von Peter Petras
Es war am 20. August 2014, dass der für Entwicklungspolitik zuständige Minister – er heißt Gerd Müller und führt sein Amt eher unauffällig – in einem Interview im deutschen Fernsehen, zum sogenannten Islamischen Staat (IS) befragt, sagte: „Man muss sich auch die Frage stellen, wer rüstet, wer finanziert die IS-Truppen? Stichwort Katar.“ Anschließend bestellte Katars Herrscherhaus in Doha die deutsche Botschafterin ein, um sich über Müller zu beschweren. Die Bundesregierung stellte sich nicht etwa hinter ihren Minister, sondern entschuldigte sich brav. Es handele sich um „bedauernswerte Missverständnisse“; der Minister habe mit seinen Äußerungen „keinen konkreten Vorwurf verbunden“, sondern auf Zeitungsmeldungen angespielt. Die Herrscher Katars haben in Deutschland bei Volkswagen, Hochtief und Siemens investiert. Im Mai sind sie mit 1,75 Milliarden Euro bei der Deutschen Bank eingestiegen. Solche Geschäftspartner düpiert man nicht, lieber desavouiert man einen (nicht so wichtigen) Minister.
Als am 17. September der Emir bei der Bundeskanzlerin war, sagte er zu diesem Thema: „Katar finanziert und unterstützt keine Terrorgruppen in Syrien und Irak und hat dies auch nie getan.“ Angela Merkel kommentierte dies mit dem Satz: „Ich habe keinen Grund, ihm nicht zu glauben.“ Nun gilt Katar auch als der größte Finanzier der palästinensischen Hamas, die im Westen allgemein als terroristisch angesehen wird. Ein Widerspruch? Wahrscheinlich hat Katar auch in Syrien Gruppen unterstützt, die gegen den verhassten Präsidenten Assad gekämpft haben. Da galten sie als islamische Freiheitskämpfer. Dass daraus Kräfte wurden, die in das selbsternannte „Kalifat“ einflossen, habe ja vielleicht niemand wissen können? Eine andere Variante ist, dass Geld aus Katar geflossen ist – von reichen Privatleuten oder privaten Stiftungen – aber nicht aus der Tasche des Emirs. Dann hätte er auch nicht gelogen, nur nicht ganz die Wahrheit gesagt.
Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem Phänomen, wie bei Bin Laden und seiner al Qaida zu tun: als sie gegen den „richtigen“ Feind kämpften (die Sowjetunion in Afghanistan), waren sie „Freiheitskämpfer“ und wohlgelitten, als sie sich gegen den „falschen“ Feind (die USA) wandten, wurden sie zu „Terroristen“, die auf den Tod zu bekämpfen waren.
Überhaupt hat der Westen mit seiner Politik die Voraussetzungen für das jetzige Desaster im Nahen Osten geschaffen. Die weltlichen Regime in Irak, Libyen und Syrien waren nicht pro-westlich, aber Stabilitätsfaktoren in der Region. Ihre Zerstörung durch westliche Kriege im Falle Iraks und Libyens beziehungsweise der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien hat ein machtpolitisches Vakuum geschaffen, in das die Dschihadisten, nicht zuletzt mit Unterstützung der reaktionären Golfmonarchien gestoßen sind.
Zugleich sind die USA in der Region nicht stärker, sondern schwächer geworden. Saudi-Arabien, die Türkei und Israel agieren als Regionalmächte und nehmen dabei immer weniger Rücksicht auf „Wünsche“ der USA. Der Iran sollte geschwächt werden, ist als Regionalmacht aber seinerseits stärker geworden – der Westen braucht ihn als Stabilitätsfaktor in Irak und Afghanistan. Zugleich wollen die USA kein offenes Bündnis mit ihm eingehen. Die Türkei stellte sich den Sturz Assads in Syrien als Ausdehnung ihrer Einflusszone vor. Deshalb wurden die IS-Kämpfer stillschweigend über die offen gehaltene Grenze gelassen, konnten türkisches Gebiet als Rückzugsraum nutzen. Nach kurdischen Quellen – die aus türkischer Sicht grundsätzlich als unglaubwürdig gelten – wurden noch am Samstag, dem 20. September, fünf Militärlastwagen voller Waffen aus der Türkei zum IS geschickt. Dass es einen Deal im Zusammenhang mit der Freilassung der vom IS seit Monaten festgehaltenen 49 türkischen Geiseln gab, wurde von der türkischen Regierung vehement dementiert.
US-Präsident Barack Obama hielt nun am 24. September eine Rede in der UNO, der UN-Sicherheitsrat hat Resolutionen gegen den IS und zur Verhinderung des Einsickerns weiterer ausländischer Dschihadisten nach Syrien und Irak beschlossen. Der Luftkrieg gegen den IS unter Führung der USA wurde allerdings bereits in der Nacht vom 22. zum 23. September begonnen. Damit hat nun Obama einerseits – im Unterschied zu seinem Vorgänger Bush II beim Irak-Krieg – die Weltorganisation mit an Bord geholt, aber andererseits wie dieser deutlich gemacht, dass er seine Kriegsentscheidungen nicht vom Sicherheitsrat abhängig macht.
Gleichzeitig hat Obama den Luftkrieg auf syrisches Territorium erstreckt, obgleich er eine Zustimmung der nach wie vor vorhandenen Assad-Regierung nicht eingeholt hat. Die irakische hat er. Damit sind die Luftkriege in Irak und Syrien völkerrechtlich etwas völlig verschiedenes, auch wenn es gegen denselben IS geht. Zudem will er nach wie vor Assad stürzen, obwohl die syrischen Regierungstruppen die einzigen sind, die real am Boden gegen den IS kämpfen. Zum Mittun im Luftkrieg gegen IS hat Obama auch die arabischen Staaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrein und Jordanien sowie Katar veranlasst, womit auch alle einbezogen sind, die bisher mutmaßlich die Dschihadisten unterstützt haben.
Die von den USA eingebrachte Resolution im Sicherheitsrat wurde einstimmig angenommen. Das heißt, Russland hat den Beschluss mit gefasst. Dessen ungeachtet hat Obama in seiner UNO-Rede den Terror von IS, das Ebolavirus und die russische Politik als die größten Gefahren für die Welt bezeichnet. Er hat nicht nur keine konsistente Nahost-Politik, sondern auch keine Wahrnehmung der Realitäten, die der Lage angemessen wäre. Die scharfe Rhetorik ist simulierte Führungsstärke der schwächer werdenden USA.
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