27. Jahrgang | Nummer 20 | 23. September 2024

AfD, BSW und die Umwelt

von Stephan Wohanka

Den Verfall des breit verstandenen Mensch-Naturverhältnisses – Stichworte: Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Devastierung natürlicher Räume, Verschmutzung der Medien Boden, Luft, Wasser – halte ich nach wie vor für das gravierendste und dringendste Problem, vor dem nicht nur unser Land, sondern der ganze Globus steht.

Bei den jüngsten Landtagswahlen erhielten AfD und BSW rund 50 Prozent der Wählerstimmen. Das sind zwei politische Kräfte, die den „etablierten“ Parteien erhebliche politische Schwierigkeiten bereiten. Wie mit den „Neuen“ umgehen? Demokratietheoretische Debatten bestimmen den öffentlichen Diskurs – kann man mit denen; und wenn ja, wie? Oder besser nicht, was dann? Umweltpolitische Dispute gibt es vor dem Hintergrund obiger Wahlen jedoch kaum.

Mit dem Erstarken populistischer Parteien in westlichen Demokratien steht namentlich die Bekämpfung des Klimawandels wieder zur Disposition. Godfather aller Klimawandel-Leugner ist Donald Trump, der 2012 die Klimakrise für eine Erfindung der Chinesen hielt mit der Absicht, die Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen Wirtschaft zu unterminieren. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Präsident war der Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen der UNO, das 2015 von 195 Staaten zur Festschreibung des 2-Grad-Ziels unterzeichnet worden war. Der Ausstieg würde unfaire und negative Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt der USA abwenden; ähnliche Argumente waren auch anderswo zu hören.

Extreme Wetterereignisse, lange Dürreperioden und Waldbrände, Starkregen sowie immer wieder Temperaturrekorde; wer 2024 den Klimawandel noch immer leugnet, macht sich lächerlich. Das hat auch die AfD begriffen. Vor kurzem behauptete sie noch, dass sich das Klima überhaupt nicht verändere, mittlerweile ist die Partei beim „Klimarealismus“ angekommen: Veränderung gäbe es, Menschen hätten aber quasi keinen Einfluss darauf, heißt es.

Ein Paradebeispiel für die Schnittstelle zwischen Rechts und Umwelt ist der Politiker Jörg Urban. Der Landesvorsitzender der AfD Sachsen und dort Mitglied im Ausschuss unter anderem für Klimaschutz und Umwelt kommt ursprünglich von der Grünen Liga Sachsen, einem noch in der DDR gegründeten Umweltverband. „In der AfD kann ich mehr bewirken als bei der Grünen Liga. […] Schon in der Grünen Liga habe ich mich mit der Naturzerstörung durch ‚erneuerbare Energien’ beschäftigt und mit der fehlenden direkten Demokratie“, erklärt er seinen Wechsel. Und weiter: „Wir stehen auf der Seite des Umweltschutzes und lehnen z.B. die Zerstörung von Wäldern für die Errichtung von Windrädern ab. Auch artenarme Monokulturen für Bio-Kraftstoffe gefallen uns nicht“. Urban steht so prototypisch für die, die Umweltschutz als (regionalen) Heimatschutz begreifen und nicht als Teil, sondern als Gegensatz zu einem nach (globalen) Lösungen suchenden Klimaschutz. Dieses Credo korrespondiert direkt mit dem rechten Weltbild einer organisch gewachsenen, „natürlichen“ Gesellschaft. So versuchen die AfD und rechte Gruppen, Umweltthemen mit der Migration zu verknüpfen. Auf T-Shirts ist zu lesen: „Bäume haben Wurzeln, Menschen auch“. „Einwanderung“ ist so „als unökologisch zu interpretieren“, erklärt die Jenenser Politikwissenschaftlerin Janine Patz.

Die AfD-Politik besteht neben völkischen Ansätzen mit dem Ziel, „ökologischen, grünen Klimaschutz und progressive Politik als volksschädliche Ideologie diffamieren“, auch aus handfestem politischen Agieren. In einem Antrag von AfD-Abgeordneten vom 19. September .2023 an den Bundestag ist zu lesen: „Freiheit statt Ideologie – Aufkündigung aller internationalen Klimavereinbarungen“ und „‚Klimaschutz‘ ist ein politischer Kampfbegriff, das Klima lässt sich nicht ‚schützen‘, der menschliche Einfluss auf das Klima ist umstritten“. Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle internationalen Abkommen und Vereinbarungen, aus denen sich für die Bundesrepublik Verpflichtungen mit Bezug auf den „Klimaschutz“ oder die Reduzierung von CO2-Emissionen ergeben, schnellstmöglich und ersatzlos zu beenden und hierzu keine Verpflichtungen mehr einzugehen. Alle Ausgaben aus dem  Bundeshaushalt mit vielfältigen nationalen und internationalen Bezügen zum Klimaschutz sollten vertragskonform, unverzüglich und ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen seien Maßnahmen zu treffen, sich an den Klimawandel anzupassen. Solche Maßnahmen seien „nicht nur erheblich wirksamer – ergo zielführender – sondern auch mit substanziell weniger Aufwand verbunden“. Ein vernünftiges Vorhaben – die AfD übersieht seine Grenzen! Je stärker der Klimawandel, desto teurer die Anpassungsmaßnahmen. Ersterer entwickelt sich nicht linear, sondern führt beim Überschreiten von Schwellenwerten in einen Zustand irreversibler Prozesse im gesamten Ökosystem. Anpassung an den Klimawandel gegen seine aktive Bekämpfung zu setzen, ist Unfug.

