13. Jahrgang | Nummer 17 | 30. August 2010

Kirchenmäuse

von Alfons Markuske

Sind Sie vielleicht auch Atheist? Das soll ja – und keineswegs nur in den jungen Bundesländern – gar nicht so selten vorkommen. Und wissen Sie eigentlich, dass Sie trotzdem Kirchensteuern zahlen, auch wenn die offiziell nicht so heißen? Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie hier mal weiter.

Auf fast 460 Millionen Euro werden sich in diesem Jahr die Beträge – so genannte Dotationen – summieren, die staatlicherseits, aus allgemeinen Steuermitteln, den beiden großen christlichen Amtskirchen überwiesen werden. In ähnlicher Höhe bewegen sich diese Überweisungen alljährlich. Darin auch nicht eingeschlossen sind die vom Staat für die Kirchen eingetriebenen eigentlichen Kirchensteuern. Darin nicht eingeschlossen sind die Milliarden-Beträge, die jährlich an karitative Einrichtungen der Kirchen gehen. Und ebenfalls nicht darin eingeschlossen sind weitere Millionenbeträge, die jedes Jahr für Erhalt und Restauration kirchlicher Bauten aufgewendet werden. Von den genannten 460 Millionen werden unter anderem die Gehälter der kirchlichen Würdenträger vom Pfarrer über den Bischof (monatliches Grundgehalt ab etwa 8.000 Euro) bis zum Kardinal (12.000 Euro) bezahlt. Im Übrigen werden diese Beträge, die aus dem Bundeshaushalt sowie aus den Landes- und kommunalen Haushalten fließen, den Kirchen ohne jegliche Zweckbindung zur Verfügung gestellt.

Der üppige finanzielle Segen macht manche pompöse Arabeske möglich, ohne die es anderenfalls vielleicht auch gehen würde. So ließ der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch im dortigen Münster den Altarraum komplett umgestalten. Die Kosten dafür, einen neuen Bischofsstuhl aus rotem Granit inbegriffen: 450.000 Euro. Aber auch für besonders verdiente Kirchenkader kann angemessen gesorgt werden. So wurde dem Passauer Bischof Wilhelm Schraml eine 280 Quadratmeter große Wohnung in einem Palais in Altötting als Altersresidenz hergerichtet. Der Namensgeber für einen derartigen Lebenensstil war nicht etwa Jesus von Nazareth, sondern der vorchristliche lydische König Krösus. Kritik an seinem Ausgabenverhalten apostrophierte der Bischof gleichwohl als „infam bis in die Knochen“ und zeterte überdies: „Daß man nicht akzeptiert, daß man vernünftig und ruhig leben möchte, widert mich an.“ Wenn man zu den zig-Tausenden von Obdachlosen in Deutschland gehört, dann wird man den Passauer Bischof sicher besonders gut verstehen.

Gewährt werden die staatlichen Dotationen an die Kirchen übrigens bereits seit rund 200 Jahren. Sie gehen – auch wenn manche kirchlichen Fachleute selbst Enteignungen von Kirchenbesitzung während der Reformation zur Rechtfertigung anführen – im Wesentlichen zurück auf die Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals war es im Gefolge der napoleonischen Besetzung deutscher Lande zu umfangreichen Enteignungen von Kirchenbesitz gekommen. Dafür wurden den Kirchen später, nach Abschluß der Befreiungskriege, Entschädigungen gewährt – und zwar auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen. Die haben seither jede Zeitenwende und jeden Regimewechsel unangetastet überdauert und blieben auch nach Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 in Kraft. Daß die DDR sich allerdings nicht daran gebunden fühlte, liegt auf der Hand. Aber nach dem Vollzug der staatlichen deutschen Einheit wurden in den neuen Bundesländern auch in dieser Hinsicht die alten Zustände wiederhergestellt. Im Jahre 2009 kostete dies das finanzschwache Sachsen-Anhalt 23 Millionen Euro allein an Dotationen und die östlichen Bundesländer zusammen insgesamt 93 Millionen Euro.

À la long dürfte die Säkularisierung nicht nur das beste Geschäft sein, daß die katholische und die evangelische Kirche je gemacht haben, es dürfte wohl auch eines der besten der gesamten Menschheitsgeschichte sein.

Immer mal wieder – und besonders gern in Zeiten knapper Kassen, so auch jetzt, – melden sich einzelne Stimmen im bürgerlichen politischen Establishment, die zwar meist nicht meinen, nun sei es grundsätzlich endlich mal genug mit den Entschädigungen, aber doch, daß Kürzungen der Dotationen zugunsten der Sanierung der Staatsfinanzen gerechtfertigt seien. Um 10 bis 15 Prozent wollte der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki jüngst die jährlich zwölf Millionen Euro kürzen, die sein armes, verschuldetes Bundesland jedes Jahr berappen muss. Er sah sich schnell einer ganzen Phalanx von Kritikern gegenüber, die politisch bis ins Lager der Grünen und der Sozialdemokraten reichte. Die Kirchen schicken bei solchen Gelegenheiten gern neutrale Fachleute ins Rennen. So ließ der Evangelische Pressedienst (epd) den Staatsrechtler Axel von Camphausen darauf aufmerksam machen, daß einseitige Kürzungen von Dotationen ein Rechtsverstoß wären, denn die Staatskirchenverträge, auf denen sie beruhten, enthielten so genannte Freundschaftsklausel, wonach Korrekturen nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich seien.

Das ist auch durchaus möglich. Allerdings lassen sich die Kirchen im Falle des Falles entsprechende Veränderungen fürstlich honorieren. Als 2003 hessische Kommunen den Kirchen einige Erleichterungen – wie den Verzicht auf die staatliche Instandhaltung der Kirchturmuhr von Kriftel und auf die „Gründonnerstagsfeier“ für den Pfarrer von Ludwigsau – abhandelten, wurde dafür ein Ablaß von 150 Millionen Euro fällig.

Derzeit gibt es keine maßgebliche politische Kraft in der Bundesrepublik, die sich einem Abschneiden dieser verstaubten, zum Teil grotesken alten Zöpfe programmatisch verschrieben hätte. Und so werden halt auch die Atheisten im Lande weiter Kirchensteuern zahlen. Es sei denn, sie lebten in Hamburg oder Bremen. Dort war man bereits Anfang des 19. Jahrhunderts so kirchenfern, daß man sich auf Entschädigungsvereinbarungen erst gar nicht einließ.