von Erhard Crome
Mark Twain hat viele gute und kluge Bücher geschrieben. Eines der klügsten ist das von dem Yankee aus Connecticut, der durch eine Verkettung von Umständen in das 6. Jahrhundert und an den Hof von König Artus in England gerät (in der deutschen Übersetzung: „Ein Yankee an König Artus’ Hof“). Der Roman erschien im Jahre 1889. Im Grunde war Mark Twain damit, lange bevor die Revolutionstheoretiker sich mit dem Thema beschäftigten, der erste moderne Denker, der nachwies, dass Revolutionen nicht exportiert werden können, sondern in den respektiven Gesellschaften wachsen und heranreifen müssen. Das gilt für technische und zivilisatorische wie für politische Revolutionen.
Die Fabel geht so: Der Yankee war in seinem ursprünglichen Leben Vorarbeiter in einer Waffenfabrik, kannte sich mit Revolvern, Kanonen, Dynamit, Elektrizität, Kesseln und Maschinen aller Art aus und hatte ingenieurtechnisch goldene Hände. Am Hofe König Artus’ angekommen, nutzt er seine technischen Fähigkeiten, um den Zauberer Merlin aus dem Feld zu schlagen, als der mächtigste Zauberer zu gelten und gestützt darauf die Position eines Ersten Ministers im Königreich einzunehmen. Erst insgeheim, dann offen bereitet er eine neue, technische Zivilisation vor, richtet Schulen zur Alphabetisierung der Bevölkerung und Ausbildungsstätten für technische Berufe sowie eine Offiziersschule ein, lässt Werkstätten, ein Telefonnetz und elektrische Anlagen errichten. Der König lässt ihn gewähren. Es werden Seife und das regelmäßige Waschen, Zeitungen und ein neues Geldwesen eingeführt, am Ende gibt es Eisenbahnen, Dampfschiffe, einen Aktienmarkt und die Spekulation.
Während seiner Abwesenheit kommt es jedoch zum Bürgerkrieg im Lande, der König kommt ums Leben. Bald stellt sich heraus, dass im Hintergrund dessen eine Intrige der Kirche steht, die ihre angestammten Rechte als Staatskirche behalten will, sich mit Merlin verbündet hat und den Adel zum Krieg gegen den Yankee und seine neumodischen Einrichtungen ruft. In dieser Lage verkündet der nach seiner Rückkehr die Abschaffung des Königtums und aller Vorrechte des Adels und proklamiert die Republik sowie das allgemeine Wahlrecht. Er erwartet, dass alle froh sind, endlich die Freiheit zu haben und über ihre öffentlichen Angelegenheiten selbst entscheiden zu können. Doch weit gefehlt! Bald stellt er fest: „Gegen Ende der Woche begann ich die wichtige und ernüchternde Tatsache zu begreifen, dass die große Masse des Volkes ungefähr einen Tag lang die Mützen geschwenkt und die Republik hatte hochleben lassen, und dann war Schluss! Die Kirche, die Adligen und die Gentry blickten sie mit einem einzigen großen, alles missbilligenden Stirnrunzeln an, und sie schrumpften zur Schafherde zusammen! Von diesem Moment an hatten die Schafe begonnen, sich wieder unter die Obhut ihrer Hirten, das heißt in die Feldlager zu begeben, um ihr wertloses Leben und ihre wertvolle Wolle für die ‚gerechte Sache’ anzubieten. Tatsächlich gehörten sogar die Leute, die bis vor kurzem noch Sklaven gewesen waren, der ‚gerechten Sache’ an und verherrlichten sie, beteten für sie… Jawohl, jetzt hieß es überall ‚Nieder mit der Republik!’ – nicht eine abweichende Stimme erklang. Ganz England marschierte gegen uns!“
Vorher hatte er seinerseits zu der entscheidenden Schlacht gerüstet; er meinte, wenn die höchstens dreißigtausend Adligen beseitigt sind, könnte die Bevölkerung in Freiheit leben. Auf seiner Seite standen sein Vertrauter und Gehilfe sowie 52 gut ausgebildete junge Männer, von denen er dachte, dass sie für das Neue kämpfen würden, weil sie seine Ausbildung durchlaufen hatten und von dem allgemeinen traditionellen Aberglauben nicht geprägt seien. Sie verfügten über Kanonen und elektrische Waffensysteme mit Hochspannungsdrähten und waren überzeugt, die Tausende von Rittern militärisch schlagen zu können. Aber auch die jungen Männer dieser Elitetruppe zweifelten: „Die Lage hat sich verändert: Ganz England marschiert gegen uns! … Diese Leute sind unsere Leute, Fleisch von unserem Fleisch, Blut von unserem Blut, wir lieben sie – verlangen Sie nicht von uns, unser Volk auszurotten!“ Der Yankee versuchte, sie zu beruhigen; die Schlacht ginge gegen die Vorhut, die Ritter, und wenn die getötet seien, würde sich das Volk anders verhalten. Das geschah nicht.
