13. Jahrgang | Nummer 20 | 11. Oktober 2010

BEMERKUNGEN

Terrorimport, nein danke!

Gerade meinen die USA mit Verweis auf geheimdienstliche Quellen (was mitunter auch als „Haben wir uns gerade ausgedacht“ gelesen werden kann) Terrorwarnungen für Europa aussprechen zu müssen. Sicher wollen sie ihre Verbündeten in Afghanistan bei der Stange halten, nachdem gerade die Versorgungslinien der NATO-Truppen in Pakistan unter Feuer geraten sind und sprechen nun von Anschlägen in Europa, unter anderem auch in Deutschland. Dabei brauchen wir, und das soll durchaus nicht fremdenfeindlich klingen, keine ausländischen Terroristen. Wir haben zur Gesundheitsgefährdung und Dezimierung der Bevölkerung ganz eigenes Personal und spezielle Szenarien entwickelt. Diese heißen unter anderem „Oktoberfest“, „Auflösung einer genehmigten Demonstration“, „Autobahn“ oder, und das ist wirklich Hardcore, „Loveparade“.

Klaus-Dieter Swami

Boshafter Twain

In den vergangenen Monaten wurde Mark Twain in der einschlägigen Presse gebührend gewürdigt, sein 100. Todestag stand im Kalender. Verschiedene Lohnschreiber würdigten ihn mit unverbindlichen Worten und erwähnten dabei gerne seine berühmten Werke „Tom Sawyers Abenteuer“, „Huckleberry Finns Abenteuer“ und „Ein Yankee aus Conecticut an König Arthus‘ Hof“. Jeder Alphabet sollte diese gelesen haben, wurde gemahnt. Allerdings konnte in dieser Zeit kein Buch von ihm in die albernen Bestenlisten einsteigen, Cocolia Abera, Michael Mittermeier und Tommy Jaud sind leider immer noch wichtiger. Ein dünnes, recht unscheinbares Buch fand überhaupt keine Erwähnung, was ich hier nun nachholen möchte: Beim Insel Verlag veröffentlichte Günter Stolzenberger in der Reihe „…für Boshafte“ eine Zusammenstellung ungehöriger und ungehobelter, eben: boshafter, Sätze des amerikanischen Schriftstellers. Was man sonst in seinen Büchern überliest, da der Handlungsstrang wichtiger ist und viele wegen der Spannung das glückliche Ende herbei sehnen, ist hier ordentlich aufgelistet und erfasst. Twain sagte viele Dinge, die bis heute zutreffen und an manchem Stammtisch die Runde machen, ganz ohne den Urheber zu erwähnen. Neulich dröhnte folgender Spruch aus einem Menschen, der einmal die Wahrheit sagen wollte: „Politiker und Idioten sind dasselbe“. Herr Twain setzte diesen kleinen, sehr prägnanten Satz bereits in seinem Buch „Briefe von der Erde“ ein. Es wird in dem Bändchen oft sehr lustig und ich musste herzhaft lachen, da einige Wahrheiten sehr direkt sind und bestimmte Situationen kurz und bündig beschreiben. Einige Beispiele sollen auch den Leser erfreuen: „Es ist Gottes Wille, dass es Kritiker, Missionare, Kongressabgeordnete und Humoristen gibt, und wir müssen’s ertragen“. Mit Blick auf den Papst: „…wer mit Mönchen behaftet ist, dem machen andere Seuchen auch nichts mehr aus“. Schließlich noch ein kriegerischen Wort: „Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat. Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt.“

Thomas Behlert

Die Kraniche der deutschen Einheit

Dieses Jahr wollten wir uns die herbstliche Zwischenrast der Kraniche auf ihrem Weg nach Süden beim havelländischen Dörfchen Linum nicht entgehen lassen. Daher hatten wir uns beim Naturschutzzentrum „Storchenschmiede“ des NABU in Linum telefonisch für eine Führung in die Teichlandschaft um das Dorf angemeldet, wo Kraniche und Wildgänse ihre Rast- und Schlafplätze haben. Dass die Tour dann just auf den 3. Oktober fiel, wurde uns so richtig erst bewusst, als wir schon unterwegs waren.

Schon als wir uns kurz nach 16 Uhr von der Autobahnabfahrt Kremmen über Land Linum näherten, waren auf den abgeernteten Feldern die ersten grauen Grazien zu erkennen. Über Linum selbst waren am Himmel bereits keilförmige Formationen der eleganten Flieger zu sehen, und die Luft war erfüllt von ihren markanten Rufen. Zu beobachten sind die Kraniche nur morgens, wenn sie ihre Wasserbetten verlassen – sie schlafen stehend im Flachwasser der Teiche – und am späteren Nachmittag sowie in der Abenddämmerung, wenn sie von ihren Futterplätzen zurückkehren. Am 3. Oktober waren nach Auskunft des NABU erst 27.000 Kraniche vor Ort. Bis etwa 20. Oktober wird ihre Zahl auf bis zu 80.000 anwachsen, aber es war schon jetzt ein beeindruckendes Naturschauspiel.

