von Erhard Crome
In dem Film von Steven Spielberg über Abraham Lincoln, den USA-Präsidenten, der die Nordstaaten im Bürgerkrieg 1861-1865 gegen den Süden führte, die Einheit der Union sicherte und die schwarzen Sklaven befreite, geht es nur um wenige Wochen. Es geht um die Abstimmung im Repräsentantenhaus am 1. Februar 1865 über den 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung, mit dem die Sklaverei ein für allemal verboten wurde. Die republikanische Mehrheit – das war damals die Partei der Befreiung, im Unterschied zu den reaktionären Demokraten, die im Grunde auch im Norden dagegen war; im 20. Jahrhundert drehten sich die Rollen der beiden Parteien im politischen System der USA um – hatte nicht genug Stimmen im Repräsentantenhaus für die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Also ließ Lincoln alle Tricks des Advokatengeschäfts spielen, ließ erpressen und Stimmen kaufen, um am Ende das große Ziel zu erreichen: die verfassungsrechtliche Bekräftigung, dass alle Menschen gleich geboren sind, auch Schwarze. Spielbergs Botschaft ist klar: für den guten Zweck können die Vertreter des Guten auch schon mal schlechte Mittel anwenden, wenn es denn der Sache dient.
Das ist an Präsident Barack Obama gerichtet. Der hat am 13. Februar seine erste Rede an die Nation gehalten nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten. Jetzt sollte er Politik gestalten können. Noch einmal muss er nicht zur Wahl antreten. Er muss darauf keine Rücksicht nehmen. Dennoch verharren die USA in einem innenpolitischen Patt. Die Lager sind im Landesmaßstab in etwa gleich stark. Die Republikaner, die nur noch über eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus verfügen, während die Demokraten eine Mehrheit im Senat haben und den Präsidenten stellen, verteidigen mit Klauen und Zähnen die Steuerinteressen der Reichen und Superreichen. Deshalb ist der Staatshaushalt seit Jahren im Grunde blockiert. Die derzeitige Schuldenobergrenze, die der Kongress (die beiden Häuser des Parlaments) zugelassen hatte, liegt bei 16.400 Milliarden US-Dollar. Sie wurde Ende 2012 erreicht. Seither konnte die Regierung nur mit Umschichtungen in der Haushaltsführung zahlungsfähig bleiben. Dieses Mittel war Ende Februar ebenfalls ausgeschöpft.
Alle erklären, die Staatsverschuldung der USA reduzieren zu wollen. Die Republikaner wollen dies jedoch allein durch Kürzungen in den Staatsausgaben erreichen, die allerdings nur im Sozialbereich zu Lasten der Armen erfolgen sollen, während der aufgeblähte Rüstungshaushalt unangetastet bleiben soll. Die Demokraten dagegen setzen ebenfalls stellenweise den Rotstift an, aber nicht im Sozialbereich, wohl aber in der Rüstung, und wollen zugleich die Steuern anheben, vor allem für die Reichen und Superreichen, während der Mittelstand entlastet werden soll. Da dieser Streit festgefahren war, hatten der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Republikaner John Boehner, und Obama im Sommer 2011 vereinbart, einen Automatismus von stellenweisen Steuererhöhungen und Kürzungen in Kraft zu setzen, wenn sich die beiden Parteien im Kongress nicht einigen können. Das wurde damals in Gesetzesform gegossen und sollte Druck auf die Abgeordneten ausüben, damit sie zu einer Einigung kommen. Das hat jedoch nicht funktioniert, der Mechanismus des Zwangssparens wurde Anfang März in Kraft gesetzt und summiert sich im Haushaltsjahr 2013 auf einen Umfang von 85 Milliarden Dollar.
Am 6. März 2013 hat das Repräsentantenhaus ein Gesetz angenommen, das die Schuldengrenze zeitweilig anheben soll. Es setzt den Kürzungsmechanismus nicht außer Kraft, gibt der Regierung aber größere Spielräume, etwa im Budget des Kriegsministeriums. Ob der demokratisch geführte Senat dem zustimmen wird, war Mitte März noch offen.
