17. Jahrgang | Nummer 3 | 3. Februar 2014

Bemerkungen

Willkommen und Abschied

Postbote Kalle bringt zur Begrüßung den Zugereisten den Berliner Akkusativ bei: „Ick freue mir! Wen oder wat freue ick?“ „Mir!“ brüllt der ganze Saal. Aber dabei bleibt es nicht. Schließlich ist Berlin auch eine türkische Großstadt, und der Prenzlauer Württemberg bekommt ebenfalls sein Fett ab. Für die bessere Verständigung mit den Mitbürgern aus dem Osten erteilt die Arbeitsamtsleiterin Frau Schinkel Sächsisch-Unterricht. Zur Prime Time wird im gleichnamigen Theater seit nunmehr 10 Jahren voller Lust und Laune mit Klischees gespielt. So mancher darf sich auf den Arm genommen fühlen, aber nur die beinhärtesten Dogmatiker können darüber böse sein.
„Gutes Wedding – schlechtes Wedding“ (eine Formulierung des Dönertaxifahrers Murat aus der Pilot-Folge) ist die erste Theater-Soap Deutschlands und hat es bislang auf 88 Folgen gebracht. Alle schrieb und inszenierte Constanze Behrends, die gemeinsam mit Oliver Tautorat das Prime Time Theater gründete. Beide spielten damals alle Rollen selbst – Murat und Frau Schinkel, die Weddinger Fernsehmoderatoren Claudia Kron und Markus Zucker, die dicke Ulla und den autoritären Vati aus Haßleben in der Uckermark. Längst sind weitere talentierte junge Schauspieler dazugestoßen, und Constanze Behrends hat ihnen Rollen auf den Leib geschrieben, die sie zu Publikumslieblingen machten.
Das „Best of“, das als Jubiläumsprogramm gezeigt wird und für neue Fans einen guten Einstieg bietet, sieht man mit einer Träne im Knopfloch. Auf der Bühne werden sich Constanze Behrends und Oliver Tautorat bald weder anbläken noch küssen. Die Gründerin, die inzwischen auch in heiteren Fernsehserien erfolgreich war, sucht nach neuen Herausforderungen und wird im Prime Time Theater nur noch ausnahmsweise (zum Beispiel in der Komödie „Harry und Sally“) auf der Bühne stehen. Ihre Rollen hat sie allerdings so gekonnt am Klischee gehalten, dass eine gute Schauspielerin – und davon hat das Ensemble weitere drei – ohne Einbußen in diese Fußstapfen treten kann. Als Autorin ist Constanze Behrends (mit bisher unglaublichen 111 Bühnenwerken) aber wirklich unersetzlich, und sie hat versprochen, die weiteren Folgen von GWSW zu schreiben und zu inszenieren. Nun aber schnell die letzte Chance genutzt, um sie in ihrer Soap noch einmal zu sehen!

Frank Burkhard

GWSW-Classics – Prime Time Theater Berlin-Wedding, Müllerstraße 163; bis 8.2., donnerstags bis montags, 20.15 Uhr.

Süßes Sozialnetz

Für den Arbeitsmarkt ist diese Nachricht ein echter Knaller: Die Zuckerbranche meldet neuen Konsumrekord. Statistisch gesehen verschlingt jeder Deutsche pro Jahr 32,3 Kilogramm an Süßwaren!
Nun lässt sich ein solcher Fakt gewiss auch misanthropisch kommentieren. Muss man aber nicht. Denn diese Nachricht beinhaltet ein ungewöhnlich hohes Maß an sozialer Bestandsicherung für zehntausende Deutsche. Die Zuckerproduzenten selbst stehen dabei nur am Anfang der Nahrungs- und zugleich Erfolgskette. Ihnen folgen die weiterverarbeitenden Hersteller von Süßwaren aller Art samt ihrer Zulieferer – etwa von künstlichen Aromen oder Lebensmittelfarben. Diabetologen, Reha-Kliniken oder Zahnärzte runzeln ob der vielen Fettleibigkeiten, der grassierenden Volkskrankheit Diabetes und der massenhaft Karies geschädigten Gebisse zwar die Stirn, weil das quasi zu ihrer Stellenbeschreibung gehört. In Wahrheit bedeutet jedes Kilogramm verputzten Zuckers aber auch für sie eine Arbeitsplatzsicherung vom Feinsten. Und wo sie denn doch nicht mehr helfen können, tummeln sich unter den Gewinnern auch noch das Bestattungsgewerbe und die Friedhofsverwaltungen. Und die Krankenkassen. Die müssen für die Folgen deutscher Überzuckerung nicht nur blechen, sondern das ganze Elend auch noch verwalten, was die damit beschäftigen Beschäftigten nachhaltig an ihren Schreibtischstuhl bindet.

