von Alfons Markuske
Wer das FBI vielleicht schon seit seiner Jugend vornehmlich aus der Lektüre von Jerry-Cotton-Heften kennt und es für eine Bundespolizei zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens hält, der war von Anfang an im Hinblick auf das Wesen des Federal Bureau of Investigation auf dem Holzweg. 1959 etwa – das FBI hatte gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert – waren in New York 400 Agenten der Behörde für das zuständig, was man damals die „kommunistische Bedrohung“ nannte, aber nur vier für die Mafia. Das FBI wurde im Jahre 1908 nämlich nicht zur Kriminalitätsbekämpfung ins Leben gerufen, sondern als Inlandsgeheimdienst, dessen „erste und vorrangige Aufgabe in geheimen Ermittlungen gegen Terroristen und Spione“ liegen sollte, wie der zweifache Pulitzer-Preisträger Tim Weiner im Vorwort seiner voluminösen, jüngst in deutscher Übersetzung erschienen Geschichte des FBI feststellt. An dieser Schwerpunktsetzung hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Darüber hinaus fungierte das FBI nicht zuletzt – und zwar nicht nur lange vor der Gründung der CIA, sondern noch Jahrzehnte danach und zum Teil in heftigen Auseinandersetzungen mit diesem Auslandsgeheimdienst – auch selbst als Spionageinstrument, unter anderem gegen die Sowjetunion und China.
Fast ans Ende seines Buches stellt der Autor eine kurze Darstellung vom Auftritt Barack Obamas aus Anlass des 100. Geburtstages des FBI in dessen Hauptquartier, dem Hoover Building in Washington, am 28. April 2009. Obama verwies darauf, dass 1908 ganze 34 Special Agents direkt dem Justizminister der USA unterstellt gewesen waren – gegenüber mehr als 30.000 Männern und Frauen in der Gegenwart –, um dann fort zu fahren: „Vieles hat sich in den letzten hundert Jahren verändert […]. Ich weiß aber auch, dass einiges konstant geblieben ist. Die Herrschaft des Gesetzes – das ist das Fundament, auf dem Amerika errichtet wurde. Das ist das Ziel, das uns bei der Ausübung unserer Macht immer geleitet hat.“ Wahrscheinlich muss man ein Patriot nach dem jegliche moralisch-ethischen Grundsätze der Vaterlandsliebe unterordnenden Credo „Bad or wrong – my country“ sein, um Obama diese Sprechblase unwidersprochen durchgehen zu lassen. Denn auf den beinahe 700 Seiten davor tut der Autor nichts anderes, als folgende grundlegende Aussagen aus seinem Vorwort durch die gesamte Geschichte des FBI hindurch konkret zu belegen: „Über Jahrzehnte hinweg hat das FBI der nationalen Sicherheit vornehmlich durch Rechtsbeugung und Rechtsbruch gedient. […] Auf höchsten Befehl hat das FBI die durch die Bill of Rights zugesicherten Grundsätze verletzt […].“ Und: „Seit dem Ersten Weltkrieg haben US-amerikanische Präsidenten das FBI gegen ihre politischen Gegner eingesetzt.“ (Als gegenüber dem politischen System in den USA offenbar völlig unkritisch-loyaler Zeitgenosse hatte sich Weiner im Übrigen bereits in seiner hinsichtlich des Gegenstandes allerdings äußerst kritischen Geschichte der CIA erwiesen; siehe die Rezension von W. Schwarz in Das Blättchen 18/2008.)
Die zentrale Figur des FBI und damit auch in Weiners Buch ist dabei J. Edgar Hoover – vom Autor als „Erfinder des modernen Überwachungsstaats“ bezeichnet, der dem FBI von 1924 an 48 Jahre lang vorstand und es wie ein Staat im Staate führte. Seine persönlichen Dossiers „über alle und jeden“ ließen ihn selbst die legendären Versuche der Brüder John F. (Präsident) und Robert (Justizminister) Kennedy Anfang der sechziger Jahre, ihn abzusetzen, überstehen. Er starb 1972 – „in den Stiefeln“.
Aus der Fülle der von Weiner ausgebreiteten Fakten und Fälle kann hier nur auf einige wenige verwiesen werden.
So passt es zu der sich durch die Darstellung ziehenden Bewertung des FBI als praktisch alltäglich mit kriminellen Methoden arbeitender Behörde, dass bereits ihre Schaffung ein illegaler Akt war. Als Charles Bonaparte, seinerzeit Justizminister unter Präsident Theodore Roosevelt 1908 in dessen Auftrag beim Kongress Mittel für eine nur ihm direkt unterstellte Sonderpolizeitruppe beantragte, wurde dies als Versuch zum Aufbau einer Geheimpolizei interpretiert – und abgelehnt, weil es sich nicht mit dem amerikanischen Staatsverständnis vertrage „Menschen zu bespitzeln“, wie es ein Kongressabgeordneter seinerzeit ausdrückte. Das hielt Roosevelt nicht davon ab, das Vorhaben trotzdem umzusetzen: Das Bureau of Investigation wurde unter Umgehung eines ausdrücklichen Verbotes des Kongresses ins Leben gerufen (Das „F“ für „Federal“ kam erst 1935 hinzu. Der Rezensent bleibt der Einfachheit halber bei FBI.). Weimer dazu: Das FBI verdanke seine Entstehungen einer „dreisten Missachtung aller rechtlichen und verfassungsmäßigen Gepflogenheiten“. Daran hat sich augenscheinlich bis in die unmittelbare Gegenwart nichts geändert, denn Weimer vermerkt: „Das FBI besitzt bis heute keine rechtliche Legitimierung […].“
Während des Ersten Weltkrieges setzte die Behörde das erste groß angelegte Überwachungsprogramm inklusive illegaler Telefon- und Postschnüffelei in Gang – zur Abwehr deutscher Spione. Insgesamt wurden 1.055 Personen verurteilt. Weiner resümiert: „Unter ihnen befand sich nicht ein einziger Spion. Die meisten waren politisch Andersdenkende, die den Krieg ablehnten.“ Anmerkung: Eine Verletzung des Postgeheimnisses verstößt gegen den Vierten Zusatz zur Verfassung der USA, der Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung untersagt.
