Die Facetten des Friedens
Bislang gab es kein friedenswissenschaftlich bzw. friedenspolitisch fokussiertes Handbuch im deutschsprachigen Raum gibt, in dem der Frieden begrifflich-thematisch in unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlich-sozialen Kontexten erfasst wird, und das zugleich den Stand und die Entwicklungen der Friedensforschung seit dem Ende des Ost-West-Konflikts widerspiegelt. Diese Lücke schließt das nunmehr vorgelegte „Handbuch Frieden”, das die Befunde von insgesamt 51 Autorinnen und Autoren aus unterschiedlicher disziplinärer Perspektive – neben der Politikwissenschaft kommen auch Geographie, Geschichte, Jura, Naturwissenschaft, Sportwissenschaft, Theologie sowie Kultur- und Literaturwissenschaften zu Wort – und oftmals angereichert durch friedenspraktische Erfahrungen in einem ebenso umfassenden wie differenzierten Überblick präsentiert: Dabei wird der Bogen vom Ausgangspunkt „Krieg und Frieden“ (Autor: Reinhard Meyers) über drei thematische Blöcke geschlagen: „Der Frieden in wissenschaftlicher und politischer Perspektive“ (3 Beiträge), „Begriffsfeld Frieden“ (15 Beiträge) und „Friedenskontexte“ (30 Beiträge). Dass sich die Auswahl dabei bewusst nicht auf das Feld der internationalen Beziehungen beschränkt bzw. wie weit sich der thematische Fächer des voluminösen Bandes spreizt, zeigt exemplarisch das Kapitel „Frieden und klassische Musik“ (Autor: Dieter Senghaas).
Dieses Handbuch will Lehrende und Forschende an universitären und außeruniversitären Instituten und Einrichtungen ebenso ansprechen wie Studierende, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende in der schulischen und akademischen Ausbildung und nicht zuletzt in der Erwachsenenbildung. Es will aber auch Brücken zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen „Communities” bilden und zur Diskussion unter politischen Mandatsträgern, Soldatinnen und Soldaten, Akteuren der praktischen Friedensarbeit im In- und Ausland, kirchlichen Kreisen und in den Medien beitragen.
Die Handhabbarkeit des Bandes gewinnt durch ein nachgestelltes Sachregister sowie ein Abkürzungsverzeichnis.
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Hans J. Gießmann / Berhard Rinke (Hrsg.): Handbuch Frieden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011, 640 Seiten, 49,95 Euro
Der Fackel-Träger
Eines Tages, soweit das Auge reicht, alles – rot. […]
Auf den Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark,
alle Menschen lesend aus einem roten Heft…!
Robert Scheu, 1909
Vor über 100 Jahren blitzte zum ersten Mal überall in Wien das leuchtende Rot der von Karl Kraus (1874-1936) herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel auf – von 1899 bis 1936: 922 Ausgaben in 415 Heften mit insgesamt 22.500 Seiten. Hymnisch verehrt, aber auch bodenlos gehasst wurde sie für ihre geballte Angriffslust, ihre sezierend scharfen Urteile, ihre hohe Sprachkunst und die Unerbittlichkeit ihres moralischen Anspruchs. Pointiert kommentierte sie bis zum Tod ihres Herausgebers Politik und Gesellschaft sowie Kultur und intellektuelle Strömungen von der Jahrhundertwende bis zum Untergang der Ersten Republik.
Der vorliegende, prächtige Band vereint kenntnisreiche Essays renommierter Kraus-Forscher über den geistigen und personellen Kosmos der Fackel mit über 250 Abbildungen von Karl Kraus, seinen Zeitgenossinnen, seinen Schriften und den Stätten seines Wirkens, die in dieser Bandbreite erstmalig zugänglich gemacht werden.
Wiewohl der Band bereits anlässlich des 70. Todestages von Karl Kraus am 12. Juni 2006 editiert wurde, ist er unverändert außer zum Lesen auch vorzüglich als Geschenk geeignet.
gm
Heinz Lunzen / Viktoria Lunzer-Talos / Marcus G. Patna: „Was wir umbringen“. DIE FACKEL von Karl Kraus, Mandelbaum Verlag, Wien 2006, 220 Seiten, 29,80 Euro
Suffizienz oder Ökosozialismus?
