21. Jahrgang | Nummer 7 | 26. März 2018

Fremdkriegseifer

von Erhard Crome

Vor kurzem wurde in den Medien noch orakelt, ob der „irre“ Kim Jong-un und der „wirre“ Donald Trump die Welt in einen Atomkrieg stürzen würden. Inzwischen hat Trump dem Vorschlag zu einem zweiseitigen Spitzentreffen zugestimmt. Verdient das allgemeine Zustimmung?
Zunächst sei an die Geschichte des Konflikts erinnert. Vizepräsident Mike Pence hatte am 17. April 2017 in Korea über den Zaun in Richtung Norden geschaut. Dort ist noch immer Feindesland. Für die Medien-Bilder hatte er, der „Ungediente“, sich extra eine schnittige Militärjacke angezogen. Und gesagt, es sei ein besonderer Anlass für ihn: sein Vater hatte im Koreakrieg (1950-53) gekämpft. Bei einem Treffen mit dem Präsidenten Südkoreas warnte er: „Die Politik der strategischen Geduld“ mit dem Regime im Norden sei vorbei. Die USA würden jeden Angriff „mit einer überwältigenden und effektiven Antwort“ zurückschlagen. Zugleich hatten die USA betont, es sei nicht Absicht der Regierung, einen Regimewechsel in Nordkorea herbeizuführen. Es gehe um die „Denuklearisierung“, die Beseitigung der dortigen Atomwaffen. Frühere US-Präsidenten, auch Barack Obama, hatten stets gefordert: erst Atom-Abrüstung Nordkoreas, dann Verhandlungen. Als seien Verhandlungen eine Gnade der USA, ein Wert an sich, und nicht der beste Weg, um ein politisches Ziel, hier die atomare Abrüstung zu erreichen.
Korea musste sich in den Jahrhunderten seiner Existenz immer wieder der Eroberungsversuche der Kaiser von China und derer von Japan erwehren, geriet Ende des 19. Jahrhunderts unter den Druck der europäischen imperialistischen Mächte und der USA und wurde 1910 japanische Kolonie. Als solche war es wichtiges Hinterland für die imperialistische Expansion Japans in China und im pazifischen Raum. Für die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges hatten die USA und die Sowjetunion vereinbart, dass die Sowjetarmee in den Krieg gegen Japan eintritt und die noch immer über eine halbe Million Mann starke Kwantung-Armee der Japaner zerschlägt, die in der Mandschurei, im Nordosten Chinas, und in Korea stationiert war. Verabredet war auch, dass die Sowjetunion den Norden Koreas besetzt und die USA den Süden. Die Demarkationslinie sollte am 38. Breitengrad liegen. Die Kapitulation Japans am 15. August 1945 war denn auch der Tag der Unabhängigkeit Koreas.
Die nachfolgende Geschichte vollzog sich im Kontext des beginnenden Kalten Krieges. Die Entwicklung im Norden stand unter Führung der Kommunistischen Partei, dann Partei der Arbeit Koreas (PdAK), deren führender Repräsentant Kim Il-sung wurde. Analog den Veränderungen in Osteuropa beziehungsweise im Osten Deutschlands wurden eine Bodenreform durchgeführt, die Industrie, Banken und Verkehrsbetriebe verstaatlicht sowie eine Bildungsreform ermöglicht. Aus Wahlen ging im Norden eine Regierung der PdAK mit Kim Il-sung als Ministerpräsident hervor, die am 8. September 1948 die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KVDR) ausrief. Die USA hatten im Süden Separatwahlen veranstaltet, an denen die linken Parteien nicht teilnahmen; dieser Regierung hatte die USA-Militärverwaltung bereits am 13. August 1948 die Regierungsgeschäfte übergeben. Die Analogien zur Spaltung Deutschlands sind gewiss nicht zufällig.
