13. Jahrgang | Nummer 9 | 10. Mai 2010

BEMERKUNGEN

Soweit sind wir wieder…

Wolfgang Thierse und einige parlamentarische Mitstreiter haben am 1. Mai in Berlin auf das Kerzenhalten gegen Nazis verzichtet und zu einem Mittel gegriffen, das im deutschen Sprachschatz zurückliegender Zeiten mal Zivilcourage hieß. Die Diffamierungen der „Rechtsstaatverteidiger“ aller Couleur waren ihm sicher, mal sehen, ab Thierse tatsächlich auch noch verklagt wird.

Wo wir bei den Angriffen der „Rechtsstaatverteidiger“ mittlerweile schon wieder sind, ist inzwischen im Berliner Abgeordnetenhaus vorgeführt worden. Der „Innenexperte“ der dortigen FDP-Fraktion, Björn Jotzo, hat es fertiggebracht, den Grünen „mangelndes Verfassungsverständnis“ vorzuwerfen, da deren Innenpolitiker Benedikt Lux zu Thierses Kombattanten am 1. Mai gehörte – wie übrigens viele hundert Berliner Nicht-Promis auch.

Rechtsanwalt Jotzo hats bei dieser Feststellung aber nicht belassen sondern hat das Parlament an seinem Expertenwissen vertiefend teilhaben lassen. : „Der Weg, den die Grünen hier eingeschlagen haben, führt letztlich in die Meinungsdiktatur“, hat der junge Mann visioniert. Wer die Freiheit der Andersdenkenden nicht anerkenne, solle „sich überlegen, ob er nicht besser auf der anderen Demo hätte mitmarschieren müssen“. Leider seien „solche Tendenzen bei den Grünen klar zu erkennen“…

Das parteipolitische Prinzip, Wadenbeißer vorzuschicken, um sich von deren Tollwut hernach pikiert zu distanzieren , dann aber mindestens die Hälfte des ausgebrachten Schadstoffes zum zutreffenden Allgemeingut zu erklären, ist schon lange ein probates Kalkül von Ideologen. Man kann es aber auch einfacher sagen: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“ (Hoffmann von Fallersleben).

Helge Jürgs

Otto II. fürAthen!

Es mag Mitte der 90er Jahre gewesen sein, als im Spiegel jemand den Vorschlag unterbreitete, der Dritten Welt dadurch auf die Beine zu helfen, daß die ehemaligen Kolonialmächte wieder die Verantwortung für ihre ehemals einverleibten Territorien übernehmen – mit allen materiellen Konsequenzen natürlich. Ungeachtet der Tatsache, daß diese Idee auf wenig – zumal positiven – Widerhall gestoßen ist, kam sie mir beim Nachdenken über die derzeitige Finanzkrise und dem dabei den Watschenmann gebenden Griechenland dennoch in den Sinn. Selbst wenn der Balkanstaat damit keine deutsche Kolonie war, stand dereinst kein geringerer als ein Bayer dem Lande als König von Griechenland vor. Die Rede ist von Otto I. Jenem Wittelsbacher also, der von 1832 bis 1862 „von Gottes Gnaden“, beziehungsweise denen der den Signatarmächte der jungen griechischen Unabhängigkeit, Großbritannien, Frankreich und Russland, über die Geschicke der Hellenen wachte. Wobei der Sohn Ludwig I. allerlei deutsche Tugenden in die Verfaßtheit Griechenlands eingebracht hat, selbst das bayerische Reinheitsgebot für Bier galt dazumal auf dem Peloponnes und drumherum.

Obwohl allein diese kulturelle Bereicherung für ewigen Nachruhm hätte genügen sollen, mußte Otto Eins schon seinerzeit neben dem Bierrezept eine Menge Geld nach Athen tragen. 60 Millionen französische Franc muten heute lächerlich an, waren damals aber für die besagten Garantiemächte durchaus eine ganze Menge Kohle und für die Rothschildbank als einem der Hauptgläubiger gewiß ein schönes Geschäft.

So ganz gereicht zu blühenden Landschaften am nördlichen Ufer des Mittelmeeres hats damals aber dennoch nicht. Vielleicht hat Otto seinen Untertanen mit seinen Vorstellungen von Urbanistik zuviel zugemutet, als er das ruinierte Athen zur Hauptstadt quasi neu erbauen ließ, wer weiß. Überliefert ist jedenfalls, daß die Griechen irgendwann die Nase voll hatten von ihrem deutschen König und ihn ins Nordalpine zurückjagten.