Und warum „Kraniche der deutschen Einheit“? Nein, nicht weil wir sie am Tag der Einheit besuchten. Die Voraussetzungen für ihre große Zahl entstanden in der DDR, als Anfang der 60er Jahre die Feuchtwiesen um Linum sich als ungeeignet für schwere Landmaschinentechnik erwiesen. Daher wurde die dortige künstliche, zur Fischzucht genutzte Teichlandschaft aus dem 19. Jahrhundert auf heute 240 Hektar großzügig ausgeweitet. Trotzdem galten zu DDR-Zeiten schon 1.000 bis 1.500 rastende Kraniche als ornithologische Sensation. Für mehr Tiere langte das Futterdargebot in der Region seinerzeit nicht. Erst der nach 1990 außerordentlich verstärkte Maisanbau änderte das und ließ die Kranichzahlen anwachsen. Die abgeernteten Felder liefern nun hinreichend Kraftfutter, und die Bauern sehen’s nach anfänglicher Skepsis gern. Zwar liegt bäuerlichem Denken die Erwägung näher, Überreste der Maisernte als Naturdünger unterzupflügen, aber das käme einer Einladung zum Fressen an Wildschweine gleich. Die finden mit ihren feinen Nasen nämlich auch noch das letzte Maiskorn im Boden, und wo die dabei einen Acker aufgraben, da war die vorherige Aussaat für die Katz’.

Alfons Markuske

Multitalent

Auf der Homepage der FAZ wird derzeit ein Service angeboten, der jedem Alphabeten das Herz höher schlagen lässt. Ein junger Informatiker hat einen Algorithmus entwickelt, über den man nach Eingabe eigener Texte seine stilistische Verwandtschaft zu den Großen der Literatur ermitteln kann. Nachdem ich diesem verlockenden Angebot mit vier Feuilletonbeiträgen von mir gefolgt bin, weiß ich nun: Ich schreibe wie Peter Handke, Hermann Hesse, Sigmund Freund und Franz Kafka. Letzteres habe ich übrigens mit Kurt Tucholsky gemein – auch der schreibt wie Kafka.

Helge Jürgs

Politkauderwelsch

„Für diese Anlagen kann man das relativ umgehend machen“, bemerkte der Grünen-Landtagsabgeordnete Stefan Z. jüngst in einer Plenarrede über die Berliner Kleingärten. Ja was denn nun? Umgehend oder nicht umgehend, das war hier die Frage. Über eine ähnliche verbale Floskel stolperte seinerzeit schon der wegen eben dieser in die Geschichte eingegangene Genosse Schabowski mit seiner berühmten „Sofort-und-unverzüglich“-Erklärung. Hätte er „relativ unverzüglich“ gesagt, wäre die Sache mit dem Mauer-Fall wohl anders gelaufen. Beschwören Politiker das Relative eines Vorganges weiß das Volk, dass die „angedachte Maßnahme“ (wieder solch eine verräterische Floskel) frühestens an einem 30. Februar stattfinden wird. Überhaupt scheinen ökologische Themen sprachliche Unverbindlichkeiten und Plattheiten zu provozieren. Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Aufgefordert Künftiges in Sachen Müllentsorgung zu konzipieren, sprach der SPD-Abgeordnete Daniel B. von „rückwirkenden Wirkungen“ und hinterließ eine ratlose Hörergemeinde. Wahrscheinlich meinte er das nachträgliche Abkassieren nicht erbrachter Leistungen durch den Fiskus. Aber so genau weiß das keiner, wohl noch nicht einmal er selbst. Das Problem sei eben problembehaftet, brachte der CDU-Mann Carsten W. eine ähnliche Gemengelage einst zielgenau auf den Punkt der Null-Aussage.

Über solch Gebahren verwunderte sich schon Joseph Roth anlässlich der Reichstagseröffnung im Mai 1924 in der „Frankfurter Zeitung“: „Der Unpolitische kann nicht begreifen, weshalb von allen Berufsmenschen der Welt gerade der deutsche Politiker eine unbändige Sucht hat, sich selbst lächerlich zu machen; ehe er noch mit seiner Politik, welche genug Gefahren der Lächerlichkeit in sich birgt, begonnen hat.“ Aber wenn die Dunkelheit am größten sei das Licht am nächsten, behauptet der Volksmund. Der Grünen-Politiker Jochen E. drückte das dieser Tage anders aus: „Es gibt immer wieder eine neue Premiere.“ Das lässt hoffen. Neue Premieren sind immer besser als alte.

Günter Hayn

O-Töne

Das ist keine Koalition, sondern manchmal eine schlagende Verbindung.

Philipp Rösler, Bundesgesundheitsminister (FDP)

Politik: Vom verkommenen Teil unserer kriminellen Schichten bevorzugter Lebensunterhalt.

Ambrose Bierce

Jegliche Ostalgie befeuert Dämonisierung und jegliche Dämonisierung die Ostalgie.

Friedrich Schorlemmer

Ich hatte stets das Gefühl, dass die DDR trotz aller Idiotien und Bösartigkeiten gegen kritische Geister doch etwas wert war. Ich wog ab und stellte für mich fest, dass die Hoffnungen ein größeres Gewicht hatten als die Übel. Für mich!

Ursula Karusseit, Schauspielerin

Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.

Kurt Tucholsky

Meine Frau, die sehr zu mir hält, sagt zwar manchmal: Mensch, musste das sein. Aber es musste.

Thilo Sarrazin, Ex-Vorstand der Bundesbank

Als Triebtäter bezeichnet man eine Person, die aufgrund eines „psychischen Defektes“ einen Trieb (ein Verlangen) nicht normal steuern kann und durch das zwanghafte Ausüben einer triebbefriedigenden Handlung sich und/oder seiner Umwelt Schaden zufügt.

Wikipedia

Das ist so, als wenn Sie einen Lastwagen voller Bargeld verbrennen.

Otto Schily, Ex-Bundesinnenminister (SPD), über die Abschaltung von steuerlich abgeschriebenen Kernkraftwerken