27. Jahrgang | Nummer 13 | 17. Juni 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XX und Schluss)

von Wolfram Adolphi

Kuomintang[Guomindang]-China vor der Kapitulation“: Mit diesem Aufmacher ließ Neues Deutschland schon am 23. Januar 1949 – bis zur Gründung der VR China sollten noch mehr als acht Monate vergehen – keinen Zweifel mehr an der künftigen Entwicklung. „Mao Tse Tungs [Mao Zedongs] Bedingungen angenommen – USA-Regierung gibt keinen Kommentar“ lautete die Unterzeile. Auf Berichte über Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den beiden Bürgerkriegsparteien Guomindang und KPCh folgte ein Auszug aus dem Daily Worker, der Zeitung der KP der USA, wonach „die neue Demokratie in China […] noch nicht sozialistisch“ sei, „da die Verhältnisse die Errichtung einer sozialistischen und völlig geplanten Wirtschaft noch nicht gestatten“. Die „kapitalistischen Unternehmen“ würden sich daher „noch einige Zeit weiter entwickeln, jedoch nicht in der Richtung der Stärkung der bourgeoisen Kräfte, sondern unter Leitung der Klasse der Werktätigen.”

Mit einem (sehr fremd wirkenden und später nicht wieder verwendeten) Porträtfoto und ein paar biografischen Zeilen informierte die Zeitung – wahrscheinlich erstmals auf deutschem Boden – genauer zur Person Mao Zedongs. Geboren 1895 „in einem kleinen Dorf in der Provinz Honan [Henan] als Bauernsohn“, sei er mit 18 Jahren in der „Antimandschu[Antimanzhou]-Revolution“ als „einfacher Soldat“ in den Kampf „gegen die kaiserlichen Truppen“ gezogen und habe dann als Bibliothekar an der Beijing-Universität die „Gelegenheit“ gehabt, „sich mit der europäischen sozialistischen Literatur vertraut zu machen“. 1927 habe er „als Antwort auf das Kommunistenmassaker in Schanghai“ den „berühmten Bauernaufstand von Honan [Henan] [entfesselt]“, 1928 sei er „politischer Kommissar in der 4. chinesischen Befreiungsarmee“ geworden, die „unter dem Oberbefehl seines alten Freundes General Tschu Teh [Zhu De]“ stand, „der heute der Oberbefehlshaber der demokratischen Volksarmee ist“, und 1931 habe man ihn „zum Parteivorsitzenden der KPCh“ gewählt. Seither stehe er im „erbitterten Kampf gegen Tschiangkaischek [Jiang Jieshi]“. Den heute Lesenden fallen eine heftige Vereinfachung (natürlich war die Aufstandsgeschichte 1927/28 sehr viel komplexer und nicht nur Maos Werk) und ein Fehler (Parteivorsitzender wurde Mao erst 1935) ins Auge. Aber gegen das Monster Mao der bürgerlichen und dann auch faschistischen Presse war nun – darin der antifaschistischen Exilpresse folgend – der idealisierte Kampfgefährte gestellt: „Heute ist Mao Tse Tung, dem jeder Luxus und Komfort fremd sind, der geistige Führer der Millionen zählenden demokratischen Volksarmee. Ein Dichter und ein Tatmensch, ein überzeugter Marxist, steht er an der Spitze des Befreiungskrieges gegen das reaktionäre Kuomintang-Regime und seine imperialistischen Hintermänner.“

Am 23. September 1949 erschien Mao im Neuen Deutschland erneut auf der Titelseite, diesmal in der Pose des Kommandeurs im offenen Jeep. „Der Sieger. Mao Tse Tung, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas“ stand unter dem Foto. „Volksrepublik China konstituiert sich. Mao Tse Tung eröffnet erste Plenarsitzung der Konsultativkonferenz / Wahl des Regierungsrates“ war die Überschrift des Aufmachers.