Etwa 35 Jahre nach der ersten Ölkrise gehört es inzwischen zum Allgemeinwissen, dass die fossilen Ressourcen begrenzt sind und die Zukunft nur mit regenerativen Energien gemeistert werden kann. Ressourcen sparende und an natürliche Kreisläufe angepasste Technik wird von einer großen Mehrheit als Allererstes angeführt, wenn über Wege aus der ökologische Krise nachgedacht wird.
Doch es mehren sich Stimmen, dass der technische Weg allein nicht ausreichen wird, sich vielmehr die gesamte Lebensweise und damit auch die Gesellschaft ändern muss. Diese Erkenntnis prägte schon einmal, zu Beginn der 1990er Jahre, den aufkommenden Diskurs um „Nachhaltige Entwicklung“. Aber erst heute scheint sich eine breitere und grundsätzlichere Debatte um gesellschaftliche Wege aus der ökologischen Krise zu entwickeln. Das ist auch dringend erforderlich, denn die ökologische Krise kann nicht ohne die Thematisierung von Kultur, Lebensweise und Gesellschaft verstanden und bearbeitet werden. Die ökologische Krise ist eine soziale Krise. Die Autoren der Untersuchung Green New Deal, Suffizienz oder Ökosozialismus?, Frank Adler und Ulrich Schachtschneider, fragen daher nicht „Was muss sich technisch ändern?“ Sie wollen wissen: Welche Antworten gibt es auf die Frage „Was muss sich gesellschaftlich ändern?“
Bei den dafür untersuchten einschlägigen theoretische Konzeptionen und Denkrichtungen interessierten sie sich nicht nur für die Kritiken, Alternativvorschläge und Handlungsempfehlungen, sondern vor allem für deren Begründungslinien.
Analysiert und dargestellt haben sie die Konzepte aus der Perspektive engagierter, aber neutraler Beobachter. Die untersuchten Ansätze werden also nicht nach bestimmten Kriterien bewertet oder aus der Sicht eines Diskursteilnehmers mit bevorzugtem oder eigenem Ansatz kritisch dargestellt. Letzteres ist natürlich legitim, da es die Debatte belebt. Den Autoren schien es für ihr Anliegen zweckmäßiger, Berichterstatter und nicht Richter zu sein. Auf diese Weise sind wahrscheinlich erstmalig sehr kontroverse, ja auch konträre Konzepte in einem Buch versammelt.
sw
Frank Adler, Ulrich Schachtschneider, Green New Deal, Suffizienz oder Ökosozialismus? Konzepte für gesellschaftliche Wege aus der Ökokrise, oekom verlag, München 2010, 324 Seiten, 24,90 Euro
Was ist links?
Vor kurzem erst hat Spiegel-Autor Jan Fleischhauer mit seinem Buch „Unter Linken“ damit reüssiert, dass er seinen Weg vom Pubertätslinken zum Konservativen mit viel Ironie schilderte. Linke kamen dabei nicht eben gut dabei weg; ganz unabhängig davon, ob das von ihnen gezeichnete Bild repräsentativ zutreffend war – nicht selten leider ja – oder auch nicht.
Christoph Ruf hat einen anderen, letztlich ernsthafteren Ansatz. „Was ist links“ fragt sich der Publizist, der unter anderem ebenfalls für den Spiegel tätig ist, und versucht dies durch Reportagen aus jenem Milieu zu erkunden, dessen rote Farbwerte sich zwischen den infrage kommenden Parteien bekanntlich deutlich unterscheiden; sofern man sich als Präsentationsfarbe nicht eh für Grün entschieden hat. Über ein Jahr war Ruf an der Basis von SPD, Grünen und der Linkspartei unterwegs. Was er an Haltungen und Visionen vorgefunden hat, ist mit Gewinn zu lesen. Inwieweit man daraus die Hoffnung auf eine geeinte und damit wirklich handlungsfähige Linke zu schöpfen vermag, bleibt allerdings dem Auge des Betrachters überlassen.