HWK

Kron(e)juwelen

Silbernes Schweigen
An der Debatte im Bundestag über die NSA-Spionage haben keine Regierungsmitglieder teilgenommen. Man könnte das so interpretieren, dass sie ihr Verständnis für die Schnüffelei nicht offenbaren, aber auch nicht schwindeln wollten.

Sittsam
Der französische Präsident hat eine Lebensgefährtin, mit der er nicht verheiratet ist. In Frankreich schlagen jetzt die Wellen der Neugier und Entrüstung hoch, weil ihm ein Verhältnis zu einer Schauspielerin nachgesagt wird. Die Franzosen sollten sich ein Beispiel an uns nehmen. Hier wird auf gleicher Höhe dem Ehebruch gehuldigt. Der ist nicht so anstößig.

Günter Krone

„Offene“ Diplomatie

Für Arvind Kejriwal, den neuen Chief Minister des Unionsterritoriums Delhi (siehe dazu auch Der einfache Mann von der Straße in dieser Ausgabe) interessieren sich im Moment nicht nur die Inder, sondern auch die vor Ort stationierten Diplomaten. Der indische Präsident Joybrato Mukherjee hatte am 26.Januar anlässlich des Nationalfeiertages 4.500 Gäste in seinen prächtigen Moghul-Garten eingeladen. Die Show stahl ihm allerdings Kejriwal, der von den Besuchern umringt, Glückwünsche entgegennahm und geduldig Fragen beantwortete. Diese Gelegenheit ließ sich auch der deutsche Botschafter, Michael Steiner, nicht entgehen. Auf recht ungewöhnliche Art versuchte er, für Bundespräsident Joachim Gauck einen Gesprächstermin bei Kejriwal zu erhalten. Gauck besucht in diesem Monat Indien, ein beantragtes Treffen mit Kejriwal war aber von dessen Büro abgelehnt worden. Steiner begründete nun den Wunsch nach einem Gespräch damit, dass beide Politiker aus Bürgerrechtsbewegungen hervorgegangen seien. Der überraschte Kejriwal sagte dem Botschafter zu, seinen Terminplan zu überprüfen.
Der Zweck heiligt zwar manchmal die Mittel, aber in diesem Fall dürfte der indische Präsident als Gastgeber doch die Brauen gerunzelt haben. Abgesehen davon, dass Steiners Vorstoß grob gegen protokollarische Regeln verstößt, hatte Präsident Mukherjee in seiner Ansprache am Vorabend des Feiertags auch heftige Kritik an Arvind Kejriwal geäußert.

E.B.

Der große Häwelmann

[…] Ich sage nie mehr vielleicht /
Ich schrei‘ hinaus, was ich fühl‘/
Und setze alles auf‘s Spiel /
Ich will mehr / Ich will mehr / Ich will alles /
Nie mehr bescheiden und stumm /
Nie mehr betrogen und dumm / Nein! /
Ich will alles / Ich will alles / Und zwar sofort […]
Gitte Haenning
(Große dänische Häwelfrau)

