18. Jahrgang | Nummer 1 | 5. Januar 2015

Politik und Sprache

von Heino Bosselmann

John Locke (1632 – 1707), dem sowohl die moderne Erkenntnistheorie wie das bürgerliche Staatsdenken so grundlegende Schriften wie „An Essay concerning Humane Understanding“ und „The Second Treatise of Civil Government“ (beide 1690) verdanken, analysierte – typisch Aufklärung – unter anderem die Schwierigkeiten der menschlichen Urteilskraft.
Dies zu lesen ist amüsant, weil Locke, Zeitgenosse der Turbulenzen des 17. Jahrhunderts, klassische Schwierigkeiten in der Politik diagnostiziert, die sich in vier Jahrhunderten nicht einen Deut verändert haben.
„Außer dem Mangel an klar umrissenen Begriffen sowie an Scharfsinn und Erfahrung bei dem Bemühen, begriffliche Zwischenstufen zu finden“, hält er drei Fehler für besonders fatal:
Den ersten macht er bei Menschen aus, „die ihren eigenen Verstand überhaupt nur selten gebrauchen und ihr Tun und Denken lieber nach dem Vorbild anderer ausrichten“, den zweiten bei jenen, „die an Stelle der Vernunft ihre Gefühle setzen“ und dabei Worte verwenden, „hinter denen keine klaren Begriffe stehen“, den dritten erkennt er bei Diskutanten, denen „ein Sinn für größere Zusammenhänge fehlt“.
Damit ist hinlänglich beschrieben, wo die Probleme im politischen Denken und Handeln liegen. Es ist damals wie heute ein veritabler Akt couragierter Aufklärung, auf die Präzision der in Verwendung stehenden Begriffe zu achten und Genauigkeit beziehungsweise semantische Schlüssigkeit im Gebrauch einzufordern. Verquastes politisches Gedöns, das sich auf „Sprachreglungen“ und Verlautbarungsrhetorik zurückzuziehen versucht und sich so aus der Verantwortung stiehlt, zur Klarheit zu zwingen, das ist genau der produktive Widerstand, der dem Diskurs nützt und ihn schärft.
Ungenauigkeit in Begriff und Aussage ist stets der Versuch auszuweichen, um sich so nicht in die Pflicht nehmen zu lassen. Man achte bei allen „Statements“ darauf. Vielleicht kann gelten: Ich werde deine Redlichkeit und deine Kompetenz an der Klarheit deiner Aussagen messen. Und Ziel meines Dialogs mit dir wird es sein, dich zu dieser Klarheit zu zwingen.
Ludwig Wittgenstein formuliert in seinen „Philosophischen Untersuchungen“: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ Diese Grundaussage ist eine sprachphilosophische, aber das Wort Kampf in diesem kernigen Satz darf man – in Übertragung – getrost politisch auffassen. Wenn, wiederum mit Wittgenstein , „die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist“, so stehen allerlei politische Heilsbegriffe nur als Staffage da. Man könnte davon ganze Listen edieren. Leider gehören „Bildung“ und „Mehr Bildung!“ sowie „Europa“ und „Mehr Europa!“ dazu. Die Politik benutzt solche positiv konnotierten Pauschalen, um Klarheit zu meiden und Worte für Ziele zu instrumentalisieren. Von Wahlplakaten ganz zu schweigen. Früher enthielten sie argumentierenden Text, aber der erscheint heute keinem mehr zumutbar, deshalb bleibt es beim reduzierten Muster in Ellipsen: Erfolgreich! Mit uns!
Mit solchen Lexemen ist zunächst nichts Verifizierbares ausgedrückt; sie kommen nur mit einem gewissen Charme daher, weil sie nett angestrichen sind. Erst wenn diese Begriffe sprachlich in Zusammenhängen gebraucht werden, beginnt die Auseinandersetzung um deren Inhalt und Funktion und damit die Bestimmung intendierter Zwecke, die sich oft genug verbergen.
Anliegen der Aufklärung war es stets, die Politik dort zu stellen, wo sie sprachlichen Nebel um ihr Denken verbreitet, ja sogar herauszufinden, ob hinter dem Dunst der Sprachkonstrukte überhaupt etwas steckt oder die Phrasen nur einen nackten Kaiser zu bestricken und zu verhüllen suchen. Mit etwas analytischer Philosophie ist man dabei ebenso gut beraten wie mit dem gesunden Menschenverstand.
Erkenntnis beginnt dort, wo Sprache und Denken die Phrase vermeiden. Das ist schwierig, weil es nie um Objektivität gehen kann, insofern man sich zwangsläufig innerhalb von Zuschreibungen, Konstruktionen und Interpretationen bewegt. Politik weiß das nicht mal. Was sie verkündet, hält sie nach wie vor naiv für wahr und nicht nur für viabel, also passrecht im Sinne ihrer Intentionen. Genau hinzuhören und deutlich mitzureden, das stellte einen Akt gedanklicher Hygiene dar.