hpg
Christoph Ruf: Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu, C. H. Beck, München 2011, 250 Seiten, 12,95 Euro
Stilles Heldentum
Fast 60 Jahre sind seit dem Ende des deutschen Faschismus vergangen, aber noch immer ist das geschichtliche Feld des Widerstandes gegen die Nazibarbarei und den Krieg alles andere als final erforscht und bekannt gemacht. Das nur bedingte Interesse jener deutschen Mehrheit, die den Nazis seinerzeit statt Widerstand Loyalität oder gar eilfertige Bereitschaft zur Mittäterschaft entgegenbrachten mag damit ebenso zu tun haben wie die Konzentration der bürgerlichen Geschichtsschreiber auf eben den bürgerlichen Widerstand mit den Hitler-Attentätern des 20. Juli 1944 an der Spitze. Es ist dem beharrlichen Bemühen nicht zuletzt der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zu verdanken, dass der Mut jener Widerstandskämpfer des Alltag ans Licht gebracht und gewürdigt wird, die trotz der drohenden und oft genug Realität gewordenen Gefahr , das Leben zu verlieren, das Möglichste taten, um der Barbarei tätigen, in diesem Falle widerständigen Humanismus entgegenzusetzen. Gerd Kaiser als Herausgeber hat jetzt 28 Lebensbilder und Biogramme solcher stillen Helden vorgelegt, die im Raum der thüringischen Waffenschmiede Suhl die Produktion zu sabotieren versuchten und/oder mit Flugblattaktionen ihren dort tätigen Arbeitskollegen die Augen zu öffnen. Eine ebenso verdienstvolle wie berührende Edition.
hj
Gerd Kaiser (Hrsg.): Aufrecht und stark. Frauen und Männer aus Suhl und Umgebung im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, edition bodoni, Berlin 2011, 192 Seiten, 21,80 Euro
Schlupfloch für Kriegsverbrecher
Es ist eine alte Erfahrung: akzeptable Gesetze zu haben bedeutet noch lange nicht, dass nach ihnen allgemein verfahren wird. Das gilt sogar für den Staat, in dessen Mitte der Gesetzgeber ja zu Hause ist. Über eines von ohnehin nicht seltenen Feldern hiesiger Politheuchelei legt der Politwissenschaftler und Journalist Markus Frenzel Zeugnis ab. Für seine TV-Berichte über afrikanische Kriegsverbrecher in Deutschland hat ihm Amnesty International den Marler Fernsehpreis für Menschrechte zuerkannt. Frenzel legt in seinem Buch sozusagen zwei Folien übereinander – die der großzügigen Aufnahme von kriegsbedingten Menschrechtsopfern in der Bundesrepublik und jene des bundesdeutschen Gesetzes zur Verfolgung internationaler Kriegsverbrechen und Völkermörder. Und er muss feststellen: „Doch dann gibt es noch ein gutes Dutzend (der in Deutschland untergetauchten – Anm. d. Red.) Personen, die sehr wohl Böses im Sinn haben. Auch sie kommen aus dem Kongo, aus Guinea, aus Usbekistan, aus Ruanda oder Äthiopien. Auch sie leben unter uns, nur sehen wir sie nicht. Sie bevorzugen den Schatten. Andere sind regelmäßig Gast in Deutschland, wo sie immer wieder Unterstützung für ihre Verbrecherregime bekommen. In abgeschiedenen Zirkeln treffen sie unsere höchsten Politiker und Militärs, aber da haben wir auch keinen Zutritt. Von diesen Kriegsverbrechern, Massenmördern und Folterknechten berichtet dieses Buch.“
rt
Markus Frenzel: Leichen im Keller. Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011, 434 Seiten, 14,90 Euro
Berlin, retrospektiv
Mit alledem, was Berlin an Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet hat – das Bild eines geschlossenen und – zumindest im Zentrum – harmonischen Stadtensembles wird nicht wiedererstehen, es ist ein für allemal perdu. Wer dies als Liebhaber der deutschen Hauptstadt betrauert oder wer sich das unwiederuflich Verlorene auch nur retrospektiv vor Augen führen möchte, dem sei ein reizvolles Bändchen aus dem Verlag für Berlin-Brandenburg empfohlen. Autor Holger Lehmann hat darin aus einer Fülle von 200 kolorierten Foto- und Lithografien (darunter viele Postkarten) einen repräsentativen Querschnitt zusammengestellt, der einem Berlin zwischen Kaiserzeit und den frühen Jahren der Weimarer Republik im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führt. Dass auch Motive aus Orten wie Charlottenburg, Schöneberg oder Rixdorf dazugehören, wird nur wundern, wer nicht mehr oder noch nicht weiß, dass Großberlin erst 1920 seine heutige territoriale Gestalt angenommen hat.