Dennoch, meine ich, bietet sich eine Neuauflage solcherart blaublütiger Patenschaft heute wieder an; immerhin haben wir jede Menge Staatskunstakteure übrig, da muß man den Alpenrand nicht mal verlassen. Mein Vorschlag wäre Wiesheu. Der hat jede Menge politische und wirtschaftliche CSU-Erfahrungen und sollte als jemand, der derzeit die Deutsche Bahn nur noch „bei Bedarf“ berät, doch Kapazitäten frei haben. Genau solche, wie Griechenland sie – neben einem deutschen König eben – jetzt mindestens genauso braucht wie Euros.

Wiesheu kann das, bin ich sicher. Er kommt schließlich aus den klügeren deutschen Bevölkerungsteilen (Stoiber 2005). Und auf eine Monarchie mehr oder weniger kommt es in Europa auch nicht an. Und einen neuen Otto hätten die Griechen dann auch. Und auf ein weiteres Desaster deutscher Vormundschaftlichkeit käme es in Griechenland seiner derzeitigen Provenience auch nicht mehr an.

Heidi Jülich

Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

„Der Werwolf“,- sprach der gute Mann,
„des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man′s nennt.
den Wenwolf,- damit hat′s ein End′.“

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb′s in großer Schar,
doch ′Wer′ gäb′s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

Christian Morgenstern

Nette Bücher

Wir Deutschen sind merkwürdige Leute. Nicht etwa, daß wir uns ruhig gestehen: auch wir wollen uns einmal ausruhen und leichte Bücher lesen, auch wohl ruhig einmal einen richtigen Quark – das ist kein Mann, der nicht aus vollen Kräften banal sein kann – nein, wenn wirs schon tun, dann lügen wir uns irgend ein Brimborium darum herummer. Es gibt Leute, denen dieser Karl May – mir ist der Bursche immer als Ausbund der Fadheit vorgekommen – lieb und teuer ist. Aber sie sagens nicht. Sie malen ihm eine Glorie an: ihr meint, das sei einfach ein Unterhaltungsschriftsteller für die reifere Jugend gewesen? Gott bewahre, ein Philosoph war das, ein Mann mit den allegorischsten Hintergedanken, ein schwerer, vollbärtiger, sächsischer Denker, weiland zu Radebeul, jetzt in der Unsterblichkeit.

In diesen Blättern wird rechtens dauernd und ausgiebig auf gute Literatur hingewiesen. Ich halte es für kein Zeichen mangelnder Lebenskraft, wenn man auch einmal beherzt und klar sagt: heute, Sonntag nachmittag, habe ich mich auf ein Sofa hingelümmelt und geschmökert. Was? Allerhand. Aber es waren nette Bücher.

Peter Panter, in: Die Weltbühne, Nr. 35/1918

Vom Fluch des Blondseins

Gestern schon wieder. Ich sitze im Borgo Pio, diesem schönen Sträßchen zu Füßen des Vatikan und esse draußen auf der Straße einen Happen zu Mittag. Das Lokal kann ich nur empfehlen, Sie erkennen es daran, daß ein dicker ältererer Mann mit dicker Hornbrille kocht, und eine Frau das Essen serviert, die, um es höflich zu sagen, ihrem Ehemann sehr ähnlich sieht. Hier gehen die Römer zum Mittagessen, keine spendierfreudigen Urlauber. Und deshalb wird das Lokal – meist! – auch von den Straßenmusikanten verschont, die es zu tausenden nach Rom zu ziehen scheint – die Menge der Lieder steigt genauso dramatisch, wie deren Güte nachläßt. Um es noch einmal zu sagen: Viele, die in diesem Lokal sitzen, sind froh einen Ort zu haben, in dem sie ohne Akkordeonmusik essen können. Doch dann komme ich ins Spiel – oder besser gesagt, meine Haare.

Denn ich versaue allen das ruhige Mittagessen, weil ich blond bin. Ich ziehe sämtliche Straßenmusiker Roms an, da ich aussehe, wie ein einfaches Opfer. Wie eine Katze eine Maus schon daran erkennt, daß etwas kleines sehr schnell über den Teppich rast, so erkennen dank meiner Haare tumbe Straßenmusikanten, verschlagene Taxifahrer und gemeine Pizzamacher auf den ersten Blick in mir sofort den Trottel.

