17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Weshalb ich in rechts-intellektuellen Medien veröffentlichte – und wieder umkehrte

Gastbeitrag von Heino Bosselmann

1.

Seit den sogenannten Nullerjahren, die mit ihren ökonomischen und finanziellen Exzessen von „New Economy“ bis zum Crash von Lehman Brothers so turbulent waren wie politisch nullig, schrieb ich für die landläufig pauschal inkriminierten rechts-intellektuellen Blätter Junge Freiheit und Sezession.
Für kritische Veröffentlichungen zum bundesdeutschen Bildungssystem, die mir als Lehrer und mit meinen praktischen Erfahrungen wichtig waren, gab es keine andere Adresse. Beiträge zur Kritik des infolge einer Reformvielzahl nur verschlimmbesserten Bildungssystems, in sich Ausdruck der ideellen Erschöpfung der Berliner Republik, waren und sind weder in der Mitte noch links zu publizieren. Erst jüngst meldete sich dort das Erschrecken darüber, dass die „Abi-Schnitte“ zwar immer besser, die Kenntnisse und Befähigungen aber – offenbar proportional dazu – immer schlechter würden. Das war so seit Jahrzehnten abzusehen, weil um den Preis, möglichst vielen ein Abiturzeugnis auszudrucken, sowohl Inhalte als auch Anforderungen reduziert wurden und sich das frühere Gymnasium dabei zur neuen Gesamtschule wandelte. Nur wollte niemand von der Mitte bis links eine Problematisierung dieses fatalen Prozesses lesen. Weil es doch so schön ist, wenn bald Dreiviertel aller Schüler mit dem Abitur abschließen. Das freilich hat man für dieses Ziel sukzessive weiter und weiter verbilligt – mit dem Ergebnis, dass die Quote der Abbrecher heute selbst schon in den fatal dürftigen Bachelor-Lehrgängen steigt, weil die höchste Schulform nicht einmal mehr auf die durch den Bologna-Prozess reduzierten Universitätsanforderungen vorzubereiten in der Lage ist. Das Abitur ist heute Etikettenschwindel. Wolfgang Fottner, Chefredakteur der Zeitschrift Welt der Fertigung, beklagte sich jüngst darüber, dass 49 Prozent aller männlichen und 42 Prozent aller weiblichen Studenten noch vor der Bachelor-Prüfung das Studium für Ingenieurwissenschaften abbrächen. Ihren Zensuren nach haben diese Abbrecher jedoch alle ein mehr oder weniger respektables Abitur abgelegt. Zwangsläufig war ich als Lehrer jahrelang Teil dieses Betruges, wollte mich dazu ausdrücken, fand aber aus politischen Gründen keine Medien.
Den Redaktionen der die üblichen Leitlinien bestimmenden Blätter waren keine Anmerkungen zu einer politisch verordneten Anthropologie vermittelbar, die per Dekret allen alles zutraute und die gerechtigkeitsrhetorischen Phrasen zu einer Blase von Trostbegriffen aufblähte, die überbaulich eine durchökonomisiert kalte und Exklusionsprozesse forcierende Basis mit Inklusionsgedöns zu kompensieren trachtete. Dass das deutsche Bildungssystem strukturell inzwischen wirklich allen, die es nur wollen (nicht zu verwechseln mit: vermögen), alle Möglichkeiten offenhält und dabei hinsichtlich der Bildungsgänge völlig durchlässig ist, wurde mehr und mehr außer Acht gelassen.
Aus der Position der Mitte war gegen solche verzerrende Fehlwahrnehmungen nicht anzuschreiben. Die Linke wiederum folgte ihren rousseauistischen Illusionen und freute sich über rein nominelle Bildungsversprechen und Gerechtigkeitsverheißungen. Überhaupt puschte sie ab 1968 jene Wunschvorstellungen, die mit dem klassischen Kapitalismus eigentlich unvereinbar sind, deren Erfüllung man im Westen aber für locker realisierbar hielt, als Willy Brandt volltönend vorgab, mehr Demokratie wagen zu wollen. Nur dass die Republik spätestens ab den Achtzigern und noch mehr seit dem Ende des Kalten Krieges zunehmend das Interesse an der Demokratie verlor, das Politische fremd und ideologisch fand und die öffentlichen Angelegenheiten, die res publicas, unter Verzicht auf das Subsidiaritätsprinzip der Bürokratie und den Verwaltern überließ, um sich statt dessen weitgehend dem Konsumismus zuzuwenden.
