18. Jahrgang | Nummer 18 | 31. August 2015

Zum Geleit

von Siegfried Jacobsohn

So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger
wirkt als toter Buchstabe und kalte Erzählung,
so gewiß wirkt die Schaubühne
tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.

Schiller

So lange das Gefühl nicht ganz erstorben ist, daß der Geist eines Volkes und einer bestimmten Zeit eindringlicher als in der übrigen Literatur im Drama zum Ausdruck kommt, so lange wird immer von neuem der Wunsch lebendig werden, daß der Schaubühne ein Strom künstlerischer und geistiger Neuwerte entquelle, da jetzt zumeist Geschäftsleute bemüht sind, dem Theater mit dem geringsten Einsatz an Geist den größten Gewinn zu entlocken.
Der Wunsch wird zur Aufgabe – zu der Aufgabe, das Theater wieder zur Würde eines Kunstinstituts zu erheben. An dieser Aufgabe mitzuarbeiten, führend und unterrichtend, ist die vornehmste Pflicht dieser Wochenschrift: im engsten Zusammenhange mit dem Leben unserer Zeit, soweit die Kunst des Dramas in Wort und Ton es gestaltet, in ständiger Fühlung auch mit den mannigfaltigen praktischen Fragen der dramatischen Kunst wollen wir hier die Probleme und die Erzeugnisse des zeitlos Großen und Schönen würdigen und fördern.

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Mit diesem Geleitwort erblickte, gegründet vom Autor, vor 110 Jahren – am 7. September 1905 – Die Schaubühne das Licht der Welt. Die vorangestellte Aussage Friedrich Schillers markierte, wie Jacobsohn sein Kind verstanden wissen wollte: als Aufklärung im Geiste der deutschen Klassik.
Bis 1913 war das Blatt auf seinen ursprünglichen Gegenstand, das Theater, fokussiert. Dann entschied der Gründer, Die Schaubühne auch für politische und wirtschaftliche Themen zu öffnen. Bereits zuvor war am 9. Januar 1913 der erste Beitrag eines Jura-Studenten in der Zeitschrift erschienen, der am nämlichen Tage seinen gerade mal 23. Geburtstag feierte und rasch zu Jacobsohns wichtigstem Autor und Mitstreiter avancierte: Kurt Tucholsky.
Dem Wandel im Profil – von der reinen Theaterzeitschrift zur „Zeitschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft“ – trug mit der Ausgabe vom 4. April 1918 der Wandel im Titel Rechnung: nunmehr Die Weltbühne.
Die blieb sie – mit Unterbrechung während der brauen Barbarei in Deutschland und nach Verbot im französischen Exil bei Kriegsausbruch, neu gegründet 1946 in Berlin – bis 1993, als die Rechte am Titel an den Erben des Verlagsgründers restituiert wurden.
Siegfried Jacobsohn hatte in seiner erhalten gebliebenen umfangreichen Korrespondenz mit Tucholsky für ihrer beider Herzensangelegenheit des Öfteren einen liebevollen Diminutiv zur Hand, so am 12. Mai 1924, als er an seinen damaligen „Auslandskorrespondenten“ in Paris schrieb: „Übrigens könntest Du für jede Nummer ein Gedicht schicken. Es belebt das Blättchen doch mächtig.“ Und so nimmt es nicht Wunder, dass ein kleiner Kreis um den Historiker und Publizisten Jörn Schütrumpf, der im Jahre 1997 beschloss, die Tradition der Weltbühne wieder aufleben zu lassen, als Titel Das Blättchen wählte.

Die Redaktion