von Margit van Ham und Alfons Markuske
Vom 16. bis 18. Oktober führte die Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG) ihre turnusmäßige Jahrestagung durch. Passenderweise erstmals im Auditorium der Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Tucholsky, als sie noch den Namen eines deutschen Kaisers trug, einige Semester Jura studiert hatte.
Der Vortrag von Heribert Prantl, Leiter des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung und Träger des von der KTG alle zwei Jahre vergebenen Kurt Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, zum Selbstverständnis des politischen Journalismus war zweifellos wegen seiner Aktualität der spannendste Beitrag. Guter Journalismus sei eine immerwährende Kampagne für die Demokratie, sagte Prantl und grenzte sich deutlich ab vom vielzitierten Spruch des Hanns-Joachim Friedrichs, wonach sich der Journalist mit keiner Sache gemein machen dürfe. Engagierter Journalismus sei gefordert. Prantl blieb da in keiner Weise theoretisch, seine Rede reichte von TTIP („der Demokratie unwürdig“) bis zu den Flüchtlingsströmen. Prantl benannte klar den Zusammenhang zwischen Freihandel, der die Lebensbedingungen der Menschen in vielen Ländern des Südens zugunsten des Reichtums Weniger zerstöre, und der Migration. Kurt Tucholsky, der die braune Katastrophe aufhalten wollte, sei trotz seines Scheiterns immer ein Ansporn für ihn geblieben.
Prantl fragte nach, was denn der sogenannte Pragmatismus bedeute (Angela Merkel: „Anreize für Flüchtlinge begrenzen“). Gute pragmatische Politik bedeute vor allem, Probleme menschlich zu lösen. Juristische Fiktionen wie die der „sicheren Drittstaaten“ änderten nichts am realen Elend. Derzeit werde viel vor dem „Kippen der Stimmung“ gewarnt. Laut Prantl werde das auch herbeigeschrieben – umso wichtiger für ihn wieder die Rolle des engagierten Journalisten. Dem gegenüber stehe eine Art monolithischer Block der veröffentlichten Meinung in den Medien – Beispiele seien die Griechenland- und die Russlandberichterstattung.
Sein Fazit: Die Zukunft des politischen Journalismus liege im guten Journalismus, einem, der der Wahrheit verpflichtet sei.
Anregung zum Denken boten auch die anderen Beiträge der Tagung, die ein großes Themenfeld abdeckten und das Interesse, auch mal wieder Tucho-Texte hervorzukramen, reichlich bedienten.
Am ersten Tagungstag hatte Juliane Leitert, eine Nachwuchswissenschaftlerin aus Rostock, Teilergebnisse ihrer in Arbeit befindlichen Dissertation zu den DDR-Jahren der Weltbühne (1946 – 1990) vorgestellt. Anschließend ging der KTG-Vorsitzende Ian King (London) dem Thema „Tucholsky im Widerstreit zwischen Bürgertum und Arbeitern“ nach. Blättchen-Autor Frank-Burkhard Habel widmete sich einer Auswahl von Weltbühne-Autoren aus den Zeiten vor sowie nach dem Zweiten Weltkrieg und markierte Kontinuitäten und Brüche. Einfühlsam verfolgte Dieter Mayer anhand von Briefen Tucholskys an Walter Hasenclever den Lebensweg des ersteren gerade in den Jahren der Emigration. („Uns haben sie falsch geboren.“ – Tucholsky an Hasenclever.) Werner Boldt beschäftigte sich mit dem publizistischen Schaffen Carl von Ossietzkys, während Wolfgang Beutin sich Karl Kraus widmete. Anhand des Romans „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq untersuchte Ralf Klausnitzer die Rolle von Intellektuellen und Bürgern in der Geschichte und heute – spannend, manchen zum Widerspruch reizend und hochaktuell.
Den abschließenden Höhepunkt der Tagung bildete die Verleihung des mit 5.000 Euro dotierten Tucholsky-Preises an den Philosophen, Literatur- und Theaterwissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten Jochanan Trilse-Finkelstein für sein Lebenswerk – mit einer Laudatio von Wolfgang Helfritsch, Sprecher der Jury, und dem anschließenden Dank des Preisträgers, der auf sehr persönliche Art seinen Weg zu Tucholsky skizzierte.
Die schönen kulturellen Akzente der Tagung begannen mit Jane Zahn, Klaus Schäfer (Klavier) und ihrem Tucholsky-Programm „… und der ist weg“. Delegationen von Gymnasiasten aus Berlin und Szczecin trugen sehr gekonnt Tucholsky-Texte und -Gedichte vor. Den abrundenden Schlussakkord schlugen Carmen-Maja Antoni samt ihrer Tochter Jennipher sowie Guido Raschke (Klavier) sehr stimmig an – mit einem weiteren Tucholsky-Programm: „Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!“.
Im Rahmen Mitgliederversammlung der KTG am zweiten Tag wurde der britische Germanist Ian King erneut zum Vorsitzenden gewählt.
Die nächste Jahrestagung wird 2016 in Szczecin stattfinden, wo der gebürtige Berliner Tucholsky aufwuchs und wo sich ihm die Geschwister Fritz und Ellen zugesellten.
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