von Bernhard Mankwald
Auch im Umgang mit dem Kreditwesen konnte Karl Marx auf vielfältige praktische Erfahrungen zurückblicken. So wurde einmal ein Pfandleiher sehr misstrauisch, dem er silberne Besteckteile mit dem Wappen der Herzöge von Argyll als Sicherheit für einen Kredit präsentierte. Marx konnte aber schließlich nachweisen, dass die Wertgegenstände rechtmäßig in den Besitz seiner Gattin Jenny gelangt waren; sie stammte aus der adligen Familie von Westphalen und hatte das Besteck als Aussteuer erhalten.
Aus theoretischer Sicht dagegen verzichtete Marx auf eine „eingehende Analyse“ des Kreditwesens. Bei seiner Gründlichkeit bedeutete das, dass er sich auf einige Kapitel zum Thema und etliche eher beiläufige Bemerkungen beschränkte, die trotzdem vieles zur „Charakteristik der kapitalistischen Produktionsweise“ beitragen.
Der Kredit entwickelt sich nach Ansicht von Marx naturwüchsig aus dem Kauf, sobald eine Ware aus irgendeinem Grunde nicht gleich bezahlt wird; an die Stelle der sofortigen Zahlung tritt nun die Verpflichtung, zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu zahlen. Verbrieft wurden solche Forderungen im Geschäftsleben meist durch Wechsel, die auch zum Zweck anderweitiger Zahlungen weitergegeben werden konnten. Solche Wechsel wurden auch von Banken ausgegeben und waren dann als Zahlungsmittel allgemein akzeptiert.
Diese Art von „Kreditgeld“ spielte schon zur Zeit von Marx eine äußerst wichtige Rolle: Große Handelshäuser wickelten fast 90 Prozent ihres Zahlungsverkehrs in Wechseln und Schecks ab. Solche Papiere gibt es auch heute noch, wenngleich sie im Zeitalter der Chips und Datenträger etwas altmodisch wirken.
Zu „Wechseln auf andre Banken, Schecks auf solche, Krediteröffnungen derselben Art“ gesellte sich schon damals eine Art von Kreditgeld, die sich besser für den alltäglichen Zahlungsverkehr eignete, nämlich, „bei Banken mit Notenausgabe, in den eignen Banknoten der Bank.“ Für Marx war „die Banknote nur ein zirkulierendes Kreditzeichen“.
Die Notenbanken waren damals einträgliche Privatunternehmen; Marx stellte aber fest, dass „in den meisten Ländern die Hauptbanken, welche Noten ausgeben, als sonderbarer Mischmasch zwischen Nationalbank und Privatbank in der Tat den Nationalkredit hinter sich haben und ihre Noten mehr oder minder gesetzliches Zahlungsmittel sind“. Unsere heutigen Notenbanken sind im Besitz des Staates, oder im Falle des Euro eines ganzen Konsortiums von Staaten. Ihr Kredit ist daher im Grunde Staatskredit. Und davon haben wir ja alle etwas: „Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Völker eingeht, ist – ihre Staatsschuld.“
Im Wirtschaftsleben führten Kredite zu einer maßlosen Ausdehnung der Produktion, die nach Auffassung von Marx mit Notwendigkeit „in massenhafter Überführung der Märkte und im Krach“ enden muss. Marx beschreibt, wie man die langsamen Verbindungen nach Indien ausnutzte, indem man „nicht mehr Wechsel zog, weil Ware gekauft worden war, sondern Waren kaufte, um diskontierbare, in Geld umsetzbare Wechsel ziehen zu können“. Dieses Verfahren zur Erzeugung „fiktiven Kapitals“ stützte sich bestenfalls auf höchst zweifelhafte Marktchancen, oft genug aber auch auf Waren, die ebenfalls nur fiktiv vorhanden waren.
Der Kredit senkte die Kosten des Geldumlaufs, indem Münzen durch Papier und dieses durch bloßes Buchgeld ersetzt wurden. Er diente „der Spekulation als Basis“, weil er es ermöglichte, Abschluss und Zahlung zeitlich weit von einander zu trennen. Und Geschäfte ab einer gewissen Größenordnung wurden durch ihn erst möglich; nämlich durch die Gründung von Aktiengesellschaften, die sich damals besonders mit dem Eisenbahnbau befassten und weitgehend durch Kredite finanziert wurden. „Der Profit stellt sich so dar […] als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten Taglöhner.“ Marx sah darin eine Vorstufe zur Umwandlung in gesellschaftliches Eigentum, die allerdings bekanntlich auch heute noch nicht auf der Tagesordnung steht.
Der Kredit bietet „dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit. Verfügung über gesellschaftliches, nicht eignes Kapital, gibt ihm Verfügung über gesellschaftliche Arbeit. Das Kapital selbst, das man wirklich oder in der Meinung des Publikums besitzt, wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau. Es gilt dies besonders im Großhandel, durch dessen Hände der größte Teil des gesellschaftlichen Produkts passiert. […] Was der spekulierende Großhändler riskiert, ist gesellschaftliches, nicht sein Eigentum.“
Auch die Finanzkrise des Jahres 2008 hing mit massiver Überproduktion zusammen, die sich besonders deutlich in der Autoindustrie zeigte. In Deutschland schuf man neue Nachfrage, indem man die massenhafte Verschrottung teils noch recht ansehnlicher Gebrauchtwagen subventionierte. Viele neuangelegte Kreisverkehre zeigen, dass man auch an die Bauwirtschaft gedacht hat. Besonders bedrohliche Formen nahm die Krise aber im Kreditwesen an. Im Prinzip waren die Geschäfte, die da zu Protest gingen, wohl recht einfach: Kurzfristige Kredite wurden zu langfristigen „veredelt“ und schlechte Risiken zu guten. Im Detail kam es gerade darauf an, dies in möglichst undurchsichtigen Konstruktionen über etliche Zwischenstationen zu tun.
Ersten Zusammenbrüchen sah man tatenlos zu – dann eilten die Regierungen den wankenden Unternehmen zur Hilfe und buchten so die akute Krise des privaten Kredits aufs Konto der chronischen Krise des Staatskredits. Und der ist wichtiger denn je, wie etwa die kaum mehr vorstellbare Verschuldung der USA zeigt. Erst im Februar dieses Jahres wurde dort – zur Abwechslung einmal ohne die üblichen grotesken Querelen – die gesetzliche Schuldengrenze ausgesetzt; 17,3 Billionen Dollar Kredit reichten nicht mehr aus, um den Staat zahlungsfähig zu halten. Über eine neue Grenze wird der Kongress wohl in einigen Monaten beraten. Ist das etwa die „New Frontier“, von der John F. Kennedy in seiner Zeit als Präsident sprach?
Schlagwörter: Bernhard Mankwald, Geld, Kapital, Karl Marx, Kreditwesen