Die Schwerpunkte von Obamas Politik liegen in der Innenpolitik. In der Rede zur Lage der Nation hat er angekündigt, das Jahrzehnt des Krieges, für das sein Vorgänger verantwortlich war, mit dem (offiziellen) Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu beenden und Mittel und Kräfte auf die Lösung der inneren Probleme des Landes zu konzentrieren. Gleichwohl macht auch Obama eine Außenpolitik, die auf die Umsetzung der Interessen der USA, die auch unter ihm imperiale Interessen sind, zielt. Die Konzentration der strategischen Mittel und Kräfte des US-Militärs auf den pazifischen Raum gehört dazu, die etwas mit dem aufsteigenden China und seiner Einkreisung zu tun hat, aber auch der vermehrte Einsatz unbemannter Kampfdrohnen, um angeblich oder tatsächlich „feindliche“ Ziele der USA zu zerstören, welche „Kollateralschäden“ dies auch immer fordert.
Gerade ist der Konflikt auf der koreanischen Halbinsel wieder aufgeflammt. Nordkorea hatte weitere Raketenstarts und wieder einen Atomversuch vorgenommen. Das führte zu dem Beschluss verschärfter Sanktionen durch den UNO-Sicherheitsrat – die jedoch recht begrenzt blieben, was bedeutet: Wenn ein Land erst einmal über Atomwaffen verfügt, sinkt die Gefahr, das Schicksal des Irak unter Saddam Hussein oder Libyens unter Gaddafi zu erleiden. Da zugleich neuerliche Militärmanöver der südkoreanischen und der in Südkorea befindlichen US-Truppen vom Norden als offene Bedrohung angesehen werden, hat Nordkorea das Waffenstillstandsabkommen mit dem Süden, mit dem 1953 der Koreakrieg endete, aufgekündigt. Aber entsteht damit eine akute Kriegsgefahr? Experten verneinen das. China und Russland sind an einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel nicht interessiert. Gleichzeitig hat der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Thomas Donilon, erklärt, die USA würden „das ganze Spektrum ihrer Möglichkeiten für den Schutz vor den Gefahren einsetzen […], die Nordkorea für uns und unsere Verbündeten darstellt“. Damit ist unabhängig von dem realen Tun des Nordens die Entscheidung darüber, in welchem Maße der Konflikt eskaliert (der Sprechweise nach bis zu einem Nuklearkrieg, der wegen der Nähe zu China und Russland aber nicht regional begrenzbar wäre), in das Ermessen der US-Militärs gelegt. Auf diese Weise können insbesondere die Republikaner natürlich Druck auf den Präsidenten und den Kongress ausüben, die den Militärhaushalt betreffenden Kürzungen nicht in Kraft zu setzen.
Obama meint, es sich nicht leisten zu können, als außenpolitisch „schwacher Präsident“ dazustehen. Da hat er denn ja auch gleich nach dem Tode des venezolanischen Präsidenten, Hugo Chávez, erklärt, Venezuela werde nun ein neues Kapitel in seiner Geschichte aufschlagen, und dies möge „demokratische Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte“ beinhalten. Damit war Chávez, obwohl sein einziges Vergehen darin bestand, die umfangreichen Einkünfte aus dem Ölgeschäft für Sozialprogramme zugunsten der Armen Venezuelas genutzt zu haben, noch über den Tod hinaus als Feind denunziert. Eine in „Wunsch“-Form gekleidete Drohung zur Einmischung in die innere Entwicklung des Landes. Zugleich hat sich Obama nicht entblödet, das Beileid zu verweigern, er hat weder der venezolanischen Regierung noch der Familie kondoliert.
Im imperialen Geschäft gehören die schlechten Mittel auch weiterhin zum üblen Zweck und den miesen Interessen. Nur das mit den schlechten Mitteln für den guten Zweck im Innern, wie Spielberg das meint, das bekommt Obama offensichtlich nicht hin. An der Spitze des Imperiums steht ein Imperator. Und da ist am Ende die Hautfarbe egal.
Schlagwörter: Barack Obama, China, Erhard Crome, Machtpolitik, USA