Am Ende siegten die Hightech-Waffen gegen die Ritter, doch die fünfzig jungen Männer waren nicht in der Lage, die Tausende von Toten zu begraben, und sie starben am Ende an dem Pesthauch, der von den verwesenden Leichen ausging, die vor ihrer Befestigungsanlage vermoderten.
Vielleicht hätten die Entscheidungsträger in Washington Mark Twain lesen sollen, als sie ihre Kriegspläne in Sachen Naher Osten ausbrüteten. In Irak haben die USA einen teilmodernisierten Staat zerschlagen, und ein Chaos hinterlassen, in dem weiter Selbstmordattentate zum täglichen Leben gehören. Das regionale Kräfteverhältnis gegenüber Iran einerseits und Syrien andererseits wurde zerstört; jetzt sollen weitere Kriege gegen diese Staaten das revidieren, indem Chaos und Destabilisierung ausgeweitet werden.
In Afghanistan wurden erst Modernität gegen Taliban, Regimewechsel und „Kampf gegen den Terrorismus“, dann Frauenrechte und Schulbildung für kleine Mädchen als Kriegszweck angegeben, schließlich Demokratie und Menschenrechte. Am Ende wurde nichts davon geschaffen und die NATO-Truppen wollen nur noch ohne Gesichtsverlust abziehen. Jetzt wird selbst das schwierig. Bereits im April 2011 war es in Afghanistan zu tagelangen Demonstrationen gegen die westlichen Truppen und Einrichtungen gekommen, weil die Mitteilung umging, ein Prediger in den USA hatte Exemplare des Korans verbrannt. Jetzt, im Februar 2012, fanden afghanische Arbeiter auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram, der das Hauptquartier der US-Truppen in Afghanistan ist, brennende Ausgaben des Korans in einem Ofen – hatten also nicht nur davon gehört, sondern konnten sie mit Händen greifen; einige hatten sie in der Tat aus dem Feuer gerissen und konnten sie vorweisen. Es folgten tagelange Proteste und Gewaltaktionen im ganzen Land. Mindestens dreißig Menschen kamen ums Leben, darunter zwei US-Soldaten. In dem hochgesicherten Innenministerium in Kabul wurden Ende Februar zwei US-Berater von einem afghanischen Geheimdienstoffizier erschossen. Die Bundeswehr gab einen ihrer Stützpunkte auf, weil die „Sicherheitslage“ dies gebot. Die deutsche Bundesregierung zog alle deutschen Berater aus den afghanischen Ministerien zurück.
Die westliche Politik, Modernisierung anderer Gesellschaften nicht nur mit moderner Technik und Kommunikation, Medienverbreitung und Bildung voranzubringen, sondern auch mittels Krieg, ist gescheitert. Diese Vorgehensweise ist überhaupt gescheitert. Es wurden alle Fehler gemacht, die Mark Twain bereits vor über 120 Jahren ausgemacht hatte. Um der sich nun ausbreitenden Ratlosigkeit in Politikerbüros und Militärstäben, Redaktionsstuben und Politikwissenschaftslehrstühlen entgegen zu wirken, sei Lesen empfohlen. Wem Lenin verpönt ist, der kann zu Mark Twain greifen.
Schlagwörter: Afghanistan, Erhard Crome, Krieg, Mark Twain, Modernisierung, Revolutionen