18. Jahrgang | Nummer 13 | 22. Juni 2015

Partei der Funktionäre

von Günter Hayn

Vor dem Bielefelder LINKEN-Parteitag berichtete neues deutschland, dass das Forum demokratischer Sozialismus (fds) – eine Strömung in der Partei, die sich selbst als „Reformflügel“ sieht – zu einem „Strömungsratschlag“ kurz nach dem Parteitag eingeladen habe. Zum Forum gehören Politiker wie der ob seiner Mitgliedschaft in der „Atlantik-Brücke“ umstrittene Stefan Liebich, der thüringische Strippenzieher Benjamin-Immanuel Hoff, die Funktionärsriege des Berliner Landesverbandes ist fds-dominiert. Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der LINKEN, trat dem „Forum“ erst 2014 offiziell bei, obwohl er als einer der Gründungspaten gelten muss. Die Gründung erfolgte am Rande des Bundesparteitags der PDS im Oktober 2002 in Gera, als infolge der Wahlschlappe wenige Wochen zuvor – die PDS war nur noch dank zweier Direktmandate im Parlament vertreten – die Parteitagsmehrheit einen deutlich radikaleren Kurs forderte und als dessen Protagonistin – ein grandioser Irrtum! – die thüringische Landesvorsitzende Gabi Zimmer zur Bundesvorsitzenden wählte.
Nachdem sowohl Petra Pau, eine der überlebt habenden Bundestagsabgeordneten, als auch Bundesgeschäftsführer Bartsch erklärt hatten, „unter Zimmer“ keinesfalls mitwirken zu wollen, verweigerten unisono alle „reformorientierten“ Politiker eine Vorstandskandidatur. Die Partei stand am Abgrund, die Spaltung schien nur noch eine Sache von Minuten. In dieser Situation wurde auf einer der Freitreppen im Foyer des Geraer Kulturpalastes mit der Verabredung zur Gründung eines „Forums zweite Erneuerung“ die Keimzelle des fds geschaffen. Im Mai 2003 trat nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen, selbst der Mitarbeiterapparat des Karl-Liebknecht-Hauses verweigerte zu großen Teilen dem gewählten Bundesvorstand die Gefolgschaft, die Bundesvorsitzende zurück. Der „linke Flügel“ hatte sich selbst an den politischen Rand katapultiert. Lothar Bisky konnte einen einigermaßen aufgeräumten Laden übernehmen. Zimmer wurde nach Brüssel abgeschoben. Eine von ihrer damaligen Anhängerschaft begründete Strömung namens „Geraer Dialog“ spielt in der Partei nur eine Nebenrolle.
Was oft vergessen wird: Das Debakel der PDS begann nicht in Gera. Gera war im Kern eine – die Wahlniederlage wirkte nur katalytisch! – Konsequenz der nicht durchgestandenen Auseinandersetzungen des Münsteraner Parteitags im April 2000. Da ging es natürlich auch schon um die Frage des Regierens oder Mitregierens auf Länderebene. In Berlin bereiteten einige Strategen den Sturz der CDU-geführten Großen Koalition vor. Zum großen Knall kam es, als der Parteitag Gregor Gysi die Gefolgschaft verweigerte, der einen Vorstoß des Bundesvorstands argumentierte, künftig „Blauhelm“-Einsätze der Bundeswehr zu ermöglichen. Der Antrag fiel durch, der Parteivorstand tauchte ab. Der Parteitag schien einige Zeit handlungsunfähig und stand vor der Selbstauflösung.
Mit der am 25. März 2007 erfolgten Parteifusion mit der WASG Oskar Lafontaines, die sich auch wahlmäßig als Coup erwies, 2009 erreichte DIE LINKE aus dem Stand 11,9 Prozent, geriet das fds zunehmend in die Defensive und versuchte, zumindest unter Ausnutzung seiner personellen Netzwerke die ostdeutschen Bastionen zu sichern. Mit Erfolg: Wer im Osten „mit links“ politische Karriere machen möchte, tut gut daran, sich mit den Herrschaften nicht allzu direkt anzulegen. Einen gewissen Einfluss übt noch die „Emanzipatorische Linke“ aus, der auch die Parteivorsitzende Katja Kipping angehört. Die „Ema.Li“ verfolgt einen Reformkurs, der sich am „Prager Frühling“ orientiert und als Referenzprojekt die Durchsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens favorisiert.
Der Feind „an sich“ ist für viele fds-Anhänger allerdings die „Antikapitalistische Linke“ (AKL), die von Tobias Pflüger und Ulla Jelpke repräsentiert wird und einen strikt auf Systemwechsel abzielenden Kurs fährt. Die politischen Gegensätze, die die Linkspartei immer wieder in eine Zerreißprobe treiben, sind deutlicher als mit diesen beiden Polen nicht zu beschreiben. Das vor einiger Zeit benutzte Kürzel „Bartschisten versus Stalinisten“ ist eine begriffliche Unsauberkeit sondergleichen – bringt es aber, was die Schärfe der Auseinandersetzungen angeht, auf den Punkt.
