14. Jahrgang | Nummer 19 | 19. September 2011

Bemerkungen

Einsame Menschen in der Berliner Schaubühne

Das zum Theater umgebaute ehemalige Kino fasziniert auf ganz eigene Weise. Fehlende Trennung von Bühnen- und Zuschauerraum und sparsame Ausstattung ermöglichen dem Zuschauer eine völlige Konzentration auf das Agieren der Schauspieler. So auch in der Inszenierung des Gerhart-Hauptmann-Dramas „Einsame Menschen“ von Friederike Heller. Das spartanische Bühnenbild (Sabine Kohlstedt) bildet einen reizvollen Kontrast zum naturalistischen Stück. Die Darsteller agieren auf einer Bühne, die einem Drehteller gleicht. Sie sitzen auf Holzstühlen und rotieren während des gesamten Stücks an den Zuschauern vorbei. Sie rotieren und rotieren, so wird der Eindruck der Ausweglosigkeit vermittelt. Die Welt eine Drehscheibe von der gelegentlich ein Mensch herunterfällt beziehungsweise springt, umgeben von Wasser, einer flachen Pfütze gleich. Gemeint ist der Müggelsee, an dessen Ufern das Stück spielt, in einem Landhaus in Friedrichshagen.
Der junge Gelehrte Johannes Vockerat (Tilmann Strauß) lebt vom Vermögen der Familie, betreibt Studien wie ein Besessener und findet doch den Sinn des Lebens nicht. Zu dem können ihm auch seine Frau Käthe (Eva Meckbach) und sein neugeborener Sohn Philippchen nicht verhelfen, ebenso wenig wie Gott – zum Verdruss seiner Eltern (Ernst Stötzner in einer Doppelrolle). Tilmann Strauß spielt überzeugend einen von Neurosen geschüttelten Narziss. Gerade zu magisch angezogen wird er von der Studentin Anna, einer Bekannten seines Studienfreundes Braun. Jule Böwe gibt dieser Anna mit sparsamen Worten aber gestenreich einen emanzipatorischen Anstrich. Für mich die ideale Besetzung! Eva Meckbach gelingt es, den inneren Konflikt der Käthe zwischen sich selbst klein machender und von Eltern wie Ehemann immer wieder in die traditionelle Rolle der Gattin und Mutter gedrängten und damit unzufriedenen und gelegentlich zaghaft aufbegehrenden Frau zu verdeutlichen. Zum Schluss bleiben Fragen. Friederike Heller lässt die verschiedenen Konfliktlinien Hauptmanns eher im Unbestimmten neben einander her laufen: Die Ausweglosigkeit der Dreiecksbeziehung zwischen Johannes, Käthe und Anna. Das sich zaghaft wandelnde Rollenbild von Mann und Frau in der Gesellschaft. Der Widerspruch zwischen dem Weltbild der Kirche und der Wissenschaft.
Eine eigenwillige Inszenierung, die auf den Vollzug von Johannes’ Freitod nach Annas Rückzug verzichtet. Das von der Regie gezeichnete Bild von der Einsamkeit der Menschen, ihrem Unvermögen, gemeinsam eine Antwort auf ihre Fragen zu finden, ist scheint zwar verblasst, wird aber doch als sehr heutig sichtbar.

                                                                                                                              Sabine Behrens

Wieder am 28.9,, 29,.9., 2.10., 3.10. und 6.10.2011.

Disneyland für alle!

