von Erhard Crome
Die Bundesregierung wollte nicht, dass Deutschland auf die schiefe Bahn gerät. Deshalb votierte sie im UNO-Sicherheitsrat nicht für den Krieg gegen Libyen. Jeder Krieg trägt die Eskalation in sich. Man beginnt einen wunderbaren, in der Planung siegreichen Blitzkrieg, wie Deutschland unter Befehl Hitlers gegen die Sowjetunion 1941, und bleibt plötzlich vor Moskau in Morast und Schneetreiben stecken. Diese Gefahr besteht in Libyen nicht. Aber auch dort scheint der Blitzkrieg bereits verloren. Es bleibt der Ermattungskrieg.
Wer ermattet zuerst? Nach vier Wochen Bombardierung ist Gaddafis Armee noch immer in der Lage, sich zu wehren. Dreißig Prozent ihrer militärischen Kapazität sind vernichtet, heißt es. Das bedeutet: Siebzig Prozent hat sie noch. Die so genannten Rebellen, die von Spezialkräften vor allem Großbritanniens formiert und unterwiesen werden, können den Bürgerkrieg mit eigenen Kräften nicht gewinnen. Gefordert wird, es soll noch mehr bombardiert werden. Und dann braucht man doch noch Bodentruppen, um die Sache für sich zu entscheiden? Das wäre die Eskalation, die Westerwelle gerade vermeiden will. Oder ermattet der Rüstungshaushalt der USA? Zwei vergebliche Kriege, in Irak und Afghanistan, werden gerade abgewickelt. Der Afghanistankrieg allein kostet die USA 100 Milliarden Dollar jährlich. Wissen die fünfzig Millionen armen USA-Bürger, denen die Republikaner aus Gründen der Budgetsanierung gerade die Krankenversicherung wegnehmen wollen, dass da am Hindukusch ihre Interessen verteidigt werden? Was sollten die USA da jetzt auch noch in Libyen? Einen weiteren Krieg in der arabischen bzw. muslimischen Welt? Oder ermattet die öffentliche Zustimmung in Frankreich, nachdem sich erweist, dass der großsprecherische Präsident zwar einen Krieg zu beginnen wusste, nicht aber, wie er beendet werden könnte.
Viele Fragen, aber wenig Antworten.
Die Vorreiter des Libyen-Krieges waren Frankreich und Großbritannien. Die USA folgten zunächst widerwillig, trugen die Resolution im UNO-Sicherheitsrat aber mit. So entstand die eigenartige Situation, dass diese drei Ständigen und sieben Nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates am Ende für die Resolution zur Kriegsermächtigung stimmten, aber Russland und China sowie Indien, Brasilien und Deutschland sich enthielten. Das war die Konstellation, in der Westerwelle von der schiefen Bahn redete.
Für viele Angehörige der sogenannten politischen Klasse in Deutschland kam das überraschend. Mit der re-education und einer Reihe von Programmen zur Heranbildung eines amerika-hörigen politischen Personals hatten die US-Besatzungsbehörden und nach 1949 deren Nachfolgeeinrichtungen in der alten Bundesrepublik alles getan, um die außenpolitischen Entscheidungsprozesse so zu konditionieren, dass diese stets der Vormacht folgen. Ganz in diesem Sinne hatte bald nach der deutschen Vereinigung Ronald D. Asmus von der RAND-Corporation geschrieben, es bräuchte keine Sorgen (aus amerikanischer Sicht) um den außenpolitischen Kurs der Bundesrepublik zu geben, solange die Außenpolitik in den Händen einer westdeutschen Elite bliebe. Dies erklärt sowohl, weshalb das außenpolitische Personal aus der DDR nahezu rückstandslos abgewickelt und vom außenpolitischen Dienst der Bundesrepublik grundsätzlich nicht übernommen wurde, als auch, weshalb bestimmte Themen in der deutschen öffentlichen Debatte grundsätzlich bekämpft werden, solange sie von den entsprechenden Diskursverwaltern nicht freigegeben sind, beziehungsweise weshalb unter den Meinungsbildnern und in den deutschen Massenmedien zuzeiten wie auf Bestellung scharfe Polemiken auftauchen gegen jede Art von Kritik am US-amerikanischen Kapitalismus-Modell oder an der Politik der USA-Regierung.