Die pseudoradikalen 68er Bürgerkinder brachten einen Trivial- und Populärmarxismus in die Gesellschaft ein, den sich schließlich in Varianz und auf ganz gefühlige Weise alle zueigen machten, die selbsterklärt „Mitte“ sein wollten – und zwar bis in die Kirchentags-CDU hinein, die ihrerseits längst der großen Traditionslinie des politischen Konservatismus abgeschworen hatte. Kulturelle Bestandverluste wurden wohl bemerkt, aber als unvermeidlich hingenommen, schon weil die Gesellschaft weiterhin sichtlich funktionierte. Umfassende Bildung und die Entwicklung von Urteilskraft erschienen fernerhin unnötig, weil immer weniger Spezialisten mit der Hilfe ihrer Apparate und Technologien den Laden doch offenbar am Laufen zu halten vermochten. Was da nun genau geschah – industriell, finanziell, technisch –, wollte und musste doch keiner mehr so genau wissen.
Im Bildungssystem gewannen die gerechtigkeitsrhetorischen Worthülsen nun jene verrenkte Gestalt, die eine Ausbildung an substantiellen Inhalten und mit anwendungsbereiten Fähigkeiten mehr und mehr verunmöglichte und dazu führte, dass nicht nur ein signifikanter Fachkräftemangel die Gesellschaft blockierte, sondern über die illiteraten Milieus hinaus bereits funktionaler Analphabetismus grassierte: Zwanzig Prozent aller Fünfzehnjährigen, so der Rat für deutsche Rechtschreibung, zählen derzeit bereits dazu. Ohne dass ein solches Alarmsignal die Kultusbürokratie etwa interessierte, die gar nicht mehr zu erinnern vermag, dass der Analphabetismus in Deutschland bereits 1912, also in vermeintlich böser Zeit, besiegt war – mit einer Ziffer von nur 0,02 Prozent Analphabeten.
Auch von links lässt sich das politische Wunschdenken der Kultusbürokraten und der pädagogischen Institute mit all ihren irren Reformideen nicht kritisieren. Man lese nach, was die ansonsten lobenswerte deutsche Qualitätspresse dazu bietet. Die Argumentationen etwa von Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung reichen aus, um zu erkennen, dass die erforderliche Grundsatzkritik in Unterrichts- und Erziehungsfragen weder aus der Mitte noch von links erfolgen kann, weil man sich dort auf politische Verheißungen verlässt, ohne diese mit Blick auf die Praxis zu verifizieren oder zu falsifizieren. Es wird nur publiziert, was von Bildungsgerechtigkeit spricht und damit eine anspruchsreduzierte und ungedeckte Schecks ausstellende Minimalbildung meint. Mir jedenfalls blieben vorm Hintergrund dieser bildungspolitischen Glückseligkeit nur die rechten Blätter als Medien, die nicht per se dem großen Konsens folgten. Den Redakteuren der Jungen Freiheit und der Sezession erschien ein an vergleichsweise traditionellen Vorstellungen orientierter Bildungsbegriff nicht nur plausibel, sondern nach wie auch als praktikabel, um weitere Retardierungen und Degenerierungen elementarer kultureller Kompetenzen aufzuhalten.

2.

Vom Konkreten zum Allgemeinen: Eine Argumentation, die kritisch Wirkung erzielen will, bedarf einer gewissen Radikalität und Polemik, sonst wird sie nicht gehört. Sonst inspiriert sie in der einerseits reizüberfluteten, andererseits gedanklich immer unbeweglicher erscheinenden Gesellschaft keinen dringend erforderlichen Reform- und Klärungsprozess. Gibt es denn überhaupt noch öffentliche, mediale Diskussionen zu Kernthemen oder wird nicht eher nur gerechnet, ob sich etwas rechnet? Darüber hinaus werden Beschwörungsformeln zu semantisch immer unklareren Begriffen ventiliert: „Bildung“ ist einer davon, „Europa“ ein anderer. Beide sind positiv konnotiert, aber für genaue Argumentationen kaum mehr handhabbar. Ein System, das – autopoietisch – in sich selbst stets schlüssig erscheint, kann nur von externer Position beschrieben und infrage gestellt werden. Auch so lässt sich Niklas Luhmanns Diktum verstehen: Draw a distinction! – Triff eine Unterscheidung!