gm
Holger Lehmann: „Grüße aus Berlin“. Eine Reise durch die wilhelminische Metropole, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2011, 180 Seiten, 16,90 Euro
Konflikte transformieren
Noch druckfrisch ist der zweite Band des Berghof Handbook for Conflict Transformation: „Advancing Conflict Transformation. The Berghof Handbook II“. Der Band enthält in 20 neuen oder aktualisierten Beiträgen Erkenntnisse von FriedensforscherInnen und Praktikerinnen zu weitgefächerten Themen. Unter anderem befassen sich die Autorinnen und Autoren mit globalen Trends der Kriegsführung und Friedensförderung, der Bearbeitung von asymmetrischen Konflikten, den Interventionsmöglichkeiten von Drittparteien und der Handlungsmacht von lokalen Kräften sowie mit den Wechselwirkungen von Menschenrechten, Transitional Justice und Versöhnungsaktivitäten in Nachkriegsgesellschaften.
Das Handbuch wendet sich an all jene, die interessiert sind an Konfliktverhütung und -management in nationalen und internationalen Kontexten oder die aktiv auf diesen Feldern tätig sind. Darüber hinaus soll der Band zur Information politischer Experten, von Journalisten, Hochschullehrern und Studenten dienen.
cf
Austin, Beatrix / Fischer, Martina/ Giessmann, Hans J. (Hrsg.): Advancing Conflict Transformation – The Berghof Handbook II, Verlag Barbara Budrich, Leverkusen Opladen 2011, in englischer Sprache, 559 Seiten, 49,90 Euro
Konsummaschine Mensch
Dieses Buch ist nicht neu. Das, was es behandelt und vor allem analysiert, ist es indes heute gleichsam ebenso empfehlenswert wie zu Zeiten seines Erscheinens vor vier Jahren. Was der amerikanische Politwissenschaftler über die manipulierte Metamorphose des zum Niedergang verurteilten Bürgers zum puren Verbraucher darlegt, macht einen auch dann schwindeln, wenn man all das Dargestellte aus dem Alltag des immer sinnentleerteren Volks-Tanzes um das Goldene Kalb zu kennen meint. Kritiker haben Barber nicht nur seine linke Sichtweise sondern auch Polemik vorgeworfen: Was denn sonst, wenn nicht polemisch kann, soll und muss ein Buch sein, das sich dem Werteverfall – hier also die immer weitere Reduktion des Massen auf Käufer und Verbraucher einer aberwitzigen Überproduktion um deren selbst Willen – entgegenzustemmen versucht? Leidenschaftslose Betrachtungs-Literatur gibt es überreichlich; außer akademische Diskurse auszulösen sind sie dafür, Menschen zum Aufbegehren zu ermutigen, viel zu selten zu gebrauchen.
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Benjamin R. Barber, Consumed!, Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt, C.H. Beck, München 2007, 395 Seiten, 24,90 Euro
Schlagwörter: Beatrix Austin, Benjamin R. Barber, Berghof, Berhard Rinke, Berlin, Christoph Ruf, Faschismus, Frank Adler, Gerd Kaiser, Hans J. Gießmann, Holger Lehmann, Kriegsverbrecher, links, Markt, Markus Frenzel, Martina Fischer, Ulrich Schachtschneider, Werteverfall, Widerstand