Mit dem Sieg der Bolschewiki in Russland wurde der Kampf gegen den Kommunismus zum Leitfaden im Leben J. Edgar Hoovers und damit zur jahrzehntelangen Hauptachse in der Tätigkeit des FBI. Die „rote Gefahr“ sollte von den USA ferngehalten werden; sie wurde in den Vereinigten Staaten bis Mitte der fünfziger Jahre in immer wieder anschwellenden Zyklen politischer Paranoia auf hoher und höchster Ebene und von Hoover bis an sein Lebensende stets aufs Neue beschworen und hat real – auch Weiners Darstellungen zufolge – praktisch nie bestanden. Die Kommunistische Partei der USA war – mit 80.000 Mitgliedern auf ihrem Höhepunkt in den frühen 40er Jahren, aber auch zu dieser Zeit ohne nennenswerte Wahlerfolge – zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die bestehenden Verhältnisse auch nur in Frage zu stellen. Die „kommunistische Bedrohung“ hingegen gab immer einen bestens geeigneten Popanz ab, um Bürgerrechte zu beschneiden und Andersdenkende bis zur sozialen Ausgrenzung zu stigmatisieren, wenn man etwa an die Hexenjagden während der McCarthy-Ära nach 1945 denkt.
Bereits 1920 organisierte Hoover mit dem FBI als ausführendem Arm die größten Massenverhaftungen in der amerikanischen Geschichte – bei den so genannten Palmer-Raids wurden in kurzer Zeit bis zu 10.000 Personen inhaftiert, Kommunisten und solche, die man dafür hielt. Viele davon ohne Haftbefehl. In einem Prozess gegen 13 der Inhaftierten in Boston musste Hoover anschließend vor Gericht aussagen. Der Bostoner Richter stellte dem Justizministerium und dem FBI in seiner Urteilsbegründung abschließend ein vernichtendes Zeugnis aus: „Eine Verbrecherbande bleibt eine Verbrecherbande, ob sie aus Regierungsbeamten besteht und auf Anweisung des Justizministers handelt oder aus Kriminellen […].“ Dieser Spruch ist von den Geschmähten nie angefochten worden.
Franklin Delano Roosevelt, US-Präsident von 1933 bis 1945, ist in die Geschichte als derjenige eingegangen, der die USA mit seiner Politik des New Deal aus der großen Depression der 30er Jahre und später in die Anti-Hitler-Koalition führte. Zugleich verband ihn, so Weimer, eine herzliche Beziehung zu Hoover, ein – gelinde gesagt – pragmatisches Verhältnis zu illegalen Verfahrensweisen des FBI inklusive. Hoover und das Bureau erfuhren unter Roosevelt wohlwollende Förderung und eine weitere Aufwertung. Weil der Kongress auch zu jener Zeit eine gesetzliche Grundlage für Abhöraktionen des FBI unverändert verweigerte, ermächtigte Roosevelt die Behörde 1940 per Präsidentenerlass zu derartigem Vorgehen gegen Personen, „die subversiver Aktivitäten gegen die Regierung der Vereinigten Staaten verdächtig sind.“ Dieser Freibrief blieb 25 Jahre in Kraft. Allerdings, so Weimer: „Die Telefonüberwachung blieb ein Gesetzesverstoß. Der Präsidialerlass machte sie nicht legal.“
Der Bogen in die Gegenwart, der in dem Buch viele weitere Seiten und interessante Episoden wie die Rolle des FBI in der Spionage-Affäre um Julius und Ethel Rosenberg Anfang der fünfziger Jahre oder Hoovers scharfmacherisches Agieren im Kalten Krieg und während des Vietnamkrieges reicher ist, kann gleichwohl rasch geschlagen werden, wenn man die über die Jahrzehnte ungebrochene Kontinuität illegalen Agierens der Behörde im Auge hat. Im Zuge der Untersuchung des komplexen Versagens des FBI im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – auch dieses Kapitel stellt Weimer ausführlich dar – musste der damalige FBI-Chef Robert Mueller, wir sind inzwischen im Jahre 2004, (immer noch) einräumen: „Wir hatten kein Systemmanagement, um zu gewährleisten, dass bei uns die Gesetze eingehalten wurden.“
Was der damalige Untersuchungsbericht schlussfolgerte, könnte als Fazit unter die gesamte hundertjährige Geschichte des FBI gesetzt werden: Die USA sollten das FBI auflösen und einen von Grund auf neuen Inlandsgeheimdienst aufbauen. Zu fragen bliebe da allerdings unter anderem, wie in einem degenerierten politischen System wie dem der USA der nächste Versuch eigentlich zu einem besseren Ergebnis führen sollte.
Tim Weiner: FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 695 Seiten, 22,99 Euro
Schlagwörter: Alfons Markuske, CIA, Demokratie, FBI, Geheimdienst, Tim Weiner