Der Pariser Platz am Brandenburger Tor gilt im Allgemeinverständnis noch immer als „das Wohnzimmer Berlins“. Realiter ist es indes zu großen und immer größeren Teilen Berlins Spielzimmer geworden. Abgesehen mal von den vielen regulären Veranstaltungen an dieser Stätte städtischer, ja nationaler Weihe vergeht im Sommerhalbjahr kaum ein Tag, an dem es dort nicht zugeht wie in Disneyland. Die allgegenwärtigen Leierkastenmänner und -frauen mögen ja fürs Kolorit dieser Stadt noch angehen. Die als Soldaten, Hühner, Bären und sonst was Verkleideten, die ebenso wie die vielen „lebenden Denkmalsfiguren“, die dort herumstehen, um für Fotos ein paar Kröten einzusammeln, sind schon mehrheitlich lästig und also ärgerlich. Das denkt allerdings lediglich der Normalverbraucher dieser Stadt. Veranstalter aller Couleur haben längst entdeckt, dass das Geheimnis jedweden Magnetismusses in der Eventisierung von allem und jedem begründet ist. Ganz besonders der Menschheit zwischen zehn und 40 Jahren ist eh nicht beizukommen, ohne dass etwas mit einem möglichst schrillen Schauwert verbunden ist. Auch deshalb also wurde jüngst besagter Platz kurzerhand zu einem internationalen Wettkampfort der stabhochspringenden Leichtathleten gemacht. „Es ist unsere Aufgabe, die Faszination der Sportart zum Publikum zu bringen“, wusste der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes diesen Schritt zu begründen. Nun ja, aus dieser Philosophie ließe sich – konsequent betrieben – allerdings noch viel mehr machen. Was könnte man auf diesem kreativen Wege nicht alles noch näher – beziehungsweise überhaupt – an die Menschen heranbringen? Um beim Stabhochspringen zu bleiben – wie wäre es mit einem solchen Wettkampf unter Wasser in der Spree? Oder einem Kugelstoßwettbewerb im Pergamon-Museum? Was könnte ein Woodstock-Festival im Schlosspark Charlottenburg doch Gäste anziehen? Wie könnte man Geschichtsaufklärung betreiben, stellten die neuen Seefestspiele doch den japanischen Überfall auf Pearl Harbour nach(mit Veronika Ferres in der Rolle als Pearl Harbour). Oder die Brokdorf-Revolte im heimeligen Tiergarten. Mein Gott, was ist bisher alles ungenutzt geblieben, um Berlin noch attraktiver zu machen? Warum keine pamplonische Bio-Stierhatz über den Kollwitz-Platz? Warum nicht kollektives Taubenvergiften im (Treptower ) Park? Warum nicht auf dem brachliegenden Tempelhofer Flugfeld die Atlantik-Invasion der Alliierten nachstellen? Oder eine Wrastling-Olympiade im Abgeordnetenhaus. Oder ein Massenselbstmord mit Giftlimonade wie weiland in Jonestown? Und ganz und gar: Wo bleibt die Riesenstatue der Schwarzen Madonna von Friedrichshain auf dem Mont Klamott? Ein paar Meter höher als die 33 der betonköpfigen Jesus-XXL-Ausführung im polnischen Swiebodzin sind bei der derzeitigen Lage sprudelnder Steuereinnahmen doch ganz sicher drin. Und wenn besagte Madonna dann auch noch die Physiognomie unserer – ja ebenfalls schwarzen – Kanzlerin erkennen ließe … „be Berlin“ – wenn schon, dann richtig. Also auch „Disneyland für alle!“, Klaus Wowereit, übernehmen Sie!

   hwk

Meidet Weimar!

Erfurt hat die Krämerbrücke – und die ist wieder ein kulturelles Kleinod geworden. Weimar hatte die Kultur-Kleinodien – aber die Krämer haben die Stadt besiegt. Gleich neben dem Schillerschen Wohnhaus an der Esplanade befand sich seit Jahrzehnten das Antiquariat „Suleika“. Das war wunderbar verkramt, da gab es tolle Stiche und exquisite Erstausgaben und so manches Schnäppchen mit einstiger Bückware aus der DDR war da möglich. Liebevoll gestaltete Schaufenster sein Markenzeichen und eine Antiquarin, mit der es sich lohnte zu schwätzen. „Suleika“ war nach Schiller ein „Muß“. Das ist Vergangenheit. Der Laden ist weg, jedenfalls die Bücher samt Bouquinistin. Jetzt ist da ein Taschenladen drin, der sich „bag-in“ nennt. Das Antiquariat war nicht mehr in der Lage, die steigenden Mieten an der Schillerstraße, so heißt die Esplanade seit Jahrzehnten, zu bezahlen. Die klassikversessenen Kommunisten glaubten, so dem Dichter der „Räuber“ ein ewiges Denkmal zu setzen. Manche meinen heute aber, die Schillerstraße heiße Schillerstraße, weil sich dort ein Kaufhaus namens „Schiller-Arkaden“ befände. Logischerweise steht vor dem Theater ein Goethe-Denkmal (völlig überflüssig steht er mit einem gewissen Herrn Schiller auf dem Sockel), weil sich dort der Eingang zur „Goethe-Galerie“ befindet. Mit Bildern hat diese Galerie nix zu tun, auch das ist eine Art Kaufhaus. Wobei es sich bei diesem Herrn G. offensichtlich um den Erfinder so nutzbringender Dinge wie Gingko-Tee und Barometer handeln muss. Das kann man jedenfalls im „Gingko-Museum“, auch einem Laden, am Marktplatz lernen. Dessen Angebotspalette ist allerdings im Vergleich zur Merchandising-Rumpelbude der Klassik-Stiftung nebenan von hoher ästhetischer Homogenität. Relativer geschmacklicher Tiefpunkt ist da derzeit ein Fan-Schal, der irgendwie nach einem NRW-Fußballverein aussieht – da steht aber „Franz Liszt“ drauf. Die Krämer haben die Klassik offenbar stillschweigend erledigt. Ein Rostbratwurst-Verkäufer hatte es dagegen vor einigen Jahren etwas zu forsch versucht. Seine nächtens explodierten Propangasflaschen sengten Friedrich Schillers Schreibtisch an und setzten das Wohnhaus beinahe in Flammen. Es steht noch. Ebenso wie das Haus des „Suleika“-Dichters Goethe am Frauenplan. Alte Häuser haben Gesichter und die können sprechen. Goethes Haus scheint knurrig vor sich hin zu schweigen. Mit abweisender Fassade wartet es wohl wieder auf der Kunst und den Künstlern freundlicher gesonnene Zeiten. Bis die kommen, fahren Sie nach Erfurt oder Rudolstadt. Oder auch Apolda (siehe BLÄTTCHEN 15/2011). Eine Schillerstraße, die anderen so genannten Boulevards immer ähnlicher wird, lohnt den Reiseaufwand nicht.

