17. Jahrgang | Nummer 1 | 6. Januar 2014

Antworten

Helmut Bock, Geschichtswissender von hohen Graden – Als wortgewaltiger Rheinländer stachst Du unter den oft faden Sachsen und Preußen heraus, nicht zuletzt weil nicht Stereotype, sondern die großen Zusammenhänge Deine Sache waren, detailgenau untermauert. Dein eigentliches Thema bildeten die Revolutionen der Franzosen im 18. und 19. Jahrhundert sowie die russische Revolution von 1917; über sie und ihre Folgen schufst Du Dein großes Alterswerk. Warum war der hoffnungsvolle Aufbruch des Roten Oktober in Diktatur und Lüge verkommen? Du wusstest, dass Sozialismus nur möglich ist, wenn er von der Sehnsucht der Unterdrückten und Benachteiligten getragen wird. Und Du sagtest allen, dass nichts die sozialistische Idee so diskreditiert hat wie ihre Verunstaltung durch „Sozialisten“ an der Macht. Eine neue sozialistische Perspektive konnte für Dich nur durch eine schonungslose Aufarbeitung der sozialen Befreiungsbewegungen der vergangenen 200 Jahre entwickelt werden. Wir vermissen Dich.

Franziskus, Stellvertreter – In Ihrem „Evangelii Gaudium“ (2012) geißelten Sie die Auswüchse des modernen Kapitalismus. „Diese Wirtschaft tötet”, stellten Sie in dem Schreiben unter anderem fest. Das wurde seltsamerweise weltweit als revolutionär gefeiert, obwohl Sie nicht mehr als einen Allgemeinplatz formulierten, der bekannt ist. Nicht zuletzt, weil zig-Millionen von Menschen ihn bereits erlitten haben. Hinzu kommt: In vielen gesellschaftspolitischen Fragen sind Sie so stockkonservativ wie Ihre Vorgänger. Noch in Argentinien bekämpften Sie die Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Ehen als „destruktive Anmaßung gegen den Plan Gottes“. Frauen zum Priesteramt zuzulassen, lehnen Sie ebenso ab wie die Abtreibung oder die Aufhebung des Zölibats. Trotz auffälliger Äußerlichkeiten wie der Benutzung eines gebrauchten Mittelklassewagens statt nobler Karossen, ausgelatschter schwarzer Treter statt maßgefertigter roter Kalbslederschuhe und eines metallenen statt eines goldenen Kreuzes gestatten wir uns daher, hinsichtlich der Reformfähigkeit der Katholischen Kirche im Allgemeinen und Ihres individuellen Wollens und Vermögens, nachhaltige Änderungen im Augiasstall Vatikan herbeizuführen, weiterhin Skepsis walten zu lassen.

Joachim Gauck, zahnloser Tiger im Schloss Bellevue – Dass Sie als Bundespräsident zwar fast alles sagen können, aber nichts zu sagen haben, ist nicht nur von Nachteil. Nicht zuletzt, weil selbstkritische Reflexion Ihre Stärke nicht ist. 2011 etwa kanzelten Sie Skeptiker im Hinblick auf den „Revolutionsfrühling“ in Libyen mit der Bemerkung ab, die sollten „nicht als Erstes die Angst haben, wo es endet, sondern die Freude, dass es beginnt – meine Güte!“ Ja – meine Güte, kann man da heute nur feststellen und nach Anzeichen inzwischen womöglich differenzierteren Urteils- und Ausdrucksvermögens bei Ihnen Ausschau zu halten. Dabei stößt man zum Beispiel darauf, dass Sie in den fast zwei Jahren Ihrer Amtszeit bisher keine Zeit für einen Antrittsbesuch in Russland hatten. Gut – Ihr Verhältnis zu Moskau ist familiär belastet. Andererseits sind Sie aber vereidigt, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Dazu zählt nicht an hinterer Stelle, zu gedeihlichen Beziehungen zwischen Russen und Deutschen beizutragen. Wie das allerdings durch Prinzipienreiterei ohne Augenmaß – etwa durch mantraartige Wiederholung der Vokabeln „Freiheit“ und „Demokratie“ und eine demonstrative Absage, die Olympischen Spiele in Sotschi zu besuchen, – gelingen soll, bleibt Ihr Geheimnis. Wie weit man auf anderem Wege kommen kann, hat Hans-Dietrich Genscher gerade vorgeführt. Beruhigend zumindest, dass Sie niemanden par ordre du mufti auf Ihren Stil verpflichten dürfen.