Das System Bundesrepublik und das ihr eingeschriebene Subsystem Bildung sind in mancher Hinsicht nur noch von rechts zu kritisieren, eben weil es – auch intellektuell! – keine kämpferische Linke mehr gibt und die moderate in der Mitte nicht nur aufgegangen ist, sondern durchweg deren politische Rede bestimmt. Selbst Bürgerschreck im vereinigten Deutschland kann man heute nur von rechts sein, während das früher allein von links möglich war. Aber dort chillt heute der Normalbürger und pflegt seinen ethisch korrekten Hedonismus.
Linke Radikalität oder einfach nur Frische ist publizistisch wertvoll leider, leider kaum mehr auszumachen; es gibt sie wohl noch im Kabarett und beim „revolutionären 1. Mai“, der allerdings so revolutionär ist wie Reservationsindianer wahrhaft indianisch sein mögen, also allenfalls in neurotisiert-alkoholisierter oder folkloristischer Form.
Rechts oder vermeintlich rechts braucht niemand radikal zu sein, um weithin gehört zu werden und Diskurse auszulösen. Die pauschale Zuschreibung „rechts“ reicht längst aus, dass sich sogleich Menschenketten bilden und Mahnwachen veranstaltet werden. Schon weil die Gesellschaft überhaupt keine anderen Kämpfe mehr führen möchte als die „gegen rechts“, denn die sind billig und ohne existentielle Gefahren zu haben. Außerdem durchgehend legitimiert. Es reicht allein der Slogan. Die einzig wirklich faschistoide Kraft, die NPD, gilt es sicherlich ernst zu nehmen, und die Gesellschaft befleißigt sich dessen mit hohem Anspruch, aber diese Truppe stellt mit ihrem politischen Selbstverständnis und noch mehr mit ihrer Personage glücklicherweise nicht die Gefahr dar, die die verschreckte Demokratie in ihr vermutet. Die eigentliche Gefahr geht – wie stets – von der Demokratie selbst aus und findet sich nach wie vor treffend im Böckenförde-Diktum von 1976 beschrieben:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“
Intellektuelle Offerten von rechts halte ich für angemessen, weil sie in besonders provokanter und somit produktiver Weise zum Nachdenken über die Verfasstheit unseres Gemeinwesens anregen. Der vergessen geglaubte Konservatismus verfügt über ein reiches Erbe, das weitgehend brachliegt, weil die Deutungsbehörden der Demokratie ganz überspannt im Konservativen sogleich einen verkappten Protofaschisten sehen oder mindestens unterstellen, vom Konservatismus aus rutsche man übergangslos ins ultrarechte Lager. Unfug! Auf seine Weise korrespondierte der politische Konservatismus über lange Jahrzehnte mit liberalen und linken Gegenpositionen. Er hat sich beispielsweise durchaus Meriten im antikapitalistischen Denken und Handeln erworben. Er generierte die Nation mit. Wobei ja auch von Nation besser nicht mehr die Rede sein soll.
Ein Grundfehler gegenwärtiger politischer Wahrnehmung besteht darin, Konservatismus als gefährlich und unstatthaft rechts und rechts dann sogleich als politpathologisch zu disqualifizieren. Stets von vornherein und ohne offene Rede darüber. Wo allerorten plakativ nach Toleranz verlangt wird, gilt sie für konservative Positionen überhaupt nicht, noch weniger für nationalkonservative oder nationalbolschewistische Varianten. Die Leitkampagne „Gegen rechts!“ ist weder willens noch in der Lage zu differenzieren, geschweige denn zu argumentieren. Ihr geht es vorzugsweise um die Pflege eigener Mythen.