Es war einmal ein großer Junge, man könnte auch Mann sagen. (Gender-Anmerkung: Wahlweise wäre natürlich auch die Kombination Mädchen oder Frau statthaft.)
Nicht so sehr aus nächtlicher Langeweile, mehr aus einem unstillbaren Trieb heraus, die Welt zu ergründen und sie vor allem zu verbessern, erwies Häwelmann der Menschheit durch entschlossene Forderungen an die schlechte Welt, sich radikal hin zum final Guten zu verändern, einen andauernd unschätzbaren Dienst.
Was immer von anderen versucht oder auch verhindert wurde, das Leben von Vielen besser zu machen, so konterte er das mit dem Hinweis darauf, dass dies alles viel zu wenig sei und außerdem alles nur die Symptome beträfe, nicht aber die Wurzeln. Da dies mit ihm nicht zu machen sei, senkte er seine Daumen Mal um Mal. Kam jemand mit Halbgegartem oder gar klassenfeindlich Perfidem, was für ihn eh das gleiche war, pfiff er überlegen und verächtlich durch seine Zähne; wusste doch niemand so gut wie er, was eigentlich zu tun wäre. „Mehr, mehr!“ war seine Losung, ob er diese nun mutig hinausschrie oder in Leserbriefe fasste. „Mehr, mehr!“: Die Sonne solle nicht nur gelegentlich sondern immer und vor allem für alle scheinen, ab morgen und überall!
„Mehr, mehr, mehr!“ Das Paradies auf Erden! Allen solle es gut gehen und zwar subito, postulierte er, die widrigen ihn umgebenden Umstände, die Klassenfeind und Parteifreund zu verantworten hatten, dabei unnachgiebig brandmarkend.
Für Optimierungsversuche unterhalb dieses Niveaus war der große Häwelmann nicht zu haben, und für all die knieweichen Kompromissler unter den anderen und also nicht wahren Häwelmännern hatte er nur tiefe Verachtung übrig.
Weil die ungebildeten Realitäten sich den Forderungen des großen Häwelmann aber nicht so ohne weiteres fügen wollten, und die, sie sich damit realiter herumschlugen, nicht einsichtiger und für die revolutionäre Apokalypse nicht zu gewinnen waren, wurde sein Schreien immer lauter: „Mehr, mehr, mehr!“ So strebte er, begleitet von anderen großen Häwelmännern, zur Sonne, zur Freiheit, zum Lichte empor.
Leider erst im Fallen erinnerte er sich daran, dass ihm das als kleiner Hävelmann schon einmal passiert war.

Horst Jakob

Kurze Notiz zu Dessau-Roßlau

„Magdeburg ist hässlich.“ – Aha, wir sind in Halle.
„Halle ist dreckig.“ – Klar, wir sind in Magdeburg.
„Dessau ist ein Loch.“ – Sieh an, wir sind – in Dessau.
Ortstermin in der Anhaltischen Landesbibliothek, ein Lokalmatador liest. Der Mann in der letzten Reihe raunt: „Sonst ist hier nicht viel los.“ Es klingt beinahe wie eine Vorwarnung. Der berichtende Lokalreporter heißt Frau Naumann, arbeitet eigentlich als Verkäuferin und will nach der Lesung im Autorengespräch was erfahren. Dann aber fällt ihr ein, dass der letzte Bus nach Roßlau vor dem Ende der Lesung fährt, und so greift sie den Autor vorher ab. Worum es geht, erfährt niemand, nur dass wegen dieser Klärung die Veranstaltung zehn Minuten später anfängt. „Presse halt“, hüstelt der Autor entschuldigend und selbstverliebt zugleich, als hätte er gerade der FAZ ein Interview gegeben.
Dessau ist wirklich ein Loch. An manchen Ecken sogar ein ausgesprochenes Drecksloch. Es überrascht, dass diese Stadt – damals noch ohne Roßlau als Verstärkung! – einst Großstadt war und nach 1989 ernsthaft um den Rang einer Landeshauptstadt buhlte. Absolut lächerlich! Weil es hier nichts gibt und weil – was noch viel schlimmer ist – sich kaum jemand findet, der das bestreiten würde. Dessau zehrt vom Bauhaus, zehrt von den Schlössern der Anhaltiner in der Stadt und vor allem drum herum, aber sonst? Wer abends im Nieselregen in der Zerbster Straße vor Rathaus und Landesbibliothek steht, möchte sich glatt erschießen, so hässlich ist das Rundrum. Nur weil Dessau auch noch Friedhöfe hat, töten sich die Touristen nicht, sondern nehmen verbittert die Zeit in Kauf, die es kostet, hier wieder schleunigst rauszukommen: Sie haben Angst, kurzerhand in Dessau begraben zu werden und dann für immer hier bleiben zu müssen. Jaja, Dessau hat in dieser Hinsicht viel mit Wettin gemein …
Also alles furchtbar? Naja, um ehrlich zu sein: Dessau ist immerhin an zwei Stellen so richtig schön und großartig. Vor dem Schloss Mosigkau, acht Kilometer von der hauptsächlichen Stadt entfernt, und jenseits der Mulde, in diesem endlosen Park in Richtung Mildensee. Dass diese beiden Dörfer und zahlreiche andere wie Natho und Neeken zur Stadt Dessau gehören, ist lächerlich. Kartoffelfelder im Stadtgebiet? Ein Witz – ein Witz! Wie ganz Dessau als Stadt auf einer Fläche größer als Halle oder Magdeburg, aber mit nicht halb so vielen Einwohnern. Lachen die sich auch über so einen flächengreifenden, den Stadtcharakter – wenn es ihn gäbe – verwässernden Größenwahn kaputt? Ach nein, die klappern ja vor Angst mit den Zähnen, denn hier sollen kürzlich schon Wölfe gesehen worden sein.

