von Christoph Marischka
Das Experimentieren mit und Optimieren von kreisrunden Drohnen mit etwa einem Meter Durchmesser und vier (Quadrocopter) oder acht (Octocopter) Rotoren ist mittlerweile zur Standardaufgabe an Informatik- und Robotikinstituten in ganz Deutschland und weltweit geworden. Kritik hieran im Kontext einer vermeintlichen Militarisierung von Forschung und Lehre wird jedoch mit dem Verweis auf die zivilen Anwendungsfelder solcher Micro-UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) entschieden zurückgewiesen. Es handle sich dabei eben um klassische Dual-Use-Güter, die sowohl zivil und sinnvoll, als auch militärisch verwendet werden könnten, worauf die Wissenschaftler jedoch keinen Einfluss hätten und keine Verantwortung trügen.
Tatsächlich handelt es sich bei den Herstellern solcher Drohnen nur in wenigen Fällen um eindeutige Rüstungsfirmen und die meisten Modelle, die von Militärs genutzt werden, sind nicht explizit für den militärischen Markt entwickelt worden. So auch der Airrobot 100 des gleichnamigen deutschen Herstellers, der als „Mikroaufklärungsdrohne für den Ortsbereich“ (MIKADO) von der Bundeswehr unter anderem im Kosovo und in Afghanistan eingesetzt wird, um von benachbarten Hügeln aus die Vorgänge auf öffentlichen Plätzen oder in Hinterhöfen zu überwachen. Der Hersteller wirbt auf seiner aktuellen Startseite explizit mit der „zivile[n] und militärische[n] Nutzung“ und dass er „Lieferant der Bundeswehr“ sei. Auch die kanadische Firma Aeryon Labs Inc. wirbt bereits auf ihrer Startseite mit Anwendungsmöglichkeiten im kommerziell/industriellen Bereich, in der öffentlichen Sicherheit und durch das Militär. In deren Werbebroschüre für den Aeryon Scout werden die explizit militärischen Bezüge jedoch vermieden und nur Beispiele aus den Bereichen Industrie und öffentliche Sicherheit (darunter „crowd control“) genannt. Eine auf den 22. August 2011 datierte Pressemitteilung, die bis heute auf den Seiten des Unternehmens zu finden ist, berichtet jedoch stolz und offenherzig darüber, wie Drohnen des Typs Aeron Scout nach Libyen gelangten, im dortigen Bürgerkrieg genutzt wurden und „den libyschen Rebellen beim Marsch auf Tripolis geholfen“ hätten.
„Während die NATO- Staaten unbemannte Luftfahrzeuge hoch über Libyen geflogen haben, war keines dieser UAVs oder die wesentlichen Aufklärungsergebnisse, die sie verfügbar machen, zugänglich für die Libyer, die für die Befreiung ihres Landes gekämpft haben – sie kämpften blind. Also haben sie sich selbst eine beschafft. Es kann nun öffentlich gemacht werden, dass die libyschen Rebellen das Aeryon Scout Micro UAV genutzt haben, um Informationen über die Stellungen des Feindes zu gewinnen und ihren Widerstand zu koordinieren“. Mit diesen Worten beginnt die Erklärung – und öffentlich gemacht wird darin noch mehr. Demnach hätten „Vertreter des Transitional National Council (TNC)“ eine Reihe von Mikrodrohnen evaluiert und sich dann für ihr Modell entschieden, weil es den Kämpfern „an der Front“ bzw. „im Gefecht“ unmittelbare Kontrolle über das UAV und Bilder in Echtzeit ermögliche. Mehrfach wird auch die einfache, durch eine einzelne Person mögliche Steuerung des Systems angepriesen. Ermöglicht wird diese durch Stabilisierungs- und Selbstortungsmodule, zu denen an zivilen Instituten und Universitäten fleißig geforscht wird.
Besonders aufschlussreich für das Innenleben des libyschen Bürgerkrieges sind die in der Presseerklärung enthaltenen Informationen darüber, wie die Drohne nach Libyen gelangte und die Soldaten an ihr – in nur anderthalb Tagen, wie betont wird – ausgebildet wurden. Demnach hat ein „Vertreter“ der Privaten Sicherheitsfirma (PSC) Zariba Security Corporation – die am Fuß der Pressemitteilung vorgestellt und verlinkt wird – sie in einer 18-stündigen Bootsfahrt von Malta aus nach Misrata gebracht und in der „belagerten Stadt“, während „feindliche Artillerie in der Umgebung einschlug und noch immer Raketen auf die Stadt niedergingen“ die Ausbildung am Flughafen von Misrata begonnen. Charles Barlow von Zariba zeigte sich erstaunt, wie einfach es gewesen sei, trotz Sprachbarrieren unerfahrene Kämpfer auszubilden: „Soldaten brauchen robuste, intuitive Ausrüstung – und die hat der Scout brilliant geliefert“, so zitiert der Drohnenhersteller den Mitarbeiter der privaten kanadischen Sicherheitsfirma.