Michail Kalaschnikow, Erfinder einer tödlichen Legende – Als 17. Kind einer Bauernfamilie waren Sie dem Sowjetsystem zeitlebens dankbar, Konstrukteur werden zu können. Von Ihnen stammt die einzige Massenvernichtungswaffe, die nicht unter internationale Verbote oder Einschränkungen für ABC-Waffen fällt und mit der im 20. Jahrhundert mit Sicherheit mehr Menschen gemeuchelt worden sind, als durch den Einsatz von ABC-Waffen in den beiden Weltkriegen, dazwischen und danach – die legendäre Maschinenpistole AK-47, das seit Jahrzehnten meist verbreitete und nachgebaute Sturmgewehr weltweit. 80 Millionen Stück sollen es seit Produktionsbeginn 1947 gewesen sein. Sand, Wasser, Hitze, Kälte, Eis – alles keine Gegner für das AK (Awtomat Kalaschnikowa)-47. Und billig ist das Teil: Noch die ärmsten Warlords können es sich leisten. Sie selbst waren – nicht ganz zu Unrecht – der Meinung: „Ich habe eine Waffe zur Verteidigung des Vaterlandes geschaffen, und wenn sie in ungerechten Kriegen eingesetzt wird, dann trägt nicht der Konstrukteur Schuld daran, sondern Politiker.“
Jetzt sind Sie im Alter von 94 Jahren in der russischen Teilrepublik Udmurtien vor Ihren Schöpfer versammelt worden. Wie der Ihr Tun final bewertet, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber den Grad an Unsterblichkeit, den Sie sich durch Ihr Sturmgewehr erworben haben, wird er Ihnen kaum nehmen können.

Matthias Brandt, Kanzler-Sprössling & TV-Kommissar – Sie bekannten jüngst einem bekannten Nachrichtenmagazin gegenüber, dass Sie die Windsors „wahnsinnig interessant“ fänden und Prince Philip ihr Favorit sei, „weil er einen phantastischen Humor“ habe. Auf die Nachfrage, ob der – also der Prinz – nicht oft ziemlich peinlich sei, meinten Sie: „Ich glaube, dass das gezielte Geschmacklosigkeiten sind, um zu testen, was passiert. Der Mann weiß genau, was er sagt! Einmal hat er den nigerianischen Staatspräsidenten bei einem Dinner, zu dem dieser in seiner Landestracht erschienen war, begrüßt mit: ‚Na, schon bettfertig gemacht?‘ Das kann man als rassistische Äußerung betrachten. […] Ich finde es einfach nur irre lustig. […] Auch für Prinz Charles habe ich von jeher viel übrig. Ich war stets auf seiner Seite. […] Ich glaube, es gibt bei ihm eine große Würde in der Lächerlichkeit, und davor habe ich allergrößte Hochachtung. Stellen Sie sich vor, der ganze Planet bekommt ein Telefonprotokoll von Ihnen zu lesen, in dem steht, dass Sie ein Tampon sein möchten! Sich da nicht zu entleiben, sondern das Ding weiter durchzuziehen – das hat Größe.“ So haben wir die Windsors zugegebenermaßen noch nie betrachtet, und obwohl wir uns auch weiterhin jeglicher monarchistischer Anwandlungen enthalten wollen …

Anshu Jain, Co-Chef der Deutschen Bank – Sie haben per Interview kritisiert, dass die Deutsche Bank in Deutschland als „das Gesicht des Kapitalismus“ gehandelt und stellvertretend für die Marktwirtschaft infrage gestellt werde. „Niemand hinterfragt jedoch, ob der Wohlstand insgesamt niedriger wäre, wenn die Regeln der freien Marktwirtschaft nicht gelten würden“, haben Sie diesbezüglich angemerkt. Dass Ihr Satz für Sie und Ihresgleichen richtig ist, lässt sich freilich nicht sinnvoll bezweifeln. Und vielleicht stimmt er auch noch für jenen Teil des Volkes, der längere Zeit auf zwei Drittel der Gesellschaft veranschlagt worden, nun aber wohl bestenfalls noch für deren Hälfte gültig ist: Womit immerhin die andere übrig bliebe. Die Wahrheit ist – wie so oft – nur eine Frage der Perspektive und natürlich dessen, der diese qua wirtschaftlicher oder/und politischer Machtstellung definiert.

