15. Jahrgang | Nummer 5 | 5. März 2012

Bemerkungen

Linke Kandidatenwahl*

Wenn unter Freunden Einigkeit nicht herrscht,
Läuft ihre Sache meist verkehrt,
Am Ende stehen dann die Dinge schlecht.

Einmal wollten Schwan und Krebs und Hecht
Mit einem Leiterwagen eine Fuhre machen
Und luden auf zusammen alle ihre Sachen;
Sie ziehn mit aller Kraft – die Last rührt sich kein Stück!
Zwar würde sich der Wagen leicht bewegen lassen,
Doch zieht der Hecht hinab ins Wasser,
Der Schwan will zu den Wolken hin, es kriecht der Krebs zurück.
Wer recht hat oder nicht, wer will’s von uns entscheiden?
Bis heute muss die Last jedoch an selber Stelle bleiben.

* Nur im Titel frei nach Iwan A. Krylow, 1814

Blauweiße Gemeinsamkeiten

Hertha BSC und Griechenland haben zwei Dinge gemeinsam: Die blauweißen Farben und zu viele Schulden. Da Frau Merkels Vorschläge, aus dieser Falle zu entkommen, alternativlos sind, müssen sie wohl auch auf Hertha angewandt werden.
Schaunmermal: Zunächst einmal müssen die Löhne gekürzt und die Arbeitszeit verlängert werden. Gut. Weniger Asche, dafür mehr trainieren. Positiv ist, dass die Hertha schon privatisiert ist, das heißt, der Verein gehört den Mitgliedern nicht wirklich. So wenig wie Griechenland den Griechen. Dann müssten Liegenschaften verkauft werden. Da hat die Hertha schon mal ein Problem: Das Olympiastadion gehört ihr nicht, und ihre alte Heimat am Gesundbrunnen bringt nicht viel. Also Spieler verkaufen. Damit wird ihr zwar die Existenzgrundlage, was die Spielklasse angeht, entzogen, aber sie könnte sich ja dann, saniert und profitabel, wieder aus der Kreisklasse emporarbeiten. Genau so die Griechen. Wie die Griechen müsste die Hertha natürlich auch eine Aufsicht bekommen, sagen wir, eine Troika aus je einem Vertreter von Borussia Dortmund oder Bayern München sowie einem von Real Madrid oder dem FC Barcelona plus Sepp Blatter. Das würde den Erfolg garantieren, denn von denen lernen, heißt wirklich siegen lernen.

Martin Franke

Rollentausch

Vor längerer Zeit kam die BZ angelegentlich eines gemeinsamen Konzertes zweier Musikkritiker auf die reizvolle Idee, einen Musiker als Kritiker in den Ring zu schicken – den Hornisten Klaus W. von den Berliner Philharmonikern. Dies führte zu der nachfolgenden Besprechung. Die BZ-Redaktion fand diese Besprechung anschließend offenbar zu anspruchsvoll fürs eigene Publikum; der Text wurde jedenfalls nicht veröffentlicht. Klaus W. hatte im Übrigen wegen eigener konzertanter Verpflichtungen nicht die Zeit gefunden, den in Rede stehenden Abend in persona zu besuchen. Das soll aber, so behaupten Insider, nicht unbedingt ein Hinderungsgrund sein, einschlägige Konzert-Kritiken zu publizieren …