Am 1. Oktober 1949 wurde die Volksrepublik China gegründet, und Neues Deutschland brachte einen Tag später den von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl unterzeichneten Glückwunsch des Parteivorstands der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands „an den Vorsitzenden der KP Chinas Mao Tse Tung“. „Der jahrzehntelange opferreiche und harte Kampf der chinesischen Volksarmee für die Befreiung ihres Vaterlandes“, hieß es da, sei „von den fortschrittlichsten deutschen Menschen stets mit tiefer Bewunderung und Anteilnahme verfolgt“ worden, der „Sieg der gesamtnationalen Einheitsfront des chinesischen Volkes unter der Führung der ruhmreichen Kommunistischen Partei Chinas, der […] durch die Proklamation der Volksrepublik China verkörpert wird“, nehme „in der Geschichte der Menschheit einen Ehrenplatz ein.“

Die Westdeutsche Zeitung. General-Anzeiger für Bonn und Umgebung hatte am 3. Oktober im unteren Teil ihrer Titelseite nur eine kurze Mitteilung der am 18. August 1949 gegründeten westdeutschen Nachrichtenagentur dpa für die Gründung der VR China übrig. „,Volksrepublik China‘. Mit Jägern, Bombern, großer Parade und Feuerwerk“ – so lautete die Überschrift. „Der Führer der chinesischen Kommunisten Mao Tse Tung“, hieß es im Text, „rief in einer Massenkundgebung in Peking [Beijing] die ‚Volksrepublik China‘ aus und gab gleichzeitig die Bildung der kommunistischen Regierung bekannt.“ Der „außenpolitische Sachverständige der chinesischen Kommunisten Tschou en Lai [Zhou Enlai]“ sei „vom ‚Rat der chinesischen Volksregierung‘ zum Ministerpräsidenten und Außenminister […] ernannt“ und „Mao Tse Tung […] zum Vorsitzenden des ‚Volksrevolutionären militärischen Rates‘ gewählt“ worden.

Am 6. Oktober 1949 verbreitete dpa einen Text, der in der Honnefer Volkszeitung unter der Überschrift „Der Kommunist als Erbe des Drachenthrons“ wie folgt zu lesen war: „Der Drachenthron in Peking [Beijing], auf dem einstmals die gewaltigen Herrscher der Mandschu[Manzhou]-Dynastie saßen“, sei „wahrscheinlich längst verbrannt“ und von einem „einfachen Bürostuhl“ ersetzt, „auf dem ein Bauernsohn in anspruchsloser Uniform ohne Abzeichen sitzt.“ Das sei in Chinas Geschichte schon häufig so gewesen: „Während irgendwo in einer Ecke des Landes noch der Herrscher der alten Dynastie in seinem Prunk thronte, hinter dem keine Macht mehr stand“, habe sich „irgendwo anders ein Bauernsohn, von einer Schar Getreuer umgeben, vorläufig niedergelassen und als Frucht langer Kämpfe gegen ein abgewirtschaftetes System ein neues Regime proklamiert.“ Nun hätten sich zwar „die Formen [..] gewandelt“, aber „der Vorgang, der Mao Tse Tung zum Herrscher Chinas machte“, sei „im Wesentlichen der gleiche gewesen.“ Und auch dies gelte wie früher: Mao übernehme „mit dem Staatsakt vor dem Altar des Heiligtums früherer Dynastien auch den Auftrag seiner kaiserlichen Vorgänger: das Reich zu einen.“

Abschließend äußerte sich dpa zur internationalen Anerkennung der VR China: „Der Ostblock – Polen, Ungarn, Tschechoslowakei“ – habe sich „natürlich beeilt, die Regierung Rot-Chinas weisungsgemäß anzuerkennen“; das „USA-Außenministerium“ aber sei „konsequent“ geblieben und habe erklärt, dass es „die eingetroffene Aufforderung Rot-Chinas zur Anerkennung ignorieren werde“. – Die Sowjetunion hatte die Anerkennung bereits am 2. Oktober 1949 vollzogen; die DDR, am 7. Oktober gegründet, sollte am 25. Oktober 1949 nachziehen, die Bundesrepublik Deutschland erst 23 Jahre später, im Oktober 1972.

Anmerkung: Es ist in den 20 Texten dieser Serie verschiedentlich die Vermutung geäußert worden, dass es sich bei diesen und jenen zitierten Textpassagen um Erstmaligkeiten in deutscher Sprache handelt. Der Verfasser, der seine Recherchen hauptsächlich auf die Internetseite https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper [Stand Mitte 2023] stützt, übernimmt dafür keine Garantie. Das Aufdecken von diesbezüglichen Irrtümern ist – wie jede andere Art von Debatte auch – hoch willkommen.