Friedrich Küppersbusch, spitzzüngig Hellsichtiger  „Wäre doch mal Zeit für eine globale Revolution?“, sind Sie in Ihrem montäglichen taz-Interview gefragt worden. Ihre Antwort ist – wie immer – trefflich ausgefallen: „Sie kriegen aber auch nie genug! War doch gerade!? Was Sie beschreiben, ist der dicke Kater nach der neoliberalen Trunkenheitsfahrt! Der Kapitalismus hat soeben weltweit Revolution gemacht und wird als Bioprodukt ‚westliche Demokratie’ auch den Letzten aufs Auge gedrückt. Päpstliche Innerlichkeit, harmloses Internet und tüchtige Euros sind die alchimistischen Tinkturen, mit denen wir uns das schön trinken. Wir, besonders Deutschland, sind Nutznießer dieser Revolution, und da wir gute Demokraten sind, verbringen wir viel Zeit damit, uns die Laterne auszusuchen, an der wir baumeln wollen.“

Holger Apfel, exilierter NPD-Chef – Nun sind Sie aus jener Partei ausgetreten, deren eigentlich doch sehr ehrlicher Spitzenrepräsentant Sie deslängeren waren. Inwieweit das der NPD bei deren unsererseits mit herzlicher Schadenfreude begleiteten Tohuwabohu hilft, sei dahingestellt. Was Sie betrifft, gehen wir von der Gültigkeit gleich zweier Sprichworte aus: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Und: „Unkraut vergeht nicht.“ Schau‘n wir mal, unter welchen Umständen wir Sie wieder wahrnehmen müssen.

Edward Snowden, verfemter Aufklärer – George Orwells 1984 mit seinen Überwachungsmethoden per Kameras und Mikrophonen sei „nichts im Vergleich mit der heutigen Situation“, haben Sie in Ihrer Weihnachtsbotschaft sehr zu Recht angemerkt und ernüchternd prognostiziert: „Ein heute geborenes Kind wird nicht mehr wissen, was Privatleben ist. Es wird nicht mehr wissen, was ein Moment Privatsphäre bedeutet, einen Gedanken zu haben, der weder aufgenommen wurde, noch analysiert. Das ist ein Problem, denn das Privatleben ist wichtig, das Privatleben hilft uns zu bestimmen, wer wir sind und wer wir sein wollen.“ Wären Sie Russe und richtete sich Ihr Aufklärungsbemühen gegen Putins Moskau, wäre Ihnen die höchstmögliche Solidarität des Okzidents sicher. Aber so …

Jon Gnarr, Anarchist, Komiker und seit 2010 Bürgermeister von Reykjavik – Ihre Partei „Beste Partei“ verzeichnet nach wie vor viel Zuspruch, dennoch wollen Sie sich nicht wieder zur Wahl stellen. Obwohl diese Entscheidung keineswegs nur pessimismusaffin ist, hat Sie die Erfahrung doch offenbar ernüchtert, wie schwer es ist, eine Gesellschaft kulturell zu verändern. „Ich wollte die kulturelle Revolution in Island: dass wir uns über unsere Werte, unsere echten Ressourcen und unser kulturelles Erbe samt Kunst und Literatur bewusst werden. Ich wollte die Natur bewahren, statt sie auszubeuten. Ich dachte, ich könnte die Isländer inspirieren, unsere Insel zu einer Art militärfreier Zone und einem Himmel für verfolgte Menschen auf der ganzen Welt zu machen“, haben Sie Ihre Vision rückblickend zusammengefasst. Und eben auch: „Dann habe ich gemerkt, dass es den Menschen wichtiger ist, Öl zu finden, Aluminiumhütten zu bauen und die Wirtschaft anzukurbeln. Das mit der Kultur-Revolution hat nicht so recht gezündet.“ Bei letztem Satz war Ihnen zum Lachen. Galgenhumor?