von Ulrich Busch
Als am 01. Januar 1999 elf Staaten den Euro als gemeinsame Währung einführten und damit die Europäische Währungsunion begründeten, existierte die Europäische Zentralbank (EZB) bereits einige Monate. Inzwischen sind es 19 Staaten, die den Euro haben, und die Macht der EZB ist dementsprechend gewachsen. Gewachsen ist aber auch ihr Ruf, als übernationale Institution erfolgreich Krisenprävention zu betreiben. Insbesondere dann, wenn die Regierungen der Euro-Staaten versagen und die EZB mit ihrer Geldpolitik die Unterlassungen der Finanzpolitik kompensieren muss. Dies war in den sechzehn Jahren seit Wirksamwerden der Währungsunion oft genug und auch zunehmend öfter der Fall.
Aber alles hat seine Grenzen, so auch die Geldpolitik. Die EZB ist hier inzwischen an ihre Grenzen gelangt und schickt sich jetzt an, diese zu überschreiten. Das ruft die Kritiker auf den Plan – bis zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, der darüber befinden soll, ob der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB rechtens ist oder nicht. Ist er rechtens, so würde die EZB – zumindest temporär – zur „Bad Bank“ mutieren und die europäische Geldpolitik in unsichere Fahrwasser manövrieren. Andernfalls aber wäre die EZB mit ihrem Latein am Ende: Die Mittel ihrer geldpolitischen Einflussnahme auf die europäische Wirtschaft wären erschöpft. Sie könnte für deren Gesundung nichts mehr tun.
Um die Brisanz dieser Dilemma-Situation, die sich hier für die nächsten Monate abzeichnet, zu verstehen, kann ein Blick zurück, eine Analyse des bisherigen Krisenmanagements der EZB, hilfreich sein: Bis zum Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 schien die Welt in Ordnung. Die Volkswirtschaften im Euro-Raum entwickelten sich positiv und die EZB sorgte mit ihrer Geldpolitik für eine stabile Währung nach innen wie nach außen. Doch dann kam die Krise, wodurch fünf Volkswirtschaften in Südeuropa und Irland an den Rand des Zusammenbruchs gerieten. Die EZB erwies sich in dieser Situation als „Retter in der Not“, indem sie die sechs Krisenländer großzügig mit Liquidität versorgte und dadurch vor dem Untergang rettete. Bei dem Geld, das sie dafür bereitstellte, handelte es sich natürlich um Kredite und nicht etwa um Geschenke. Als Zentralbank schöpfte sie diese Kredite, und damit das rettende Geld, aus dem „Nichts“ (siehe: Das Blättchen 2/2014). Dies bedeutet aber keineswegs, dass der Umfang der Kreditschöpfung und die daran geknüpften Bedingungen gleichgültig wären. Ganz im Gegenteil: Kredite sind an Auflagen gebunden und müssen mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden. Im Falle Irlands hat das ganz gut funktioniert, in den südeuropäischen Ländern dagegen weniger. Da die Wirtschaft dieser Länder nicht in Schwung kam und die Sparauflagen zudem restriktiv wirkten, klappte es mit der Rückzahlung der Kredite nicht wie geplant. Vielmehr benötigten diese Länder „frisches“ Geld. Normalerweise sind dafür die Finanzmärkte da. Hier erhalten Krisenländern aber nur Kredite mit hohen Risikozuschlägen, wenn überhaupt. Also musste wiederum die EZB einspringen. Diese wies die Notenbanken an, den bedürftigen Staaten Kredite in Milliardenhöhe zu gewähren (SMP-Programm). Zudem gab sie dafür ein Garantieversprechen ab, um die Zinsen auf den Finanzmärkten zu senken. Auch wenn diese Maßnahmen vor allem den Gläubigern der überschuldeten Banken und Staaten dienten, so verschafften sie diesen doch „Luft“, um ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen.