Die Redaktion

Wer hätte gedacht, dass zwei arrivierte Musik-Journalisten sich auf dem Konzertpodium sozusagen eigenhändig einer jener öffentlichen Kritiken aussetzen würden, deren Sprachrohr sie sonst sind? Peter Uehling von der Berliner Zeitung dirigierte druckreif das typenreiche Deutsche Kammerorchester, während Jürgen Otten (FAZ) das Keyboard des Redaktionscomputers für eine gediegene halbe Stunde mit der Tastatur eines Konzertflügels vertauschte, auf dem er Schwarz auf Weiß sein Pianisten-Studium rechtfertigen konnte.
Otten griff bei Beethovens nicht nur von Kritikern gefürchtetem drittem Klavierkonzert dem Schicksal des Rezensenten souverän in den Rachen und ließ mit seiner Interpretation die Frage unbeantwortet, ob er sich eher als schreibender Konzert-Pianist oder als konzertierender Tagesautor verstehe. Aber egal, ob vom oder fürs Blatt: Von Otten möchte man auch in Zukunft gern soviel hören wie sonst lesen. Doch auch Peter Uehling machte gestern bewusst deutlich, dass er außer Zeitungslesern auch noch andere Abonnentenstämme mit den Früchten seiner Talente verwöhnen könnte, wenn man ihn denn ließe. Mit seiner Abendleistung untermauerte er eindrucksvoll die These, der beste Dirigent sei der, der am wenigsten zeige, wie dringend man ihn brauche. Gleich zu Beginn empfahlen sich die „Hebriden“ in Uehlings Deutung als Urlaubsziel; soviel Charme und Anmut hätte man von einer nordwestschottischen Inselgruppe um diese Jahreszeit gar nicht erwartet; lediglich einige scharf attackierte Holzbläser-Motive ließen das Schroff-Felsige des Terrains ahnen, und das Deutsche Kammerorchester musizierte vom ersten Takt an auf der Höhe seines Rufes.
In einer technisch weitgehend ausgereiften Darbietung folgte mit Mozarts 34. Sinfonie jedoch ein unfreiwilliges Bespiel dafür, dass die leichten Stücke oft die schwersten sind. Während sich Uehling nach der Pause reaktionssicher und stilgetreu Ottens Beethoven-Auslegung anpasste, mochte er sich der Sinfonie nicht auf eindeutig erkennbare Weise nahem, ließ das Orchester irgendwo zwischen Giulinis Noblesse und Gardiners Keckheit wirtschaften und brachte so die Zuhörer in einen Konflikt, der sich zwar in heftigem Applaus entlud, aus dem aber (kann man mehr erreichen?) Mozart als eindeutiger Sieger hervorging.

Klaus Wallendorf

Elitewechsel

In der vorangegangenen Ausgabe des Blättchens meinte Karsten D. Voigt im Rahmen seines Beitrages „Freiheit und Sicherheit – Rückblick eines Sozialdemokraten“, dass „es in Ostdeutschland nach 1989 – anders als in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – zu einem umfassenden Wechsel in der politischen, administrativen und wirtschaftlichen Elite gekommen ist. Dieser Elitenwechsel war schmerzhaft. Es sind dabei auch Fehler gemacht worden. […] Insgesamt gesehen aber hat dieser Elitenwechsel zur Festigung der demokratischen Kultur in Ostdeutschland beigetragen (Hervorhebung – H.-P. Götz).“
Ich wünschte mir, dass der Autor seine Auffassung einer Begründung gewürdigt hätte, was die Voraussetzung für eine Auseinandersetzung wäre. Da Voigt sich jedoch auf ein pauschales Statement beschränkt hat, kann ich ihm nur ebenso pauschal entgegen halten: „Selten solchen Unsinn gelesen.“ Dass man als Sozialdemokrat, der Voigt ist, auch ganz anderer Meinung sein kann, zeigen im Übrigen folgende Ausführungen: „Man hat […] die ostdeutschen Eliten, die es gab, zum Teil schändlich behandelt. Also, ich kenne eine ganze Reihe von Fällen, da sind etwa Leute aus den Universitäten rausgekippt worden. Gut, die waren SED-Mitglieder, das war für die Elite normal und notwendig, und es waren darunter sehr viele anständige Menschen, glänzende Wissenschaftler, anerkannt von ihren Studenten, die dafür eintraten, daß sie ihre Funktion behielten, und trotzdem sind sie evaluiert, ‚abgewickelt’ und verdrängt worden – mit dem fabelhaften Ergebnis, daß z. B. in einem der mir bekannten Fälle die Amerikaner einen Experten nach Westpoint an die Militärakademie holten. Dafür war der gut, und bei uns durfte er nicht mehr lehren. Auch die Wirtschaft hat zugegriffen. […] Das war dieses entsetzliche Freund-Feind-Denken im Systemgegensatz, von dem wir bis heute infiziert sind. […] Es war eine Demütigung, die einem ganzen Volk den Eindruck vermittelte: Eure Elite ist keine Elite […] Vielleicht wirkte da sogar eine Art von unterbewußtem Schuldgefühl, daß die Bundesrepublik die nazistische Vergangenheit nicht eben ruhmvoll aufgearbeitet hat […]Daß man gesagt hat: So machen wir’s nicht nochmal. Mit dem skurrilen Ergebnis einer unwillkürlichen Gleichsetzung zwischen Nazismus und DDR, ohne Unterschiede zwischen den Bergen von Leichen und den Bergen von Akten, und dem Umstand, daß einige arme Schweine schlimmer bestraft wurden als ehemalige Nazis, die sich wirklich schuldig gemacht haben. Grotesk!“ So Egon Bahr in der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe vom November 1999.

