von Hans-Dieter Schütt
Kommunismus ist eine Denkrichtung. Eine. Sie muss, so scheint es, in bestimmten Situationen mit Autorität befestigt werden, die ihr teilweise abhanden kam – aufgrund der Erfahrungen von Millionen Menschen mit kommunistisch grundierten Herrschaftsformen im 20. Jahrhundert. Für just diese Autoritätsstärkung wird in jüngster Zeit wieder häufig ein wahres Kraftwerk argumentativer Aufhilfe angezapft: Thomas Mann. Wo sich bei der Debatte um die K.-Frage gegenkommunistisches Denken aufwirft, da wird im Attackenschwung des Widerparts gern der weltbekannte Erzähler zitiert: „Der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche.“ Spätestens seit Gesine Lötzschs Kommunismus-Text Anfang des Jahres ist Manns Äußerung auch in Beiträgen und Leserbriefen dieser Zeitung ein hochkonjunkturelles Leihwort. Es reizt daher, Ansichten Thomas Manns zum Kommunismus zu betrachten. Ist er zitierbar, ohne den Eindruck zu erwecken, er würde benutzt? Ist seine Verve gegen Antikommunismus automatisch Bejahung dessen, was unter kommunistischer Flagge bislang geschah? Oder Zukunft sei?
Am 13. Oktober 1943 hielt er in der Library of Congress Washington unter dem Titel „The War and the Future“ (Der Krieg und die Zukunft) einen Vortrag. Erstmals in deutscher Sprache erschien dieser Text 1944 in Deutsche Blätter, Santiago de Chile, Heft 7. Darin heißt es: „Gemeinschaft, Kommunität, da haben Sie das Stammwort der Schreckensvokabel ´Kommunismus´, mit der Hitler seine Eroberungen gemacht hat. Ich habe gar keinen Zweifel, daß Welt und Menschenleben sich nolens volens und unaufhaltsam in eine Lebensform hineinbewegen, für die das Epitheton ´kommunistisch´ noch das zutreffendste ist, das heißt in eine Lebensform der Gemeinsamkeit, der gegenseitigen Abhängigkeit und Verantwortlichkeit, des gemeinsamen Anrechtes auf den Genuß der Güter dieser Erde, einfach infolge des Zusammenwachsens des Erdraums, der technischen Verkleinerung und Intimisierung der Welt, in der alle Heimatrecht haben und deren Verwaltung alle angeht.“
Und weiter, als Verweis darauf, dass für ihn Kommunismus freilich nicht nur eine prächtige, schuldfreie Vision ist, sondern dieser Begriff für ihn auch über einer massiv versuchten Praxis steht: „Der Kommunismus ist ein scharf umschriebenes, politisch-ökonomisches Programm, gegründet auf der Diktatur einer Klasse, des Proletariats, geboren aus dem historischen Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts, und in dieser Form stark zeitgebunden. Er ist aber als Vision zugleich viel älter und enthält auch wieder Elemente, die erst einer Zukunftswelt angehören.“
Älter als das Denk- und Tatwerk der Kommunisten sei Kommunismus also deshalb, weil bereits religiöse Volksbewegungen des ausgehenden Mittelalters einen endschicksalhaft-kommunistischen Charakter hätten, „schon damals sollten Erde, Wasser, Luft, das Wild, die Fische und Vögel allen gemeinsam gehören, auch die Herren sollten um das tägliche Brot arbeiten, und alle Lasten und Steuern sollten aufgehoben sein. So ist der Kommunismus älter als Marx und das 19. Jahrhundert“.
Der Schriftsteller beschwört die Regierenden der kapitalistischen Welt, „wirklich eine neuere, freiere, gerechtere Welt, die soziale Demokratie, zu wollen“, sonst würden sich die Menschen „der Macht des Ostens zuwenden, in deren Sozialismus die Idee bürgerlicher Freiheit keine Stätte mehr hat“. Mann macht klar, dass er „in einem Sozialismus, in dem die Idee der Gleichheit die der Freiheit vollkommen überwiegt“, wahrlich nicht das menschliche Ideal erblicke, „und ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche“.
Mann will nicht den Kommunismus des Marxschen Manifestes und der Leninschen Kaderpartei, er will wohl kaum das, was unter der Bezeichnung der kommunistischen Weltbewegung als Gesellschaftsmodell das 20. Jahrhundert mitbestimmte und damit den rein utopischen Begriff „Kommunismus“ mit Praxis füllte (auch kontaminierte?). Das „Wort Kommunismus“ enthält für ihn weit mehr als das, was mit der marxistisch-leninistischen Avantgarde die Weltbühne betrat. Er verteidigt ein ganz anderes Staatswesen – das des Citoyens, darin Freiheit nicht weniger gilt als das soziale Menschenrecht. Antikommunistische Hysterie aber, so der Autor, radikalisiere den bürgerlichen Staat, führe demnach automatisch zu Verengungen von Freiheit und Demokratie. Solche „Angst vor dem Kommunismus“ habe Hitler erfolgreich als Bewusstseinsvorlage nutzen können.
Die Bürgergesellschaft, wolle sie nicht erneut in die Nähe dieses Hitlerwahns rücken, dürfe sich also solchen gnadenlosen Antikommunismus nie wieder leisten. In den antikommunistischen Umtrieben der McCarthy-Zeit in den USA sah er übrigens ein Aufleben dieser törichten Angst und also eine erneute Gefährdung des Bürger-Tums. Besonders beschäftigte ihn der Fall des aus den USA hinausbefohlenen Hanns Eisler – Zeichen der „Fascisierung des Landes“ und bald wohl auch der neuerlichen „Fascisierung der Demokratien“. Manns Resignation: „Die Gegenstellung zu Rußland scheint zwangsläufig zum Fascismus zu führen.“ Als sei dieser Radikalismus die einzig hilfreiche Antwort auf roten Radikalismus. Aber Widerstand gegen diesen Reaktions-Automatismus, also offenen Protest gegen McCarthy lehnt er jedoch ab, „da ich mich trotz citicenship als Gast empfinde u. als unzugehörig“.