Inzwischen ist einige Zeit vergangen, und es wurde durchaus einiges erreicht, die Gesamtlage in den Krisenstaaten hat sich jedoch nicht grundlegend verändert. Nach wie vor stagniert die Wirtschaft oder entwickelt sie sich, wie in Griechenland, auf einem sehr niedrigen Niveau, so dass weitere geldpolitische Maßnahmen angesagt sind.
Das erste, was einem dazu einfällt, ist die Zinspolitik der Zentralbank selbst. Diese allerdings steht unter keinem guten Stern. Die EZB betreibt seit längerem eine Zinssenkungspolitik, die bisher in der Welt ohne Beispiel ist. Nachdem sie die Leitzinsen, also die Zinssätze, zu denen sie den Geschäftsbanken der Euro-Staaten Kredite gewährt, schon 2008 von vier auf ein Prozent heruntergefahren hatte, senkte sie diese seit 2012 in mehreren Schritten bis auf aktuell 0,05 Prozent. Das heißt im Klartext: Geld hat jetzt faktisch keinen „Preis“ mehr; es wird den Banken von der EZB fast umsonst zur Verfügung gestellt. Dies widerspricht allen Regeln, Theorien und Lehrbuchweisheiten. Die Geldpolitik der EZB unter Mario Draghi gilt daher als mutig und unkonventionell. Sie stellt eine geldpolitische Gratwanderung dar und eine ökonomische Innovation.
Aber was hat sie bewirkt? Außer dem wirtschaftlichen Überleben einiger Banken und Regierungen hat sie Europa bisher nichts gebracht. Weder sind die krisengeschädigten Volkswirtschaften gesundet, noch ist ein konjunktureller Aufschwung auszumachen! Es zeigt sich aber auch kein Anstieg der Inflation, was nach neomonetaristischer Vorstellung zwangsläufig die Folge der praktizierten Geldpolitik wäre. Mit dem Ausbleiben der beabsichtigten Wirkungen wie der befürchteten Folgen aber wächst die Angst – die Angst vor dem, was kommt. Denn irgendetwas muss doch passieren, wenn man Jahr für Jahr Hunderte von Milliarden Euro in die Zirkulation pumpt!
Und nun schwächelt auch noch die Wirtschaft in den „gesunden“ Volkswirtschaften, in Deutschland, Finnland, Österreich und anderswo. Die Konjunkturaussichten trüben sich überall ein, und es entsteht eine Situation, in welcher die Geldpolitik gefragt ist, und zwar als Zinssenkungspolitik der Zentralbank. Eine solche aber ist nun nicht mehr möglich, denn die EZB hat ihr Pulver bereits verschossen. Wenn man bei null angekommen ist, gibt es nichts mehr zu senken! Was also bleibt zu tun? Das einzige, was der EZB jetzt noch möglich ist, sind erstens die direkte Kreditvergabe an den Privatsektor, um die Konjunktur zu retten, wo die nationalen Banken versagen, und zweitens der Ankauf von Staatsanleihen, auch in Gestalt von ABS-Paketen, womit 2008 große Banken gescheitert sind und wodurch die EZB, wie Ex-Bundesbanker Axel Weber kürzlich meinte, endgültig zur „Bad Bank“ mutieren würde. Beides, also sowohl die direkte Kreditvergaben an die Wirtschaft als auch die direkte Staatsfinanzierung, ist der EZB aber eigentlich verboten und deshalb Gegenstand des eingangs erwähnten Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. Egal, wie dieser letztlich entscheidet, in jedem Fall bedeutet das Vorgehen der EZB eine Grenzüberschreitung mit weitreichenden Folgen für die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität in Europa, für den Euro und für die Zukunft der Europäischen Union. – Man darf gespannt sein, wie das geldpolitische Experiment ausgehen wird.
Schlagwörter: Euro, EZB, Finanzen, Geldpolitik, Ulrich Busch