Vieles entscheidet sich an der Frage, ob man die Grundprinzipien der Berliner Republik und ihren zweifelhaften Anspruch eines Kapitalismus mit menschlichem Antlitz nun vorbehaltlos zustimmt oder für kritikwürdig hält. Nach Auffassung der sogenannten politischen Klasse sollte grundsätzlich Konsens herrschen. Konsens aber ist an sich selbst ein politisches Problem und bedeutet im trügerischen Einvernehmen eben jene seit längerem vorherrschende großkoalitionäre Stagnation, solange eine außerparlamentarische Opposition der neuen Art fehlt. Sie wäre in Anbetracht des nur mehr sklerotischen Parlamentarismus vonnöten. Und weil man, übt man heute linke Gesellschaftskritik im Rahmen des „linken“ Mainstreams, damit neuerdings durchaus in die CDU eintreten könnte, in die allein auf kleine Besitzstandswahrung und ihre Trillerpfeifen-Gewerkschaftsklientel fixierte SPD sowieso.

3.

Mit der Ausnahme einiger interessanter Einzelgänger, von denen einzeln zu reden wäre, erscheint mir die intellektuelle Rechte in Deutschland – bei aller ihr prinzipiell zuzuerkennenden Courage – aber inzwischen allzu antiquiert und verklüngelt. Selbst die um die Sezession und die Blaue Narzisse gescharrten Jungmänner wirken in ihrer kantigen Gescheiteltheit recht frühalt. Die von Götz Kubitschek und Felix Menzel eine Zeit lang betriebene „Konservativ-subversive Aktion (KSA)“ – Störmanöver bei vermeintlich linken Veranstaltungen in der Art von Flashmobs – verliefen eher als unfreiwillig kuriose Happenings, auf die man dann doch lieber verzichtete, obwohl man gemeint hatte, gerade damit der Form nach an ehemals linke 68er Aktionen, jetzt rechts, anschließen zu können.
Je weniger man an wirklich Spektakulärem selbst zuwege brachte, umso mehr hoffte man auf Partner von anderswo, wartete also gewissermaßen auf den deus ex machina. Die italienische neofaschistische Bewegung „CasaPound“ bewunderte man, konnte aber weder deren Vitalismus noch deren künstlerische Frische in ihrem unkonventionellen Ausdruck je auch nur nachahmen. Später galt die europaweit entstehende „identitäre“ Bewegung als Hoffnungszeichen, enttäuschte dann aber in ihrer vergleichsweise geringen Anhängerzahl und namentlich in Deutschland durch laue Biederkeit. Letztlich blieb die AfD: Sie wird von den Linken als rechts verunglimpft, möchte aber selbst nicht in der Weise rechts sein, wie es wiederum die intellektuelle Rechte in Deutschland wünscht. Zu ältlich, zu professoral, zu sehr an Sachfragen von Finanzen und Währung interessiert, letztlich nun mal kleinbürgerlich. Die Junge Freiheit dient sich ihr als Hauspostille an, weil sie sich – im Gegensatz zur Sezession – eher konservativ als etwa noch rechts verstehen möchte, und zumal sie so auf eine höhere Abonnentenzahl hofft. Und der Erfolg gibt ihr in gewisser Weise Recht, denn sie avancierte mit wachsender Leserschaft durchaus zum Backround-Blatt für Konservative rechts der Unionsparteien.
