18. Jahrgang | Nummer 8 | 13. April 2015

Kurzschlüssiges

von Erhard Crome

Ende November 2014 ging durch die Medien, die französische Rechtspartei Front National (FN) habe von einer Moskauer Privatbank einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro erhalten. Die Bank gehört einem Mann, von dem es heißt, er stehe Wladimir Putin nahe. Später wurde nachgeschoben, insgesamt gehe es nicht nur um neun, sondern um 40 Millionen Euro; die neun Millionen seien nur die erste Tranche der größeren Kreditlinie. FN-Vorsitzende Marine Le Pen gilt in Frankreich als schärfste Kritikerin der gegen Russland gerichteten Sanktionspolitik der Europäischen Union; sie trete – so faz.net – „immer offensiver als Sprachrohr der russischen Kremlpropaganda in Frankreich“ auf.
Nun ist „russische Kremlpropaganda“ natürlich ein Pleonasmus – „Kremlpropaganda“ ist immer russisch, in Paris steht kein Kreml. Doch russische Propaganda reichte den deutschen Tendenzschreibern offenbar nicht aus, „der Kreml“ musste noch dazu. Das aber nur nebenbei. Trotzdem – es ist ein Ausdruck dafür, dass die gegen Russland gerichtete Propaganda immer darauf zielt, einen möglichst großen Gruseleffekt zu erzielen.
Gleichwohl gilt es über den Fakt zu reden: Der FN, eine ausdrücklich rechte, ja rechtsextreme, nationalistische, rechtspopulistische und rassistische Partei erhält einen Kredit aus Russland. Nun sind 40 Millionen Euro nur eine kleine Summe im Vergleich zu den fünf Milliarden US-Dollar, die die Regierung der USA in den Umsturz in der Ukraine investiert hat. Gleichwohl kann man beides in Beziehung zueinander setzen. Der Westen sieht es als normal an, Gelder in Umstürze, „farbige Revolutionen“ und Systemwechsel in anderen Ländern „zu investieren“, um dort missliebige Regierungen zu beseitigen und willfährige zu installieren. Dass ein solcher Wechsel auch in Russland, zum Sturz Putins und zur Etablierung eines pro-westlichen Sachwalters, angestrebt wird, daraus machen selbst einflussreiche Politiker in Washington oder Berlin keinen Hehl. Warum sollte man von Russland etwas anderes erwarten?
Marine Le Pen hat bereits erklärt, dass sie im Falle ihrer Wahl zur Präsidentin Frankreichs die EU-Verträge revidieren und Frankreich aus dem Euro lösen wolle – natürlich nicht, um Putin einen Gefallen zu tun, sondern als französische Nationalistin, die es ablehnt, dass die „Grande Nation“ unter der neuen deutschen Hegemonie existiert. Aber aus russischer Sicht könnte eine Schwächung oder gar Auflösung der EU durchaus geeignet sein, den Druck auf das eigene Land zu mindern. Die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Ukraine ist ja nur Vorbote größerer Konflikte um die westliche Dominanz einerseits und den Platz Russlands in der Welt des 21. Jahrhunderts andererseits. Wenn die EU nicht mehr als imperiales Zentrum mit weltweiten Ambitionen agiert, sondern sich wieder in ihre nationalen Bestandteile zerlegt, ist Deutschland zwar immer noch stark, aber keine global relevante Macht mehr, die Russland herausfordern könnte.
Schaut man zurück in die Geschichte, gilt zunächst der kluge Satz Heinrich Manns über Europa aus dem Jahre 1944: „die militärischen Auseinandersetzungen mächtiger Nationen sind vergeblich, sie entscheiden nichts, da immer dieselben, wenigen Gegner, soweit man zurückdenkt, aufeinanderstoßen“. Im Ersten Weltkrieg war Russland mit Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland verbündet. Das war Folge der Art und Weise der deutschen Reichseinigung und vor allem der hoffärtigen Machtpolitik des letzten deutschen Kaisers. Gleichwohl war sich der russische Zar der französischen Unterstützung nach den Balkankrisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht wirklich sicher. So wurde die Wahl Raymond Poincarés 1913 zum französischen Staatspräsidenten auch mit russischen Geldern finanziert. Er gab die Gewähr des festen Bündnisses gegen Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien und zudem die USA gegen Russland verbündet, so dass sich die Mächtekonstellation für Russland ganz anders darstellt als 100 Jahre zuvor. Und es ist auf China verwiesen, dem es zugleich misstraut.
Hinzu kommt, dass die westlichen Mächte gegen Russland mit den Losungen der bürgerlichen Freiheiten und der Menschenrechte agieren, wie sie es auch während des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion taten. Russland dagegen ist nach dem Ende des Realsozialismus und dem Fiasko der leeren Versprechungen Boris Jelzins von rascher Verwestlichung auf die Ideen des Christentums, des Nationalismus und des Konservatismus zurückgefallen, mit Putin als dem Ersatz-Zaren.
Insofern müht sich die russische Politik, sich im Westen verstärkt auf rechte und nationalistische Kräfte zu beziehen. Marine Le Pen ist da nicht die Ausnahme. So hat Ende März 2015 in Sankt Petersburg eine internationale Konferenz rechter Parteien stattgefunden, organisiert von der russischen Partei „Rodina“ (Vaterland), an der unter anderen aus Deutschland die NPD teilgenommen hat, repräsentiert durch ihren früheren Vorsitzenden Udo Voigt – derzeit der eine NPD-Abgeordnete im Europaparlament (den es gibt, weil zur Europa-Wahl keine Fünf- oder Drei-Prozent-Hürde mehr gilt).
In der Berliner Zeitung nun wurde dieser Vorgang kürzlich wie folgt kommentiert: „Russland, so scheint es, ist die Leitnation der Querfront geworden und in Wladimir Putin erkennen sich die Wahnsinnigen der Moderne wieder. Wie keinem anderen ist es ihm gelungen, die Unterschiede zwischen den Extremen aus Rechts und Links unkenntlich zu machen. Gerade erst ging in Sankt Petersburg ein europäisches Treffen extrem rechtsnationaler Parteien zu Ende… Weit wichtiger als die bekannten rassistischen, antisemitischen und homophoben Vorstellungen dieser Leute ist der symbolische Wert dieses Treffens. Er bedeutet: Mit Russland kann sich jeder identifizieren, der etwas gegen den Westen hat. Und wer es tut, wird hinnehmen müssen, dass Europas Nazis mit am Tisch sitzen. Ob Linkspartei oder antiimperialistische Antifa, ob Pegida oder Friedensmahnwachen, Kameradschaften, Aluhüte oder Ostermarschierer – sie alle lassen sich auf Putin ein. Russische Fahnen sind das Gleichnis für eine Allianz geworden, die noch vor kurzer Zeit undenkbar schien. Nun wehen sie überall.“
Das kritisiert nicht Russland, sondern es denunziert die Friedensbewegung, die Ostermärsche. Schon im Ringen gegen die westlichen Kriege gegen Jugoslawien, Irak und Libyen ging es nicht um Verteidigung von Milosevic, Saddam Hussein oder Gaddafi, sondern um die Erhaltung des Friedens. Das gilt auch hier. Nun wird versucht, der Linken eine Nazi-Schelle um den Hals zu hängen. Und wer die westliche Kriegspolitik gegen Russland ablehnt, gilt als „Wahnsinniger der Moderne“, also als unmodern, antimodern. Eine solche Kommentarvolte ist kurzschlüssig, ist Kriegspropaganda. Und muss auch so genannt werden.

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