von Ulrich Busch
Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Allen Sonntagsreden und moralischen Appellen zum Trotz wächst die soziale Ungleichheit in Deutschland, vertieft sich die Spaltung der Gesellschaft in Reiche und Arme, Besitzende und Besitzlose, Vermögende und Vermögenslose. Dieser Trend lässt sich unter den gegebenen Bedingungen weder umkehren noch stoppen. Man könnte ihn aber abschwächen und verlangsamen. Voraussetzung dafür wäre lediglich eine entsprechende politische Mehrheitsentscheidung und deren finanzpolitische und juristische Umsetzung.
Finanztechnisch stünden drei Möglichkeiten zur Verfügung: Erstens die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe, zum Beispiel, um die Folgen der Finanzkrise zu verringern oder den Staatshaushalt zu entschulden. Derartige Vorschläge wurden in der Vergangenheit mehrfach unterbreitet, scheiterten aber immer am fehlenden politischen Willen der Regierenden.
Zweitens bietet es sich an, die Vermögenseinkünfte (Zinseinnahmen, Dividenden und andere Einkünfte aus Kapitalvermögen, Gewinne, Mieten, Pachten und so weiter) höher zu besteuern. Auch dies konnte, obwohl es nahe liegt, politisch nicht durchgesetzt werden. Ganz im Gegenteil: Die Einkommensteuer auf Vermögenseinkünfte wurde in der Vergangenheit sogar mehrmals gesenkt.
Als dritte Möglichkeit verbleibt die Reaktivierung der Vermögensteuer. Das wäre zwar nicht die eleganteste Lösung, denn die Vermögensteuer bezieht sich auf die Vermögenssubstanz und nicht auf die Einkommen, um die es bei der Verteilungsgerechtigkeit aber geht. Zudem müssten zuvor die Vermögensbestände erfasst und bewertet werden, was mit einigem Aufwand verbunden ist. Andererseits aber wäre eine Vermögensteuer juristisch verhältnismäßig einfach umzusetzen, da es sie bereits gibt. Ihre Einführung wurde 1952 für die Bundesrepublik beschlossen. Bis zum 31.12.1996 wurde sie auch tatsächlich erhoben, ab 1997 aber wurde ihre Erhebung gemäß einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 „ausgesetzt“.
Begründet wurde dies jedoch nicht etwa mit der Feststellung, dass eine solche Steuer nicht verfassungsgemäß sei oder für die Bundesrepublik unangemessen, sondern schlicht und einfach mit der Tatsache, dass in der Praxis der Steuererhebung das Immobilien- und Produktivvermögen gegenüber dem Geldvermögen bevorteilt wurde. Während dieses zum aktuell gültigen Nominalwert erfasst wurde, galt für jenes eine sich an früheren Wertbestimmungen orientierende Bewertungsmethode. Die damit einher gehende systematische Unterbewertung der Immobilien- und Produktivvermögen und die daraus resultierende steuerliche Privilegierung der Grund- und Immobilien- sowie Unternehmensbesitzer wurde für rechtswidrig erklärt und bildeten den Grund für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bis zur Behebung dieses Mangels wurde die Erhebung der Steuer ausgesetzt.
Der sich daraus ableitende Auftrag an die Politik ist, so sollte man meinen, eindeutig formuliert. Inzwischen sind jedoch 20 Jahre (!) vergangen und nichts ist passiert. – Wirklich nichts? Doch, die Aussetzung der Vermögensteuererhebung hat natürlich Folgen, erstens für diejenigen, die eigentlich hätten Steuern zahlen müssen und die durch die Nichtzahlung erheblich besser gestellt wurden, als dies sonst der Fall gewesen wäre. Und zweitens für den Staatshaushalt und die Länderhaushalte, die die Steuern, wenn sie denn erhoben worden wären, eingenommen hätten und deren Finanzsituation durch das Ausbleiben derselben dauerhaft belastet wird.