 W.B.

Bombengeschäfte gehen weiter

In den Ausgaben Nr. 13 (Sarcasticus, Wanted: Riester-Killer) und 14 (Thomas Küchenmeister, Tödlicher Profit) dieses Jahres hatte Das Blättchen darüber berichtet, dass – trotz der völkerrechtlichen Ächtung von Streumunition und dem Beitritt der Bundesrepublik zu der entsprechenden internationalen Konvention – deutsche Banken und Versicherungen weiterhin in großem Stil Finanzgeschäfte mit Herstellern entsprechender Waffensysteme tätigen. Deren Produkte sind bekanntlich vor allem durch die Tötung und Verstümmelung Tausender Zivilisten in diversen Drittweltstaaten und auf dem Balkan berüchtigt.
Über aktuelle Entwicklungen berichtete Daniel Baumann unter der Überschrift „Tödliche Geschäfte. Finanzdienstleister bauen Geschäfte mit Streumunitionsherstellern aus …“ am 10. September in der Berliner Zeitung: „Deutsche Finanzinstitute finanzieren weiterhin Geschäfte von Streumunitionsherstellern, wie aktuelle Erhebungen von Nichtregierungsorganisationen zeigen. Demnach haben sie ihre Aktivitäten in diesem Bereich zum Teil sogar noch ausgebaut. Allein die Commerzbank, die Deutsche Bank, die Unicredit/HVB sowie die Allianz oder ihre jeweiligen Töchter sollen im September 2011 Geschäftsbeziehungen mit Streubombenherstellern im Umfang von insgesamt fast 1,6 Milliarden US-Dollar unterhalten haben. Dazu zählen gehaltene Aktien, Anleihen oder Kredite.“
Und auch an der zwiespältigen Haltung der Bundesregierung, die trotz Ratifizierung der genannten Konvention bisher nichts unternommen hat, um derartige Geschäfte mit dem Tod zu unterbinden, hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Dazu Daniel Baumann: „Aus Sicht der Regierung schließt die internationale Konvention zum Verbot von Streubomben nicht aus, dass Finanzdienstleister Hersteller der Waffen finanzieren dürfen. 16 andere Staaten teilen diese Auffassung nicht, darunter Frankreich und Großbritannien. Sie erachten Investitionen bereits durch die Konvention für verboten. Belgien, Luxemburg, Irland und Neuseeland haben Investitionen per Gesetz verboten. Die Niederlande und die Schweiz wollen diesen Weg ebenfalls gehen – und auch die Grünen im Deutschen Bundestag haben einen Investitionsverbotsantrag gestellt. Bislang ohne Erfolg.“

       Sarcasticus

Elitenpflege

Die Wagner-Sisters hat es mitten auf den Solar Plexus getroffen: Siemens stellt sein Sponsoring für die Bayreuther Festspiele auf dem Grünen Hügel der Stadt ein. Seit 2008 hatte der Konzern dorthin die immerhin großzügige Spende von jährlich einer Million Euro überwiesen; ein kleiner Schritt für Siemens, ein großer Schritt aber für … – ja für wen? Für die Kulturelite, die Reichen, Schönen und vor allem Mächtigen, die sich dort Jahr für Jahr zu Gemüte führen, wie man die immer selben Wagner-Opern auf immer andere Weise auf die Bühne bringen kann. Nun mag diese narzisstische Onanie ja allweil geschehen, wenn sie denn bestimmten Leuten Befriedigung verschafft, nebbich. Nur eben: Wie viele Theaterbühnen, die sich idealistisch-redlich und ohne die Gagen des grünen Hügels darum bemühen, Kunst dem „Normalverbraucher“ möglich zu machen oder sie dafür zu gewinnen, könnte diese Summe vor dem allzeit drohenden Aus retten – von sozialen Projekten diverser Couleur ganz zu schweigen? Aber dorthin gehen weder die Banker noch Frau Merkel – Elite pflegt Elite, oder: Eine Hand wäscht die andere, es zahlt sich ja schließlich aus, wie wir der symbiotischen Verbindung von Kapital und Politik, im Falle Bayreuths auch der Kunst, leicht entnehmen können. Schau´n wir mal, wo Siemens künftig seine Abschreibungen verplant. Wie wäre es mit den Salzburger Festspielen? Oder ist man dort eh schon vertreten?

