. zum 26. September 1973 zu dem bis heute ungeklärten, tragischen Brandunfall, an dessen Folgen Ingeborg Bachmann am 17. Oktober stirbt. Beigesetzt wird sie in ihrem Geburtsort, verewigt in Uwe Johnsons „diskreter Trauerrede“, seinem 1974 erschienenen Buch „Eine Reise nach Klagenfurt“.
Wien und Rom: nur zwei von mehreren Lebensorten – doch für Ingeborg Bachmann sicherlich die wichtigsten. „Meine römischen Freunde machen sich alle lustig über meine Wohnung, weil sie sagen, dass es mir gelungen ist, mitten in Rom eine Wienerische Wohnung zu haben und ostinamente daran festzuhalten.“ So nachzulesen in einem Interview aus dem Jahre 1969.
Zusammen genommen vermitteln die beiden Bücher neue (Teil-)Einblicke in das Leben Ingeborg Bachmanns. Sie umreißen in erster Linie das für ihr Schreiben so notwendige „Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen“. In den nächsten Jahren haben wir dahingehend sicherlich weitere Aufschlüsse zu erwarten, denn solange Bachmanns Nachlass noch nicht vollständig zugänglich ist, ist die Forschung oftmals auf Vermutungen angewiesen…

Joseph McVeigh: Ingeborg Bachmanns Wien 1946–1953, Insel Verlag, Berlin 2016, 316 Seiten, 24,95 Euro.
Irene Fußl / Arturo Larcati: Das Rom der Ingeborg Bachmann, Edition A-B-Fischer, Berlin 2015, 56 Seiten, 12,00 Euro.