So geschah es auch, als Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer sich weigerten, der US-Regierung unter Bush in den Irak-Krieg zu folgen. Aber dabei konnten sie sich immerhin noch auf die Übereinstimmung mit Frankreich berufen. Damals war Angela Merkel für den Krieg. Jetzt war die Bundesregierung mit Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle gegen diesen Libyen-Krieg – und Teile der Sozialdemokratie und der Grünen sind dafür. Folgt das nur der Logik der Oppositionspolitik?
Folgt man der Logik von Asmus, liegt mit Angela Merkel die außenpolitische Entscheidungsgewalt nicht mehr in der konditionierten westdeutschen Hand. (In dieses Bild passt zwar der Rheinländer Westerwelle nicht, aber vielleicht wurde der nur bei den entsprechenden Förder-Programmen übersehen.) Genau in diesem Sinne hub dann ein lautes Geschrei an, Deutschland sei isoliert, habe sich in eine „Sonderrolle“ begeben, die „unverbrüchliche“ Freundschaft mit den USA verraten und so weiter. Es schrien im Bundestag zunächst einige von SPD und Grünen, dann vor allem im konservativen Lager. So brachte sich der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe in Erinnerung und raunte: „Die tragenden Säulen der Unionspolitik werden mit diesem Verhalten in einer Mischung aus Orientierungslosigkeit und Unfähigkeit zerstört.“ Da hat er’s der Kanzlerin aber gegeben: Sie ist orientierungslos und unfähig – bei Kohl war eben alles besser. Der Altkader Schwarz-Schilling murmelte etwas von „historischem Zynismus“, weil es doch in Libyen um den Schutz der Zivilbevölkerung gehe. Aber auch der nicht einflusslose, aktuell praktizierende CDU-Politiker Wolfgang Bosbach kritisierte: „Das Abstimmungsverhalten berührt eine Frage von grundsätzlicher außenpolitischer Bedeutung, weil es um das Verhältnis zu unseren engen europäischen und amerikanischen Partnern geht. Wir hätten an ihrer Seite stehen müssen.“ Warum man an der Seite eines unter falschen Voraussetzungen angezettelten, sinnlosen Krieges stehen soll, bleibt auch er schuldig. Es geht um das Prinzip, nicht die Sache.
Da war er aber nicht allein. Der SPD-Außenpolitiker und bekennende „Atlantiker“ Hans-Ulrich Klose meinte, das Abstimmungsverhalten schade dem internationalen Ansehen Deutschlands. Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im Europäischen Parlament, schwafelte etwas von den „Revolutionären“, die es in Libyen zu unterstützen gelte, und gab noch eins darauf: Das schade „sehr“. Sein alter Kumpel Joseph, genannt „Joschka“, Fischer meinte gar, die jetzige deutsche Außenpolitik sei „eine Farce“, frei nach der Devise: „Alles was du kannst (Westerwelle), das kann ich viel besser!“ Die Linke dagegen hat die Enthaltung im Sicherheitsrat begrüßt, kritisiert nur, dass danach „Schadensbegrenzung“ betrieben wird und sich die Bundesregierung nun doch dies und das offenhalten will.
Und was bedeutet das alles? Zumindest so viel: Unter der politischen Klasse Deutschlands herrscht weiter verbreitet Feigheit vor dem Frieden, wenn „Verbündete“ frivol zum Krieg schreiten. Und unter den Phrasen von der „humanitären Intervention“ sind die Grünen und Teile der Sozialdemokraten eher kriegsbegeistert als die Konservativen. Wenn die Rede von Mehrheiten diesseits oder jenseits – je nach Beobachtungspunkt – von Schwarz-Gelb ist, in der Friedensfrage besteht sie zwischen Grünen und großen Teilen der SPD einerseits und der Linken andererseits nicht. Zumindest solange erstere sich nicht ändern.
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