Thomas Zimmermann

Applausfreie Entschleunigung

Eine Live-CD ohne Applaus? Das scheinbare Paradox lässt sich schnell klären: Die fünfköpfige Musikgruppe „Spain“ um Josh Haden, einen Sohn des bekannten Jazz-Bassisten Charlie Haden) hat sich für eine Live-Session in die Räumlichkeiten des Senders KCRW im südkalifornischen Santa Monica begeben.
Spain hat bisher zwei Existenz- und Schaffensphasen aufzuweisen. Zwischen 1995 und 2001 entstanden drei Alben. Im Jahr 2012 kam es dann zu einer überraschenden Rückkehr mit der CD „The Soul of Spain“.
Der melancholisch-warme Sound der Band wird dem „Slowcore“-Stil zugeordnet. Mit „Slowcore“ ist das musikalische Pendant zum gesellschaftlichen Begriff der Entschleunigung gemeint: Die Musik von Spain zelebriert in genussvoller Art Langsamkeit. Dies wirkt beileibe nicht gekünstelt; vielmehr unterstreicht die elegische, beinahe mantrenförmige Spielweise die gefühlvolle Intensität der einzelnen Lieder.
Die neue CD „The Morning Becomes Eclectic Session“ bietet mit sieben Liedern einen Querschnitt und Rückblick auf das bisherige Schaffen der Gruppe. Dabei wird die Band von den Haden-Schwestern Petra, Rachel und Tanya (Violine, Cello, Backing Vocals) unterstützt. Diese geschwisterliche Mithilfe bringt nochmals ein hörbares Qualitätsplus.
Vor der nächsten Studioveröffentlichung, die für im Frühjahr 2014 avisiert ist, offeriert Spain mit dieser Scheibe ein eher kurzes „Zwischendurch-Album“ mit Nachhall. Am längsten klingt wohl das durch Johnny Cash’s Cover berühmt gewordene „Spiritual“ nach.

Thomas Rüger

Spain: The Morning Becomes Eclectic Session. Glitterhouse Records, CD: 17,17 Euro.