Auch der AfD ideell nahestehende Kräfte wie die neonazistische Partei Der Dritte Weg geht es um den Erhalt der Heimat und den Schutz der Wälder und so ist sie – konsequenterweise – gegen die weitere Braunkohleförderung. Im Gegensatz zur AfD positioniert sich diese Partei auch gegen Atomkraft, „weil Atomkraft die deutschen Gene zerstört oder angreift“; ähnlich völkisch argumentiert auch die NPD (seit Juni 2023 Die Heimat).

Für Sahra Wagenknecht und ihre Gefolgsleute sind „die Veränderung des Weltklimas und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ernste Herausforderungen“. Man wolle endlich eine „seriöse“ Klima- und Umweltpolitik machen, ohne die obligatorischen „ideologischen Scheuklappen“. Da ist es wieder, das Paradox: Glaubt man, einen Tatbestand verneinen oder korrigieren zu müssen, wie hier die Scheuklappen der anderen, so ist höchste Vorsicht geboten: Das Gegenteil ist richtig; man trägt selber welche!

So ist es dann nur folgerichtig, dass das BSW – völlig unideologisch versteht sich – behauptet: „Einen Kohleausstieg vor 2038 wird es mit uns nicht geben“, anstatt einen solchen Schritt von der Erfüllung entsprechender sozialökonomischer Bedingungen abhängig zu machen. Auch forderte Wagenknecht allen Ernstes „verbrauchsärmere Verbrenner und intensive Forschung an klimaverträglichen Brennstoffen, statt mit einem Verbrennerverbot ab 2035 technologisches Know-how von 150 Jahren und die Basis unserer wichtigsten Industrie zu zerstören“. Bemerkenswert! Dass die Sorge um Deutschlands wichtigste Industrie, an der Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze hängen, berechtigt ist, zeigt ganz aktuell die Krise beim global operierenden VW-Konzern. Die ist jedoch dadurch hervorgerufen worden, dass am „Know-how von 150 Jahren“ festgehalten wurde, dieses auch noch betrügerisch manipuliert wurde (der Dieselabgas-Skandal mit Kosten von 32 Milliarden Euro, die für die Entwicklung anderer Technologien fehlten) und so der gegenwärtige Trend in der Autoindustrie, nämlich konkurrenzfähige Elektroautos zu produzieren, sträflich vernachlässigt wurde. 2023 hat sich der weltweite Vormarsch der Elektromobilität bei den Pkw-Neuzulassungen fortgesetzt. Mit rund 14,5 Millionen global neu zugelassenen Pkw mit einem elektrischen Antrieb wurde der Vorjahresrekord von 10,5 Millionen. Einheiten deutlich übertroffen. Allerdings hat sich das relative Wachstum, das 2021 noch über 100 Prozent betrug, mit plus 38 Prozent weiter abgeschwächt. Das ist aufgrund der nun erreichten, signifikanten Stückzahlen bei einem Hochlauf einer neuen Antriebstechnik völlig normal. Inzwischen wird nahezu jeder fünfte global verkaufte Pkw elektrisch angetrieben.

Laut BSW ist auch die Erzeugung von 100 Prozent erneuerbarer Energien unmöglich, obwohl zahlreiche Studien und Szenarien das Gegenteil nahelegen. Ist das nicht auch wieder pure Ideologie?

Als „Polarisierungsunternehmer“ bezeichnete der Soziologe Steffen Mau Politiker, die gezielt kontroverse Themen setzen, mit dem Ziel, Menschen zu spalten, auch mit den Thema Klimawandel: „Die allermeisten Leute sagen: Der Klimawandel ist ein Problem. Wir wollen, dass sich da was tut. Sie sind trotzdem skeptisch gegenüber Maßnahmen“, so Mau. Hier setzen die Populisten an. Insbesondere in ländlichen Regionen habe sich eine Ressentimentkultur verfestigt; diese sei nicht von heute auf morgen aufzulösen. „Aber ich glaube, es ist Aufgabe der Politik, damit produktiv umzugehen und das nicht noch mal zu vertiefen“. Diese „produktive“ Bereitschaft sehe ich weder bei der AfD noch beim BSW. Im Gegenteil – die manipulativen „Informationen“ werden weitergehen. Skepsis und Ängste kann man jedoch nicht nur mit Fakten widerlegen; man muss die Gefühle der Menschen ansprechen.