Die Altbackenheit der deutschen Rechten mag damit zusammenhängen, dass sie zu viel „Traditionen“ aufzunehmen versucht, die – zum geschichtlichen Glück der Nation – auf tragische bis prekäre und schließlich grausamste Weise gescheitert sind. Die alte wie die neue Rechte haben die Tendenz, einen deutschen Entwicklungsgang zu verklären, der keine Chance für, sondern perverser Verrat an der Nation war. So ist die Hitler-Diktatur des Dritten Reiches zwar durchaus aus dem geschichtlichen Haushalt mindestens des 19. und 20. Jahrhunderts herleitbar, und tatsächlich ist dabei eine Konstellation an Problemen und Lasten einzubeziehen, die weit über deutsche Querelen hinausging. Nur ist das, was im Dritten Reich und von ihm ausgehend im Zweiten Weltkrieg geschah, nicht zu rechtfertigen, und zwar weder in Ansätzen noch irgendwie indirekt. Und die rächende Grausamkeit der Gegner mag Deutschland zu Recht anmahnen, aber selbst die gründet kausal in deutschen Verbrechen! Dennoch versucht sich die intellektuelle Rechte fatalerweise in grundsätzlichem Revisionismus oder beklagt mindestens, dass die einstigen Opfer – und andererseits die Deutschland befreienden Sieger – deutsche Schuld bis in die Gegenwart hinein thematisieren. Weshalb aber sollte das nicht nach wie vor notwendig sein? Schuld bleibt Schuld, und deren schlimmsten Auswüchse systemischer Barbarei verjähren nun mal nicht. Dass die politische Mitte dazu ihre eher unglaubwürdigen Ritualisierungen pflegt, stellt eine ganz andere Thematik dar.
Ferner: Die rechten Vorbehalte und die ewige Quengelei gegenüber Immigranten und „Ausländern“ erscheinen latent rassistisch, mindestens geprägt von der provinziellen Angst des Spießers um seine Gartenzwerg-Kultur. Wo allerdings Gegenwehr tatsächlich angezeigt ist, gegenüber einem politisch militanten und fundamentalistischen Islamismus nämlich, stellt sich die Rechte nicht auf die einzig hilfreichen konsequent laizistischen Positionen, sondern versucht sich neuerdings in der Wiederbelebung des Christentums in möglichst vorkonziliarischer Gestalt. Davon wiederum gehen unter anderem ihre Kampagnen unangenehmer Homophobie und der bigotte „Schutz ungeborenen Lebens“ aus.
Ihr antikapitalistisches Erbteil, die Kritik an der politgefährdenden Herrschaft der Konzerne und der „Hochfinanz“, hat die neue Rechte, mit Ausnahme ihres einstigen französischen Vordenkers Alain de Benoist, nahezu völlig verloren. Eher versucht sie sich in neoliberalen Argumentationen, weil die zu ihrem zweifelhaften Elitebild passen.
Hintergründe rechten Denkens waren stets Geschichtsängste. Diese sind legitim und verständlich. Nur lässt sich damit nicht mutig und offensiv nach vorn leben, mitten hinein in die neuen Fährnisse, die kommen werden, so wie es sie immer gab.
Letztlich: Der Rechten mangelt ein Faible für moderne Philosophie, Kunst und Literatur. Sie bleibt bei ihren alten angestammten Beständen. So wie ihr im Ausdruck und Stil der Witz fehlt, geht ihr schon gar jegliche Selbstironie ab. Sie bleibt bierernst; und wo sie es mal mit Humor versucht, wird sie zynisch. Deswegen kann sie im Feuilleton nichts bestellen und bleibt bei ihren Leisten, also bei den ernsten Analysen des Politischen, Wirtschaftlichen und Geschichtlichen. Es werden nicht selten die richtigen Fragen gestellt, ohne eine Antwort parat zu heben. Das kann man lesen, darauf lässt sich reagieren; alles andere, was die Gesellschaft ausmacht – Alltagskultur, Szene, neue Formen des Lebens – darauf reagiert die Rechte zwar kulturkritisch, aber ohne lebbare Alternativen vorschlagen zu können. Sie bleibt bestenfalls romantisch und sieht ihr Heil im Altvertrauten, weil das die Illusion einer Sicherheit ermöglicht, die – leider? – verloren ist. Der klassische Konservatismus wusste in seiner philosophischen Tiefe immer um die eigene Vergeblichkeit und um seinen bereits verlorenen Standort, mithin um seine Tragik, den Fortgang des Geschichtlichen nicht aufhalten zu könne. Aber er verstand es, mit gesundem Menschenverstand, mit Augenmaß oder aus abständiger Weisheit heraus zu mahnen. Man denke an die Person des Dubslav von Stechlin in Fontanes Altersroman. Die neue intellektuelle Rechte muss überhaupt erst ihre Position klären, sich also fragen, ob sie nun konservativ ist oder rechts. Und was sie mit beidem genau meint.