Hans-Peter Götz

Medien-Mosaik

Ein kleiner, aber höchst kunstvoller und dabei gesellschaftlich brisanter Film sollte im Mainstream-Überangebot nicht untergehen. Er gewann im vergangenen Jahr Preise auf mehreren Festivals und ist endlich im Kino angekommen. In seinem Regiedebüt führt uns Dirk Lütter, der bisher als Kameramann hervortrat, zu einem Software-Dienstleister. Der Protagonist in „Die Ausbildung“, der Azubi Jan will nach seiner Ausbildung übernommen werden. Er ist ein zielstrebiger Lehrling, der sich bemüht, so stromlinienförmig zu werden, wie er in der „modernen Arbeitswelt“ gebraucht wird. Dabei muß er erleben, wie Kollegen auch Schiffbruch erleiden, etwa seine Gruppenleiterin Susanne, die sich um ihren behinderten Sohn kümmern muss und darum auf die „Abschussliste“ gerät. Jans Mutter, die sich seit Jahren im Betriebsrat für die Kollegen einsetzt, wird wegen einer Lappalie vor die Tür gesetzt, eben wegen ihres Engagements. Jan registriert das wohl, ist aber zu feige, Konsequenzen daraus zu ziehen. Er lässt sich eher von dem smarten Abteilungsleiter (irritierend jovial: Stefan Rudolf) vereinnahmen. Der Film erzählt die Geschichte in formaler Strenge, in der er seinem Protagonisten (sehr konzentriert der junge Joseph K. Bundschuh) gelegentliche Ausbrüche gestattet, bevor er beherrscht weiteragiert. Jan ist das Gegenteil eines Rebellen und begreift nicht, dass der Mensch in dieser Welt nichts als einen abstrakten Kostenfaktor darstellt. Neben der streng-sterilen Bildsprache setzt der Regisseur auch Chöre ein, die mit alten Volks- und Kunstliedern die Handlung in Brechtscher Manier kommentieren. Besonderes Augenmerk – bei seinem Background nicht verwunderlich – legt Lütter auf die Bildgestaltung, die man selten so durchdacht erleben kann (Kamera Henner Besuch).

„Die Ausbildung“ bei Basis-Film, derzeit in ausgewählten Programmkinos; am 2.4. im Kino Toni in Berlin-Weißensee in Anwesenheit von Regisseur und Hauptdarsteller.