Gestern also: Drei Akkordeonspieler gingen durch den Borgo Pio, und schienen zunächst gar nicht das Lokal der dicken, bebrillten Familie zu beachten – sie wissen eben auch, dass es hier nichts zu holen gibt, da hier keine Touristen sitzen. Doch da sahen sie mich und begannen, zu spielen. (Ich weiß nicht, welches Lied, aber es sind sowieso immer die gleichen.) Ich wußte sofort, daß nur ich es war, für den sie spielten. Beschämt aus den Spaghetti aufschauend, sagte ich zu meinen Kollegen „scusate“ und daß es meine Schuld wäre. Die Akkordeonspieler sahen das offenbar genauso: Kaum hatten sie ihre letzten Töne beendet, machten sie sich gar nicht die Mühe, zu den anderen Tischen zu gehen, sondern strebten unmittelbar auf mich zu. Andere Gäste schienen mich auffordernd anzuschauen: „Wenn einer was geben muß, dann Du! Du bist doch blond, wegen Dir haben die doch angefangen, zu spielen.“ Also erfüllte ich meine Pflicht und gab 50 Cent.

Sie können diese Geschichte nehmen und mit 365 multiplizieren, dann wissen Sie ungefähr wie oft mir dies oder ähnliches im Jahr passiert. Und das, obwohl ich mich doch so bemühe, ein Römer zu werden: Ich biege über duchgezogene Linien in Einbahnstraßen ab, ich trinke Espresso, nicht Cappuccino, nach dem Essen, ich versuche, stets zu telefonieren, wenn ich auf die Straße gehe – hilft aber alles nichts. Ich muß wohl meinen Frieden damit machen, dass meine blonden Haare wie ein Magnet alles anziehen, was blond mit „doof, Touri mit viel Geld, leichtes Opfer“ assoziiert.

Alle Freunden und Kollegen kann ich nur herzlich bitten, weiter mit mir essen oder spazieren zu gehen – ich übernehme die Entlohnung aller Straßenhändler und –musikanten und ich zahle gerne die merkwürdigen Zuschläge zum Kaffee und zu Taxifahrten – ich bin schuld, ich bin ja blond.

Martin Zöller

„Weltreporter“ Martin Zöller ist ARD-Korrespondent in Rom und arbeitet zudem für verschiedene deutsche Tageszeitungen

Sevilla, Mai 2007

Der glückliche Stier auf der Weide
wittert den Menschen nur selten,
viel Platz zwischen den Zäunen – nur
die besten wachsen fünf Jahre heran.
Für einen einzigen anderen Tag:
die Fahrt, Warten in der Box, der Gang
aus dem Dunkeln in die Arena, den Lärm.
Wütend stürzen, vorsichtig schreiten sie
heraus. Zum ersten und letzten Tanz
mit dem Menschen. Zwanzig Minuten.
Länger wäre Schande für den Torero.
Der hier kniet vor den Hörnern
und küsst dem Tier die Stirn.
Dann sticht er zu.

Lutz Rathenow

Vorabdruck aus Lutz Rathenow: GELÄCHTER, SORTIERT. NEUE FOLGE. GEDICHTE, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist, geplant für Spätherbst 2010

Gier

Auf dem Sofa, Cents umdrehen, was kaufen, was kochen, aus dem Briefkasten die Rechnungen fischen – ein bißchen Werbung.

Wegschmeißen, behalten, die Wände damit tapezieren? Ein verführerisches Angebot: Tausend Euro im Monat über zehn Jahre. Eine gealterte Lottofee offeriert: Anruf kostenlos. Also die Zahlen frei rubbeln, noch mal den Brief lesen, die abgebildeten Gewinner dürften schwerlich die zehn Jahre ausschöpfen, also anrufen – zehn Jahre voll und ganz ausschöpfen! Eine elektronische Stimme klärt auf, daß die Gespräche zu Trainingszwecken aufgezeichnet werden.

Im Satz bricht die Stimme ab, eine Meldung, wieder elektronisch oder doch ein Mensch, er reagiert auf den Hinweis, daß ich am Gewinnspiel teilnehmen möchte – ein Mensch.

Ich gebe alle Nummern an: „Der Computer überprüft Ihre Zahlen.” Abfrage der Adresse, des Geburtsdatums etc. In monotoner Weise steigert der Mensch seine Betonung, wird vielleicht nur lauter, die Spannung steigt.