Dabei hätten die Bundesländer mit den meisten Vermögenden, also Bayern, Baden-Württemberg, Hessen …, zunächst den größten Vorteil von einer Reaktivierung der Vermögensteuer. Letztlich aber würden alle Bundesländer davon profitieren, auch die ostdeutschen, da ein Teil der Einnahmen über den Länderfinanzausgleich umverteilt werden würde.
Jahrelang herrschte Stillstand in dieser Frage, inzwischen aber mehren sich die Stimmen, die für eine Reaktivierung der Vermögensteuer eintreten. Und es sind nicht nur die Gewerkschaften, die Kirchen, die Partei Die Linke und soziale Netzwerke, die dafür eintreten, auch zahlreiche Wirtschaftsforscher setzen sich heute dafür ein. Den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Bedenken, wonach durch eine derartige Steuer die Vermögenswerte substanziell derart verringert würden, dass dadurch der „Mittelstand“ und die „Leistungselite“ Schaden nehmen könnten, wird in den Vorschlägen mit hohen Freibeträgen begegnet. Danach sollen zwar alle Finanz- und Sachvermögen, einschließlich des selbstgenutzten Wohneigentums und des Betriebsvermögens, zur Besteuerung herangezogen werden, Vermögenswerte jedoch bis zu einer Million Euro (pro Person) sollen steuerfrei bleiben. Klar ist auch, dass nur Nettovermögen besteuert werden, also zuvor alle Verbindlichkeiten abzuziehen sind. Für Unternehmen würden außerdem Sonderregelungen greifen, so dass der Mittelstand nicht gefährdet wird.
Um die Problematik und die Wirkung einer Vermögensbesteuerung richtig einschätzen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass in Deutschland rund ein Prozent aller Haushalte etwa ein Drittel des gesamten privaten Vermögens besitzt, und 0,1 Prozent rund ein Sechstel. Um diese Gruppe von Superreichen und Multimillionären geht es hier, nicht etwa um den Mittelstand mit seinen Einfamilienhäusern, Wochenendgrundstücken, Sparkonten, Limousinen, Porzellansammlungen, Stilmöbeln und Unternehmensbeteiligungen. Die soziale Basis einer Vermögensteuer wäre bei den genannten Freibeträgen sehr, sehr schmal. Und trotzdem brächte eine solche Steuer bis zu 20 Milliarden Euro jährlich in die öffentlichen Kassen. Es lässt sich leicht ausrechnen, was diesen Kassen durch die Aussetzung der Steuererhebung bisher, also seit 1997, bereits an Einnahmen verloren gegangen ist und wie viel zusätzliches Vermögen dadurch privat „gespart“ werden konnte. Ein beachtlicher Betrag, der keinen verarmen ließe, aber vielen Ländern und Kommunen geholfen hätte. Außerdem wäre damit der Verteilungsgerechtigkeit besser gedient.
Gleichwohl würde durch eine solche Besteuerung der Unterschied zwischen den Vermögenden und dem Rest der Gesellschaft nicht wirklich angetastet werden. Warum aber ist selbst eine marginale Veränderung in den Vermögensrelationen, wie sie durch die Reaktivierung der Vermögensteuer bewirkt werden würde, in diesem Staat nicht mehr realisierbar? Warum finden sich in unserer Demokratie dafür keine politischen Mehrheiten? Und warum wird in zwei Jahrzehnten nicht einmal damit begonnen, die Voraussetzungen für die Umsetzung der 1995 vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Aufgabe zu schaffen? Ist der politische Einfluss der „1 Prozent“ Vermögenden derart gewachsen? Dies alles passt nicht zu einer demokratischen Ordnung. Zu einer Gesellschaft, die zur Plutokratie verkommen ist, aber schon.
Schlagwörter: Bundesverfassungsgericht, Finanzen, Plutokratie, Reichtum, Ulrich Busch, Vermögen, Vermögensteuer