Bei Gisela May hat sie studiert und ist nun schon seit geraumer Zeit selbst eine der großen Brecht-Diseusen. Gina Pietsch hat seit den neunziger Jahren richtig Fahrt mit ihren Solo-Abenden aufgenommen. Für einen davon wurde sie 1998 mit dem Bayrischen Theaterpreis ausgezeichnet. Aber auch Brechts Bewunderer (und in Teilen auch legitimen Nachfolger) Peter Hacks hat sie sich gewidmet. Ohreule hat aus dem Programm „Was träumt der Teufel“ eine schöne CD gemacht. Gemeinsam mit dem Jazz-Musiker Hannes Zerbe, der sie auf Piano und Harmonium begleitet, interpretiert sie Gedichte, Briefe und Prosa von Hacks, der sich in dieser Zusammenstellung deutlich als gewitzter, lebenslustiger Dialektiker erweist. Viele Texte sind von Zerbe kongenial vertont worden. Allerdings gleicht „Die Oliven gedeih’n“ auf die Note genau der bekannten Komposition von André Asriel. Das ist aber wohl nicht Zerbe geschuldet, sondern der ungenannten Redaktion des ansonsten informativen Booklets.

Was träumt der Teufel. Ein Peter-Hacks-Abend mit Gina Pietsch & Hannes Zerbe, Ohreule, 12,90 Euro

bebe

Vier Jäger

Es gingen vier Jäger wohl auf die Pirsch,
sie wollten erjagen den weißen Hirsch.
Sie legten sich unter den Tannenbaum;
da hatten die vier einen seltsamen Traum …

Diese etwas geänderten Gedichtzeilen von Ludwig Uhland (1787-1862), in denen es ursprünglich drei Jäger waren, fanden vor einiger Zeit in einem wundersamen Fall ihre Realität. Schon meine Großmutter sagte: „Was alles so passiert?! Das kann man sich gar nicht ausdenken!“ Im November 2000 zogen vier Amateur-Jäger aus New York frohen Mutes aus, um einen Hirsch zu erlegen. Da, im fahlen Licht sahen zwei von ihnen das gewaltige Tier, feuerten ab – und erschossen sich gegenseitig. Der dritte Jäger fand die beiden, erlitt einen Herzinfarkt und starb am Ort des Geschehens. Der vierte hörte die Schüsse, bekam einen Schreck, fiel vom Hochstand und brach sich das Genick. Ergebnis: Das Team hatte nie mehr Krankentage. Ambrose Bierce (1842-1914), der große amerikanische Zyniker, hätte zu dieser arbeitsmarktpolitischen Grundsituation gesagt: „Es wurden freie Stellen geschaffen, ohne sich für Nachfolger zu sorgen.“
Und Ludwig Uhland? Er würde sein Gedicht jetzt sicherlich so abschließen:

So lagen sie da und stummten, die vier,
da rannte der weiße Hirsch ins Revier.
Und die Jäger konnten ihn nicht mehr seh‘n,
so war er davon über Tiefen und Höh‘n.

Frank-Rainer Schurich

Wirsing

„Mecklenburg-Vorpommern bleibt Schlusslicht bei den Arbeitslosenzahlen“, sagte die Nachrichtensprecherin des NDR-Nordmagazins mit deutlichem Bedauern in der Stimme. Wünscht sie sich mehr Arbeitslose in ihrem Bundesland? Dann könnte sie stolz melden: „Mecklenburg-Vorpommern ist Spitzenreiter in puncto Arbeitslosenzahlen!“ Sie könnte ja den ersten Schritt dafür tun und kündigen!

*

Gern werden linken Zeitungen von der bürgerlichen Presse Lügen unterstellt, im wohlmeinenden Fall immer noch Uninformiertheit. Wurden die Leser des Neuen Deutschland nun am letzten Tag des Monats Februar belogen? In der Rubrik „Rückspiegel“ fand man annotiert, was „Am 29. Februar im nd … vor 50 Jahren … vor 25 Jahren … vor 10 Jahren … vor 5 Jahren“ gestanden haben soll. Abgesehen davon, dass es damals noch das ND gab, beweist ein Blick ins Archiv, dass am 29.2.62, am 29.2.87, am 29.2.02 und am 29.2.07 kein ND erschienen ist. Wann haben nun die zitierten Ereignisse im Blatt gestanden? Haben sie überhaupt stattgefunden? Da tut sich ein breites Spektrum für Spekulationen auf, an denen sich Das Blättchen selbstverständlich nicht beteiligen wird!

Fabian Ärmel