Beider Strömungen Einfluss ist nicht ausreichend, die Gesamtpartei „auf Kurs“ zu bringen. Er reicht aber aus, um sich gegenseitig die Füße wegzuhauen: Auf dem Europa-Parteitag in Essen im März 2009 erzielten weder Tobias Pflüger (AKL) noch Dominic Heilig (der damalige Frontmann des fds) einen für den Einzug in das Europäische Parlament aussichtsreichen Listenplatz. Ansonsten war diese Liste – wie alle anderen zu anderen Wahlgängen auch – „strömungspolitisch ausgewogen“, wie es auf Linksparteichinesisch heißt. So etwas wird in der Regel vorher ausgekungelt. Nur bei manchen Symbolfiguren wie Pflüger, Heilig oder eben auch Dietmar Bartsch geht das gelegentlich schief. Allerdings ging im Rahmen der Auseinandersetzungen um Oskar Lafontaine zu Beginn des Jahres 2010 auch Gregor Gysi öffentlich zu Bartsch auf Abstand. Der unterlag denn auch im Ringen um den Parteivorsitz neben Katja Kipping dem bis dato außerhalb Baden-Württembergs kaum bekannten Bernd Riexinger.
Auch vor dem Bielefelder Parteitag kam es in Sachen „out-of-area-Einsätze“ der Bundeswehr zu argumentatorischen Zuspitzungen, als wiederum Gysi die Option einer möglichen Linksparteizustimmung zu Kriegseinsätzen in einem taz-Interview ins Spiel brachte. Das ist nicht unbedingt politischer Bockigkeit geschuldet – das ist die Gretchenfrage einer seitens der Linkspartei sehnsüchtig herbeigewünschten Regierungstauglichkeit auf Bundesebene. Nachdem die Partei über viele Monate hinweg bei den sonntäglichen Umfragen bei acht bis neun Prozent herumdümpelte, riss sie Anfang Juni 2015 bei Emnid und Forsa wieder die Zehn-Prozent-Latte. Rot-rot-grün käme aktuell auf 45 Prozent. Das befördert Tagträume. Allerdings ignorieren die „richtig roten“ Strategen tapfer, dass die gegenwärtige Koalition immer noch auf 65 Prozent Zustimmung käme. Auf den deutschen Politik-Wiesen duftet es in diesem Frühjahr nicht nach dem zarten Kräutlein „Wechselstimmung“.
Offen ist, wie es nach dem im Herbst bevorstehenden Rückzug Gregor Gysis weitergeht. Andreas Wehr, auch ein geschickter Konspirateur, orakelte in der jungen welt, dass die Richtungsauseinandersetzung in der Partei mit Gysis Rückzug nicht beendet sei, „sondern jetzt erst richtig begonnen“ habe. Die Zeichen der Partei werden tatsächlich von der Bundestagsfraktion gesetzt. In den Ländern ist es nicht anders. Die Vorstände spielen nur eine formale Rolle. Und da stehen die beiden, einander scheinbar ausschließenden Namen: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht. Letztere kommt aus der inzwischen eher marginalisierten Kommunistischen Plattform (KPF), gilt aber als Integrationsfigur des linken Flügels.
Zwei Tage nach dem Parteitag meldete die dpa, dass Bartsch und Wagenknecht „bereit“ stünden. „Offiziell“ würde es aber erst eine Woche später werden – und gewählt werde ohnehin erst am 13. Oktober. Die Strömungsstrategen scheinen begriffen zu haben, dass die Friedenspfeife nötig ist. Man dürfe zwar nicht die „Mitglieder von Strömungen allein auf Personalquerelen oder Machtansprüche […] reduzieren“, so das fds, aber ein gemeinsames Fundament erfordere „auch einen anderen, durch Solidarität gekennzeichneten Umgang miteinander“. Dazu sollen „regelmäßige Treffen“ dienen. Auf denen werden dann die „Dinge des Lebens“ abgekaspert werden.
Die Partei hatte per 31.12.2014 noch 60.551 Mitglieder, nur etwas unter 4.000 davon gehörten Strömungen und ähnlichen Netzwerken an, darunter aber zahlreiche Funktions- und Mandatsträger. Das Gewicht von Parteitagen auf Bundes- und Landesebene soll also weiter beschnitten werden. Transparenz geht anders. Behauptet wird das Gegenteil: Organisierte Strömungen seien wichtig, „um Debatten transparent zu führen“ – sagen die Strömungen. Man kann das auch anders sehen. Hier formiert sich eine klassische Kaderpartei, die das eigene Parteivolk allenfalls noch für die Wahlkämpfe benötigt. Setzt sich dieser Politikstil durch, muss man von einer schleichenden Re-Stalinisierung sprechen.
Das vom fds angedrohte „Strömungstreffen“ fand am 12. Juni in Berlin „in angenehmer und offener Atmosphäre“ statt, heißt es in der Abschlusserklärung. Das kennt man von früher. Neu ist: Man sei sich einig, dass in der LINKEN „eine neue Kultur des Umgangs angestrebt werden sollte“. Das ist im Konjunktiv gehalten. Sind die eigentlich noch in derselben Partei?