von Thomas Behlert
Im vergangenen Jahr nahm es überhand, daß sich Zeitungen und Magazine mit mehr als nur mit ihrer regelmäßigen Ausgabe beschäftigten. Da wurden den Lesern die angeblich besten Bücher um die Ohren gehauen, dann gleich die sehenswertesten DVDs, schönsten Comics und schließlich die lautesten Klassikstücke. Wer noch Gehirn besaß, der ließ sich davon nicht beeinflussen lebt bis heute seinen ganz persönlichen Geschmack aus. Nun wurde allerdings vom Suhrkamp-Verlag eine Serie eröffnet, die das Geld verdienen in den Hintergrund stellt und zur Pflicht für Liebhaber außergewöhnlicher Filmkunst werden sollte. Unter der Rubrik „Filmedition Suhrkamp“ will der Verlag der filmbegeisterten Menschheit viele Filme und Dokumentationen ihrer Autoren präsentieren, die ansonsten im Nirwana verschwunden wären. Drei Filme picke ich heraus, die auch Blättchen-Leser interessieren müßten.
Bertolt Brecht wußte schon früh, daß man mit dem neuen Medium Film arbeiten muß. So schrieb er 1931 im „Der Dreigroschenprozeß“: „Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender“. So war es nur eine Frage der Zeit, bis Brecht sich daran machte, ein eigenes Projekt zu starten. Gemeinsam mit Slatan Dudow, Ernst Ottwalt und Hanns Eisler produzierte er „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“. 80 Minuten lang wird einfühlsam das Leben der Arbeiterfamilie Bönike beschrieben, die zur Zeit der Weltwirtschaftskrise aus ihrer Wohnung vertrieben wird und in die Gartenkolonie „Kuhle Wampe“ zieht. Dieser Meilenstein des politischen Kinos hat bis heute nichts an seiner Aktualität verloren. Wer genau hinsieht, kann noch Ähnlichkeiten zu jetzigem Deutschland finden: Arbeitslosigkeit, Rassismus, linke Positionen.
Filmkenner sehen, daß sich Brecht und Dudow auf die Montagetechnik von Sergej Eisenstein orientierten, die dieser in den 1920er Jahren entwickelt hatte. Sergej Eisenstein selbst setzte man mit „Nachrichten aus der ideologischen Antike“ ein Denkmal. Der größte Wunsch des sowjetischen Filmpioniers war es, den monumentalen Band „Das Kapital“ von Karl Marx zu verfilmen. Bereits 1929 traf er sich mit James Joyce, dessen „Ulysses“ wollte er zu Grunde legen und das Hauptwerk von Marx auf einen einzigen Arbeiternachmittag verdichten. Der kurz vorher erblindete Eisenstein, der mit „Panzerkreuzer Potemkin“ den Film revolutionierte, konnte sein Vorhaben nicht in die Tat umsetzen, es fehlte das Geld. Nach achtzig Jahren hat nun Alexander Kluge das Projekt vollendet. Auf drei DVDs widmet er sich der Eisenstein-Idee, geht auf das Verhältnis von Menschen und Dingen ein und stellt die Tauschgesellschaft filmisch dar. Leider wurde auf den aktuellen Gehalt des „Kapitals“ kaum eingegangen. Kluge erkannte aber, daß das großartige Buch von Karl Marx ein ästhetisches und kulturelles Phänomen ist. Die knapp zehn Stunden, die alles beinhalten, was ein guter Film haben muß: Witz, assoziative Gedanken, Scharfsinn und Intelligenz, werden durch wichtige Interviews mit Peter Sloterdijk, Oskar Negt und Dietmar Dath abgerundet. Immer wieder zu sehen ist Helge Schneider: einmal als Sprengmeister im Ersten Weltkrieg, als Filmkomponist, Hartz-IV-Empfänger und natürlich als Karl Marx. Mit Größenwahn hat das aber nichts zu tun, man sieht einfach eine tolle schauspielerische Leistung. Der dritte empfehlenswerte Film ist der DDR-Streifen „Der geteilte Himmel“ von Konrad Wolf. 1964 gedreht, erzählt Wolf mit einfühlsamen und aufrüttelnden Bildern die Geschichte der Studentin Rita, deren Freund Manfred die DDR verrät und sich nach Westberlin absetzt. Der Film ist kritisch, spannend und nie überladen, obwohl der Regisseur mit vielen kunstvollen Filmelementen arbeitet und alles in Rückblenden packt. Interviews mit Christa und Gerhard Wolf vervollständigen die DVD.
Brecht, Dudow, Eisler, Ottwalt: Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?, ca. 19,90 Euro; Kluge, Nachrichten aus der ideologischen Antike (Marx – Eisenstein – Das Kapitel), ca. 29,90 Euro; Wolf, Der geteilte Himmel (FSK 16), ca.29,90 Euro; alle: Filmedition Suhrkamp
Schlagwörter: Alexander Kluge, Bertolt Brecht, Kapital, Karl Marx, Konrad Wolf, Sergej Eisenstein, Thomas Behlert