Nach einigen Lehr- und Probeflügen in nur anderthalb Tagen hätten die Rebellen die Drohne „an der Frontlinie“ eingesetzt, wobei „das System perfekt und ohne Zwischenfälle funktioniert“ habe, so Barlow. Falls er das tatsächlich aus eigener Anschauung zu berichten weiß, stellt sich spätestens hier die Frage, ob er nicht nach völkerrechtlichen Maßstäben schlicht als Söldner einzustufen wäre. Insgesamt jedenfalls vermittelt die Pressemitteilung – begleitet von vermeintlich von der Drohne stammenden Videoaufnahmen libyscher Artilleriestellungen – den Eindruck, als hätten sich Hersteller wie Lieferant vor dem Hintergrund eines zunehmend eskalierenden „Arabischen Frühlings“ auch anderen Bürgerkriegsarmeen anpreisen wollen. Der Text gibt damit ein Gefühl davon, wie sich um internationalisierte Aufstände, Bürgerkriege und Regimewechsel ein neuer Markt auch für privatwirtschaftliche Akteure wie eben Söldnerfirmen, PSCs und Drohnenhersteller entwickelt.
Mitverantwortlich sind dafür auch die NATO-Staaten nicht nur, weil sie diese Aufstände und Bürgerkriege bewusst anheizen, sondern auch, weil sie den Nachschub von Waffen in diese Konflikte ermöglichen, wenn nicht gar finanzieren. Leider ist der ansonsten offenherzige Bericht der Aeryon Labs Inc. zu diesem Thema deutlich zurückhaltender: Weder wird berichtet, woher das erst kurz zuvor entstandene Transitional National Council die finanziellen Mittel und Möglichkeiten hatte, mit Drohnenherstellern in Kontakt zu treten, verschiedene Modelle zu evaluieren und dann den Aeron Scout einzukaufen, noch wird berichtet, auf welchem Schiff Ausbilder und Drohne in die umkämpfte Stadt Misrata gelangten – trotz umfangreicher NATO-Truppenverbände zwischen Malta und Libyen mit dem expliziten Auftrag, ein Embargo gegen Libyen durchzusetzen.
Spätestens hier wird es auch juristisch interessant und könnte die Offenherzigkeit der Werbung der beteiligten Firmen sich theoretisch als Fallstrick entpuppen. Denn die UN-Resolution 1970 vom 26.2.2011, die Sanktionen gegen Libyen beinhaltete, aber noch keine Flugverbotszone mit dem Ziel des Schutzes der Bevölkerung mandatierte, beschloss unter Ziffer Neun, „dass alle Mitgliedstaaten sofort die erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden, um die Lieferung, den Verkauf oder die Weitergabe, sei es auf direktem oder indirektem Weg, von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial jeder Art, einschließlich Waffen und Munition, Militärfahrzeugen und -ausrüstung, paramilitärischer Ausrüstung und Ersatzteilen für dieselben, sowie die Bereitstellung von technischer Hilfe, Ausbildung, finanzieller und anderer Hilfe im Zusammenhang mit militärischen Aktivitäten […] von ihrem Hoheitsgebiet aus oder durch ihr Hoheitsgebiet oder durch ihre Staatsangehörigen oder unter Benutzung von ihre Flagge führenden Schiffen oder Luftfahrzeugen an die Libysch- Arabische Dschamahirija zu verhindern […]“. Mit der Resolution 1973, welche die Durchsetzung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung mandatierte, wurden die Aufforderung, Waffenlieferungen nach Libyen zu unterbinden und die Befugnisse, hierzu Schiffe und Flugzeuge zu durchsuchen, zwar bekräftigt, zugleich aber Ausnahmen vom Waffenembargo eingeräumt, soweit entsprechende Maßnahmen dazu dienen, „um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete in der Libysch-Arabischen Dschamahirija, einschließlich Bengasis, zu schützen“. Nun wurde eben diese Formulierung von den NATO-Staaten bekanntlich äußerst weit ausgelegt bis dahingehend, dass selbst umfangreiche Waffenlieferungen, Militärberater und die unmittelbare militärische Unterstützung aus der Luft beim Marsch auf Tripolis und zum Sturz (bzw. zur Hinrichtung) Gaddafis hierdurch legitimiert seien. Nach dem Wortlaut der Resolution handelt es sich beim Vorgehen der beiden kanadischen Firmen jedoch klar um einen Bruch des Embargos – und überdies vermutlich um einen Verstoß gegen die UN-Söldnerkonvention. Schuldig gemacht hätten sich demnach nicht nur die Firmen, sondern auch die kanadische Regierung und die NATO, die alle Schiffe mit Zielen in Libyen zwischen 31.3.2011 und 31.10.2011 inspizierte und „dadurch über die Art der Waren, die nach Libyen transportiert wurden, entschied“.
Zwischen den tausenden von Waffen, die zur Unterstützung der Rebellen durch die USA, Frankreich, Großbritannien, Katar und die VAE nach Libyen gebracht wurden (die heute die ganze Region von der Westsahara bis nach Zentralafrika destabilisieren und teilweise auch in Syrien wieder aufgetaucht sind) nimmt sich die Drohne der Aeryon Labs Inc. und ihr tatsächlicher Beitrag zum „Marsch auf Tripolis“ natürlich bescheiden aus. Wie kurz die Wege vom spielerischen Experimentieren mit neuen Technologien über ganz zivile mittelständische Unternehmen in international befeuerte Bürgerkriege sind und welche Aura privatwirtschaftlicher Kriegsgewinnler hierdurch im Zuge der Regime-Change-Politik begünstigt wird, dafür bietet sie gerade im Kleinen ein anschauliches Beispiel.
Leicht gekürzt; aus IMI-Magazin AUSDRUCK (Juni 2014). Mehr Informationen über die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. unter www.imi-online.de.