Ermutigung zum Schreiben

[…] Mir wird vor geschriebenen Worten manchmal ganz unbeschreiblich, ja bis zum Grauen bange. Alles, am Himmel und auf der Erde, trägt des Menschen freundliche Gestalt: der Mond und die Wolken, die Berge und Bäume, die Thiere und Häuser und jedes Gebilde der Kunst – nur der Buchstabe trägt sie nicht. Wenn diese mißgestalteten Zeichen in ihren Trauermänteln über das beschneite Feld des Papiers wandeln, welch ein furchtbares Gewimmel! Keiner geht den Gang des anderen – sie schleichen und schleppen sich, sie laufen, hüpfen, kriechen, überstürzen sich, überholen einander, wollen fort und stehen wie festgewurzelt stille, wollen stehen und werden fortgezogen. Ein vollgeschriebenes Blatt ist der Kirchhof und das Beinhaus gestorbener Gedanken, die einen mitternächtlichen, schauerlichen Gespenstertanz vollführen. Wie sie schlottern die entfleischten Knochen, und die Brust ohne Herz kracht und knarrt; wie die ausgeleerten Augenhöhlen herumklotzen und ihre Eingeweide suchen, und keine Thräne haben, es zu beweinen! Dort rollt ein o wie ein Kopf ohne Rumpf über den Grabeshügel weg. Hier schlingen m und n zwei fremden Händen gleich sich ineinander, und glauben sie wären ein Geschwisterpaar. Siehst du jenes B, wie bequem es sich hinsetzt auf das Kirchhofsgras, als spräche es: ich gehe dir nicht entgegen, du kommst von selbst zu mir? – und dort hinten das ß, das den eigenen Kopf unter dem Arme trägt – und hier vor dir, dieses T, welches wie eine Todessense dir droht! – Fort von diesem Leichenfelde, ich will nicht schreiben ferner, ich will mit dir reden die Sprache der Lebendigen.
Des Menschen Lippe ist die Morgenröte, von welcher das Gespenst der Schrift sich scheu wegflüchtet; der Buchstabe bleibt stets ein trügerischer Geist: er giebt Antworten auf alles und beantwortet nichts. Setze dich an meine Seite; sieh mir in das Auge, wo das Licht wohnt; lege deine Hand in die meinige, denn sie haben beide schon Thränen getrocknet. So darf sich dir die tote Lüge nicht nahen, und du vernimmst nichts als nur die lebendige Wahrheit.
Wahrheit? Lüge? Wie überfällt mich plötzlich die Erinnerung, daß ich mit einem Weibe rede, dessen Geschlecht den Ernst nicht faßt, den Ernst nicht der überall ist oder nirgends. Tausende haben gedürstet zu wissen, was Wahrheit sei, mir war stets am unbegreiflichsten was man Lüge nenne. Ist Lüge der Widerspruch des Scheins mit dem Wesen, dann hat die Natur gelogen, die um den süßen Kern eine bittere Schale gehüllt, und in die lockende Frucht ein todbringendes Gift verborgen. Wähnt ihr, das gute Wort müsse auch Gutes umschließen, und das schöne Schönes, so ist dieses eure Sünde, die meinige nicht, nicht die irgendeines Sprechenden.
Guter Gott, wo bin ich hingekommen? Glücklich, daß mir mein Morgenbrot gebracht wird, welches mich in die essende Wirklichkeit zurückführt. Ich habe es mir fest vorgenommen, nicht ehr wieder an Sie zu denken, als bis die Tasse angefüllt ist, und Jean Paul zum Lesen aufgeschlagen vor mir liegt: dann öffne ich den Mund, den Geist, das Herz und die Pforten der Erinnerung zugleich, und lasse den süßen Thee, meine Freundin, das Brot und das Buch zusammen eintreten. Seid mir alle willkommen!

Aus Ludwig Börne: Tagebuch (Sonntag, den 11. Januar 1817).
Titel – die Redaktion.

Aus anderen Quellen

Alexander Rahr, auch Blättchen-Autor, sieht in einer möglichen Spaltung der Ukraine im Ergebnis der aktuellen Krise „nichts Positives“. Sein langfristiger Ansatz: „Eine andere Lösung für mich ist: die Schaffung eines einheitlichen großen Europa. Man sollte die Ideen wiederbeleben, die von der EU und Russland zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt wurden […]. Sobald die Europäische Union und Russland bzw. die Europäische Union und die Eurasische Union eine gemeinsame Wirtschaftszone bilden, in der auch Sicherheitsfragen berücksichtigt werden, verschwindet die Frage nach der Zugehörigkeit der Ukraine. Die Ukraine wird sich im Zentrum befinden […].“
Interview mit Alexander Rahr: Russland und EU müssen in der Ukraine eingreifen, RIANOVOSTI, 24.01.2014. Zum Volltext hier klicken.

*

„Ist der Wunsch, ein guter Mensch zu sein, stärker als der Verstand?“, fragt Andreas Oswald angesichts der Pleite des Windkraftunternehmens Prokon, das vor allem auch mit „ökologischer“ Werbung – Windkraft statt Atomenergie – 70.000 private Anleger gewann. „Bis zu acht Prozent Rendite versprachen die Plakate in den U-Bahnen. […] An Warnungen hat es nicht gefehlt. Die Stiftung Warentest warnte, nahezu die ganze Wirtschaftspresse, Zeitungen, Fernsehen. Sie alle fragten, wie eine so hohe Rendite erwirtschaftet werde könne. Von ‚Schneeballsystem‘ war die Rede.“
Andreas Oswald: Vom Wunsch, ein guter Mensch zu sein, Der Tagesspiegel, 11.01.2014. Zum Volltext hier klicken.