Der dramatische Augenblick: „Ihre Zahlen stimmen nicht überein.

Aber ich wünsche Ihnen weiter viel Glück.” Sie sind ja noch jung, können noch viele Renten gewinnen oder gar eine erarbeiten – unter Umständen.

Ich werde weiter geführt zu einem Audi A5, den ich gewinnen, also zu Barem machen könnte. Kostet ja nichts, also Zustimmung.

Die Lottofee kündigte an, daß mich ihr Chef über weitere Produkte aus seinem Haus informieren möchte: Drei Millionen zu gewinnen, wenn ich eine kleine Menge Geldes investiere. Eine Gewinnrate, die jeden Mord dieser Welt rechtfertigt. Dort scheint ein Haken zu existieren, wie kommt der Mann dazu, so buntes Papier zu verschicken und dieses von einer echten Lottofee beschreiben zu lassen? Seine Gewinnrate dürfte mindestens Kleinkriminalität rechtfertigen, also lehne ich ab.

„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!”, wird unterrichtet – Casinolehren.

Ablehnung. Nette Verabschiedung – du kommst wieder.

Mal schauen wann die Lottofee wieder schreibt, meine Adresse hat sie ja jetzt.

Paul

O-Töne

Das Taktieren der Kanzlerin, das lediglich Spekulanten einlädt, die Zinssätze der Hellenen so weit nach oben zu treiben, bis nur noch die Pleite bleibt, offenbart ein unvorstellbares Maß an Verantwortungslosigkeit Euroland gegenüber – und das wegen einer Regionalwahl in NRW!

Robert von Heusinger in der Berliner Zeitung über das Agieren von Angela Merkel im Hinblick auf die Krise der Staatsfinanzen in Griechenland

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Es ist ein für das Gesamtsystem nicht zumutbarer Zustand, wenn die Ausgaben der Deutschen im größten Mitgliedsland seit über zehn Jahren stagnieren. Wer darin eine Tugend sieht, muss sich fragen lassen, wie die deutschen Exporterfolge möglich gewesen wären, wenn sich die anderen Länder ähnlich „tugendhaft“ wie wir verhalten hätten.

Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg und „Wirtschaftsweiser“

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Wie beliebt er war, der in ganz Europa als Nervensäge belächelte Lech Kaczynski. Mit dem wollte doch keine Sau was zu tun haben.

Urban Priol, Kabarettist, über die Trauer-Heuchelei nach dem Unfalltod von Polens Staatspräsident Lech Kaczynski

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Es ist schon bemerkenswert, dass erfahrene Politiker nach allem, was geschehen ist, den Finanzmärkten immer noch unterstellen, sie produzierten rationale und tragfähige Informationen.

Gustav A. Horn in Spiegel-online zur Berufung Merkels auf die Argumente der Finanzmärkte zur Griechenland-Krise

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Das „noble und ethische Motiv“ ist nichts anderes, als „effizientere Wege für die Verbraucher zu finden, sich zu verschulden“

Fabrice Tourre, Vizepräsident von Goldman Sachs, in einer e-mail über seinen Job

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Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Bundesverteidigungsminister, im Kundus-Untersauchungsausschuß des Bundestages auf die Frage, ob er persönlich dem Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet habe, wie das Entlassungsgespräch mit Generalinspekteur Schneiderhahn und Staatssekretär Wichert verlaufen sei. In persönlichen Briefen an beide hatte der Minister „interessierte Kreise“ dafür verantwortlich gemacht.

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Ich höre, daß die Betroffenen selbst nicht zufrieden sind. Wie sollte ich da widersprechen?

Wolfgang Böhmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, auf die Frage, wie zufrieden er mit der Leistung der Bundesregierung sei

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Die Betriebe hier in Deutschland sind Weltklasse, nur wurden die in den vergangenen Jahren von völlig abgedrehten Bankern gar nicht mehr beachtet.

Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München und Gesellschafter der HoWe Wurstwaren in Nürnberg

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Die Deutsche Bank hat deutlich Risiken abgebaut und jetzt das zweitbeste Quartalsergebnis vor Steuern in ihrer Geschichte erzielt.

Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank

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Wenn jeder nur noch Egoist ist, ist die Gesellschaft nicht mehr existenzfähig.

Dietmar Hopp, Mit-Gründer des Software-Konzerns SAP

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Zusammengestellt von Hans-Peter Götz