Martin Kirchner

Medien-Mosaik

Nur noch bis 2. Oktober ist Zeit, sich eine Fotoausstellung anzusehen, die einem neue Welten erschließt. Die Exposition „Hinter die Bilder schauen“ hat das Potsdamer Filmmuseum DEFA-Regisseur Rainer Simon nachträglich zum 70. Geburtstag gewidmet. Aber nicht der Schöpfer von einmaligen Spielfilmen, wie „Till Eulenspiegel“, „Jadup und Boel“ oder „Die Frau und der Fremde“ steht im Mittelpunkt, sondern der Fotograf. Seit er 1988 in Ecuador den Humboldt-Film „Die Besteigung des Chimborazo“ drehte, war er vom Leben der indigenen Völker fasziniert und kehrte immer wieder zurück. Er unterrichtet Studenten in Mexiko, Bolivien oder Guatemala, begleitet ihm gewidmete Retrospektiven und hat auch schon einige Dokumentarfilme hier gedreht. Begleitend sind tausende Fotos entstanden, und die Auswahl von rund 100 Motiven von Menschen und Natur weist ihn als hervorragenden Fotografen aus. Wie er im Film zuvor Vorgänge festhielt, sind es nun Augenblicke, denen er ein Stück Ewigkeit gibt. Er ist sich dabei sehr bewusst, dass er Vergänglichkeit fixiert: nicht nur die Menschen, auch ihre Kleidung, ihre Riten werden einmal nicht mehr da sein. Um so wichtiger, die Erinnerung zu bewahren. Diese Erinnerungen kann man auch mit nach Hause nehmen, denn zur Ausstellung ist ein Katalog nicht nur mit Fotos sondern auch mit nachdenkenswerten Texten von Rainer Simon erschienen.

„Hinter die Bilder schauen“, Ausstellung im Filmmuseum Potsdam bis 2.10., Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, Katalog 120 S., 9,90 € – am 21.9. läuft im Potsdamer Filmmuseum um 18 Uhr „Die Besteigung des Chimborazo“ mit einem Vortrag des Botschafters von Ecuador über das Yasuni-Umweltprojekt.

Ein neuer Autorenfilmer hat die Bühne betreten. Jan Schomburg hat das spannende Psychodrama „Über uns das All“ geschrieben und inszeniert und dabei großes Talent bewiesen. Der Film erhielt im Frühjahr den Hauptpreis des Schweriner Filmkunstfests. Im Mittelpunkt scheint eine Ehe zu stehen. Martha und Paul (Sandra Hüller, Felix Knopp) lieben sich auch nach mehreren Ehe-Jahren noch und selbstverständlich ist Martha bereit, Paul nach Marseille zu folgen, als er nach dem Studium dort eine gute Stelle bekommt. Doch Paul verschwindet und kommt nicht mehr wieder. Martha muss erkennen, dass ihr Leben mit Paul nicht das war, was sie glaubte. Schließlich stürzt sie sich in eine neue Beziehung. Jan Schomburg hat mindestens bis zur Hälfte einen dichten, faszinierenden Film inszeniert. In der zweiten Hälfte, in der „Nino“ (von dem neuen österreichischen Liebling Georg Friedrich verkörpert) auf die Bildfläche tritt, sind nicht alle Wendungen glaubwürdig. Aber man muss unbedingt Sandra Hüller gesehen haben! Dieses Spektrum an intensiven Gefühlsregungen, das sie ausbreiten kann – von der liebenden Ehefrau zur verstörten Witwe bis zur verzweifelt komischen Liebhaberin – weist sie als eine der besten Schauspielerinnen des Gegenwartsfilms aus.

Derzeit in zahlreichen Kinos.

bebe

Wirsing

Naturkatastrophen bringen auch Journalisten dem Himmel ein Stück näher. Der US-Korrespondent erklärte zum Sturmereignis auf Inforadio: „Das Problem liegt darin, dass hier viele Stromleitungen überirdisch verlaufen.“ Viele halten ja Amerika für „Gottes eigenes Land“. Da führen Stromkabel direkt durchs Paradies.

          Fabian Ärmel