I have a dream

Nicht nur Martin Luther-King hatte, auch ich habe einen Traum, genau genommen sogar mehrere. Einer davon geht so: Irgendwann, vermutlich in fernen Zeiten – so diese uns Erdenbürgern überhaupt beschieden sein werden – gerät die Erdkugel ob des milliardenhaften Kopfschüttelns ihrer Bewohner ins interstellare Taumeln. Dann nämlich, wenn die Erdlinge dieser fernen Tage sich die Geschichte ihrer Vorfahren zu Gemüte führen.
Als einen der Taumelimpulse könnte ich mir gut eine Nachricht dieser unserer Erdentage vorstellen: Obwohl die US-Bank JP Morgan Milliarden Dollar Strafgelder an die Behörden zu zahlen hat, hat das Direktorium des Geldinstitutes dem Bankenchef James Dimon, für die vorausgegangene Malaise mitverantwortlich, für 2013 ein Gehalt von 20 Millionen Dollar gezahlt. Analog zu Asterix wird man beim Kopfschütteln vermutlich sagen: Die haben gesponnen, die Vorfahren. Womit dann, sehr, sehr freundlich, gesagt sein wird, was zu sagen ist. Keine Ahnung, warum das heute keiner – o.k., kaum einer – sagt.

H.J.

Idioten-Paradies

Die koreanische Halbinsel ist ein Zankapfel, seit das einst zusammengehörende Land in zwei geteilt ist, die sich feindlich gegenüberstehen. Fest steht dabei, dass unter den führenden Protagonisten auf beiden Seiten Idioten stark vertreten sind. Das gilt für Südkorea, das gemeinsam mit den ebenfalls idiotischen USA immer und immer wieder Militärmanöver durchführt, die von Pjöngjang als jene drohkulissige Provokationen ausgefasst werden, die sie natürlich sind. Und das gilt für Nordkorea, wo die idiotischen Großkopferten ihre Gegendrohungen mittlerweile nicht mehr unterhalb der Schwelle von alles vernichtenden Atomschlägen ansiedeln. Was die Idioten südlich des 38. Breitengrades gerade erst wieder zum Anlass nahmen, dem Norden „heftige Rache“ anzukündigen, sollte Pjöngjang … Und so weiter und so fort.
Man muss sich die koreanischen Akteure nur mal in kurzen Hosen und hingebungsvoll popelnd vorstellen, dann weiß man, welch Geistesqualität dort – und leider nicht nur dort – obwaltet. Es scheint schon so zu sein, wie es Anton Kuh einst formuliert hat: „ Wie sich der kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt – genau so ist sie.“

Hella Jülich

Fäkalisches

Über sieben Millionen Zuschauer, so weist die Statistik aus, verfolgen täglich das RTL-Dschungelcamp. Dieser unleugbar realen Nachfrage folgen denn auch alle Medien, einschließlich der „seriösen“ und befriedigen Voyeuristen wie Kritiker mit Details und Reflexionen gleichermaßen. In summa befördern allesamt ein an Stumpfsinn und Flachheit nicht mehr zu überbietendes Niveau dessen, was eigentlich menschliche Kultur sein sollte. Fresst Fäkalien, Myriaden von Fliegen können nicht irren!

HWK

Wirsing

Auch in China gibt es Video-Portale, und dank Deutschlandradio Kultur wissen wir auch, wen diese Portale (aus)nutzen: „Die chinesischen Video-Portale nutzen schätzungsweise fast eine halbe Milliarde Menschen.“ Dank Edward Snowden können wir uns auch vorstellen, dass amerikanische und europäische Video-Portale ihren Nutzen aus Milliarden weiterer vernetzter Bürger ziehen.

Fabian Ärmel

Nach dem Gewitter

von Joachim Ringelnatz

Der Blitz hat mich getroffen.
Mein stählerner, linker Manschettenknopf
Ist weggeschmolzen, und in meinem Kopf
Summt es, als wäre ich besoffen.

Der Doktor Berninger äußerte sich
Darüber sehr ungezogen:
Das mit dem Summen wär‘ typisch für mich,
Das mit dem Blitz wär‘ erlogen.