Er sagt im Vortrag von 1943 auch etwas zur Zukunft. Er sagt nicht, dem Kommunismus gehöre die Zukunft, er sagt: „Der Zukunft aber gehört er an insofern, als die Welt, die nach uns kommt… und die langsam ihre Umrisse zu enthüllen beginnt, schwerlich ohne kommunistische Züge vorzustellen ist: das heißt, ohne die Grundidee des gemeinsamen Besitz- und Genußrechtes an den Gütern der Erde, ohne fortschreitende Einebnung der Klassenunterschiede, ohne das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit für alle.“
Es ist ein Unterschied, ob man sagt, die Zukunft gehöre dem Kommunismus, oder ob eine Gesellschaft erträumt wird, welche auch das Communitäre beinhaltet. Alles, nur nicht: Kommunismus als Macht- und staatsbestimmende Gesinnungsfrage!
Nach dem Zweiten Weltkrieg befürwortet Mann eine konstruktive Haltung zum Osten. „Der Kommunismus, widerwärtig in seinen Mitteln, heute wohl die einzige konstruktive Kraft“ (13. Dezember 1948). Dies ist kaum zu deuten als Verbundenheitsadresse an kommunistische Machtergreifer; aber es kennzeichnet Neugier auf das veränderte Partnerschaftsgefüge nach dem Elend des überstandenen Nazismus. Und es ist Anerkennung eines radikalen Bruchs der Kommunisten mit faschistischem Ungeist. Freilich: 1948 lehnt Mann zwei Einladungen in den Osten Deutschlands ab – 1949, im Goethejahr, nimmt er zwei Einladungen an. Ausgleichslist.
Letztes Wort von Thomas Mann zum Thema, 1951 in einem Brief an Walter Ulbricht: eine Bitte um Freilassung politischer Häftlinge in der DDR (ein Brief, 1992 gefunden in den Beständen des einstigen Instituts für Marxismus-Leninismus). Mann schreibt: „Der Kommunismus hat – das ist die Wahrheit – mit dem Faschismus die totalitäre Staatsidee gemeinsam, aber er will doch wahrhaben, und wir möchten es mit ihm wahrhaben, daß sein Totalitarismus sich von dem faschistischen himmelweit unterscheidet, einen ganz anderen ideologischen Hintergrund, ganz andere Beziehungen zum Menschheitsgedanken hat, und darum sollte er Sorge tragen, jede Möglichkeit der Gleichsetzung und geflissentlichen Verwechslung auszuschließen.“ Er sollte, „so lange nach vollendeter Revolution Kruditäten und formlose Grausamkeiten meiden“.
Thomas Mann und seine Gedanken zum Kommunismus – lassen sie nicht in gewisser Weise an Heiner Müller denken? Nichts leichter, als von dem Plädoyers für die DDR zu finden, und so geistreich wie erquickend polemisch seine Würfe gegen das „Komsumentenghetto“ BRD. Solches zu lesen, das kann gut tun, wenn man Wut gegen Geschichtssieger munitionieren will. Aber wahr ist alles Antiwestliche von Müller nur, wenn man das Grundsätzliche seiner Situation mitdenkt: Verbote im Osten, Attacken der SED gegen ihn. Nahrung für gründlichen Spott des Dichters wider die „kommunistischen Staatsverwalter“ – aus seinem Hohn auf westlichen Antikommunismus ist im Kurzschluss keine Befürwortung der kommunistischen Doktrinierung im Osten zu keltern. Müller verteidigte nicht den realen Sozialismus, man kann ihn also nicht für romantisierendes Verweilen im Gestern heranziehen; er trauerte höchstens dem Material seiner lohend kalten Geschichtsstücke nach, die er Tragödien zu nennen sich weigerte. „Ich habe über den Staat gelacht, aber ihn benutzt – weil er mir alle Möglichkeiten gab, Revolution für eine blutige Komödie zu halten. Komödie, weil die Revolutionäre, in ihrer ungelenken Praxis, mitunter wie Vollstrecker des Gegners waren.“
1949 schrieb Thomas Mann „J’accuse“, er warnt vor der starken sozialen Kraft des Kader-Kommunismus im Osten, und prophezeit Politikern des Westens: „Solange die bürgerliche Welt der kommunistischen Verheißung nichts anderes entgegenzustellen hat als das Ideal des Profits und free enterprise in möglichst vielen Ländern, solange wird es schlecht um unsere Aussichten stehen, den Kommunismus aus der Welt zu schaffen.“ Europa würde erst sozialistisch sein, „sobald es frei ist“. Sozialdemokrat Willy Brandt wird später vom „demokratischen Sozialismus“ sprechen.
Begriffe, Bedeutungen, Benutzer. Ein Verstrickungsfeld. Gebrauchen, missbrauchen: hauchdünne Grenzen. Jeder politische Eigennutz reißt diese Grenzen gern nieder. Sehr lebendige Grundtorheit.
Erstveröffentlichung im ND. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des Autors.
Schlagwörter: Gesine Lötzsch, Hans-Dieter Schütt, Heiner Müller, Kommunismus, Thomas Mann, Walter Ulbricht