von Erhard Crome
Anfang Februar hat in München wieder die „Sicherheitskonferenz“ getagt, die als „Wehrkunde-Tagung“ vor fünfzig Jahren gegründet wurde. Sie war bereits im Kalten Krieg einer der Orte, an denen die alte BRD sich wehrmäßig wieder aufrichten sollte. Heute, da „wir“ wieder wer sind, sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sie sei „das Forum“ – nicht ein Forum, sondern eben „das“ –, „das jährlich den weltweit verfügbaren Sachverstand […] zusammenbringt, um Krisen und Konflikte, Auswege daraus, neue Bedrohungen und vor allem unterschiedliche Perzeptionen zu diskutieren“.
Die deutsche Tonhöhe hatte schon Joachim Gauck, der derzeitige Bundespräsident, vorgegeben: Deutschland solle „mehr Verantwortung“ übernehmen; auch wenn dann Worte wie Normen, Zukunft, Zusammenarbeit vorkamen, am Ende ging es um den vermehrten „Einsatz von Soldaten“. Die Verteidigungsministerin – Ursula von der Leyen zeigt nun, dass sie zu allem fähig ist, – argumentierte dortselbst zunächst geopolitisch und mit der abnehmenden Rolle der USA: „Wenn wir Europäer ein ernsthafter sicherheitspolitischer Akteur bleiben wollen, müssen wir gemeinsam planen und handeln. Die europäischen Staaten sollten sich darauf einstellen, einen angemessenen Anteil der transatlantischen Lasten zu übernehmen.“ Dann setzte sie hinzu: „Als eine bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe haben wir ein verstärktes Interesse an internationalem Frieden und Stabilität.“ Wenn man den Satz pur nehmen könnte, wäre er nicht völlig falsch. Rein logisch wäre nur zu fragen, weshalb kleine Länder weniger Interesse an Frieden und Stabilität haben sollten als größere. Aber dieser Satz ist ja nur die Vorbereitung der nun folgenden: „Wir sind bereit, unseren Beitrag in Mali zu verstärken. Und wir sind bereit, den bevorstehenden Einsatz der Europäischen Union in der Zentralafrikanischen Republik zu unterstützen.“ Das heißt, ein verstärktes Interesse an „Frieden und Sicherheit“ äußert sich vor allem in mehr Militäreinsatz und mehr Krieg. Und das ist Ausdruck neuer deutscher Stärke: „Deutschland ist stark in Europa, aber vor allem ist Deutschland stark durch Europa und durch die NATO.“ Was heißt: wenn „wir“ wieder wer sind, reicht es nicht, einfach mitzuschießen, sondern dann heißt es, dabei vorneweg zu marschieren. Wenn man Hegemonialmacht in Europa sein will, dann soll das nicht nur wirtschaftlich sein, dann muss das auch eine militärische Grundierung haben.
Steinmeier tönte in entsprechender Tonlage in diesem Chor mit: Deutschland solle „sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller“ einbringen und „Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Auch er beteuert zwar, der „Einsatz von Militär“ sei nur „äußerstes Mittel“, meint dann aber ebenfalls vor allem dieses. Im Originalton klingt das so: „Allerdings darf eine Kultur der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden.“ Womit wir wieder bei einer impliziten Kritik an Steinmeiers Vorgänger Westerwelle wären, dem der jetzige Außenminister noch immer vorwirft, dass jener gegen das unselige Mitschießen im libyschen Krieg des Westens war. Die Sozialdemokraten wollen die besseren Mitschießer und Vorneweg-Schießer sein.
Rolf Mützenich, der für Außen- und Verteidigungspolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, lobt denn auch, wie Gauck, Steinmeier und von der Leyen in München „eine Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt angestoßen“ hätten, beschimpft dann aber alle, die „Zurückhaltung mit Frieden und Verantwortung mit Krieg“ gleichsetzen. Er richtet die Spitze ganz offen gegen Westerwelle und macht sich zugleich über das Konzept der Zurückhaltung lustig: Deutschland habe „trotz seiner vermeintlichen ‚Kultur der Zurückhaltung‘ seit 1990 unter anderem Truppen nach Kambodscha, Somalia, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Afghanistan, ans Horn von Afrika, nach Kongo, in den Libanon, nach Mali und in die Türkei entsendet“. Ja, eben, muss aus friedenspolitischer Sicht eingewandt werden, auch diese Einsätze waren fehl am Platze und alles Mögliche, nur nicht Ausdruck von „Zurückhaltung“. Allerdings, das, was dann unter Zurückhaltung firmierte, etwa die Nichtteilnahme am Libyen-Krieg, würde nach Mützenich nun auch wegfallen. Und dies sei die Botschaft von München.
Am Ende räsoniert Mützenich, sicherheitspolitische Tagungen allein reichten nicht, auf denen sich immer dieselben Leute treffen und „sich darüber beklagen, dass es in diesem Land keine sicherheitspolitische Debatte gebe. Denn die dort beklagte Passivität der vergangenen Jahre und der Wunsch, sich möglichst aus allem herauszuhalten, werden von großen Teilen der Bevölkerung mitgetragen. Das weiß auch die Linke, die diese pazifistische Grundeinstellung gerne bedient, sich als die wahre ‚Friedenspartei‘ geriert […] Dabei bleibt die größte Herausforderung […] , Europa als außenpolitischen Akteur handlungs- und gestaltungsfähig zu machen.“
Was wieder meint, das sei dieses EU-Europa nur, wenn es richtig kriegsführungsfähig wird. Es soll endlich wieder gestorben werden. Nur tun das solche Politiker und ihre Zeilenschreiber nicht selbst, sondern sie ermächtigen sich auf diesem Wege, andere, junge Menschen in den Tod zu schicken.
Sicherheitspolitische Debatten sind aber nicht nur solche, deren Pointe das Herbeireden von Militäreinsätzen ist. Das Volk, der große Lümmel, hat dieses Spiel allerdings durchschaut. Laut ARD-Deutschland-Trend vom 6. Februar, also unmittelbar nach dieser Münchner Verunsicherungstagung, sind 52 Prozent der Befragten für „ein stärkeres Engagement der Bundesrepublik bei internationalen Konflikten“. Dies mit diplomatischen und politischen Mitteln zu tun, bejahen 84 Prozent, Militäreinsätze dagegen nur 22 Prozent, während 75 Prozent dagegen sind. Das heißt, nicht einmal die SPD-Wähler unterstützen eine solche Politik. Da soll doch der Mützenich das Volk auflösen und sich ein anderes wählen! Um mal ein altes Wort von Brecht wieder hervorzukramen.
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