Der Westen betrachtete Kim Il-sung als kommunistischen Diktator; der Osten Präsident Rhee Syng-man als antikommunistischen Autokraten und Marionette der USA. Beide Regierungen beanspruchten, die rechtmäßige zu sein und das ganze Land zu regieren. Folge war der Koreakrieg. Nach wechselseitigen Grenzverletzungen beider Seiten überschritten nordkoreanische Truppen am 25. Juni 1950 die Demarkationslinie rückten bis an die Südspitze der koreanischen Halbinsel vor. Die USA wollten eine Wiedervereinigung Koreas unter kommunistischer Vorherrschaft nicht dulden und erwirkten eine UNO-Resolution zum militärischen Eingreifen gegen Nordkorea. Die passierte den UN-Sicherheitsrat, weil die UdSSR die Sitzungen zu jener Zeit boykottierte. So landeten Kampftruppen der USA und weiterer Länder unter der UNO-Flagge in Korea, eroberten Seoul zurück, schnitten die Versorgungswege der Truppen der KDVR ab und rückten ihrerseits bis an die chinesische Grenze im Norden vor. Da die Volksrepublik China eine Wiedervereinigung Koreas unter US-amerikanischer Vorherrschaft nicht hinnehmen wollte, entsandte Mao Zedong eine Armee, die die US-Offensive zurückschlug. Am Ende stabilisierte sich die Front wieder in der Nähe des 38. Breitengrades. Der Krieg endete 1953 mit einem Waffenstillstand, der den 38. Breitengrad als Grenze zwischen Nord- und Südkorea festhielt.
Die politische Herrschaft im Norden war seit den 1950er Jahren zunehmend durch einen immer ausgeprägteren Personenkult um Kim Il-sung geprägt. Nach dem Wiederaufbau, der von den damaligen sozialistischen Ländern massiv unterstützt wurde, war Nordkorea bis Ende der 1960er Jahre dem Süden wirtschaftlich überlegen. In Südkorea erzwang die Bevölkerung schrittweise eine Demokratisierung des Landes und die Abschaffung der Militärdiktatur. Die US-Regierung forcierte Industrie und wirtschaftliche Entwicklung, schon um – wieder in Analogie zu Europa – eine Überlegenheit westlicher Wirtschaft und Gesellschaft zu präsentieren. Südkorea ist heute eine der zehn stärksten Wirtschaftsmächte der Welt; Nordkorea dagegen ein vergleichsweise armes Land. Derweil verselbständigte sich in der KDVR die Macht. Kim Il-sung, der 1994 starb, vermochte es, seinen Sohn Kim Jong-il zu seinem Nachfolger zu machen, der bis 2011 regierte und dem wiederum sein Sohn Kim Jong-un folgte.
Der Krieg wurde mit dem Waffenstillstand von Panmunjon, einer Grenzstadt an der Demarkationslinie, vom 27. Juli 1953 beendet. Das Abkommen ist unbefristet; die vertraglich vorgesehene „friedliche Lösung der Koreafrage“ ist nicht erfolgt. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht – das heißt, der Krieg ist ausgesetzt, nicht beendet. Im Süden stehen nicht nur die Truppen Südkoreas (etwa 685.000 Mann), sondern befinden sich auch Stützpunkte und Kampftruppen der USA in Stärke von etwa 30.000 Mann. Nordkorea als inzwischen wirtschaftlich relativ schwaches Land hat eine der größten Armeen der Welt (geschätzt 1,2 Millionen Mann, etwa 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) und unter großen Anstrengungen eigene Raketenwaffen und Atomsprengköpfe entwickelt.
Das hat nichts mit „Wahnsinn“ oder „Aggressivität“ zu tun, sondern ist unter der Wahrnehmungsperspektive der Führung des Landes die Rückversicherung gegen einen neuerlichen Krieg. Die Auswertung der Kriege des Westens gegen Saddam Hussein (Irak) und Muammar al-Gaddafi (Libyen) hat ihr gezeigt, dass der Westen ungestraft nur Länder angreift, die nicht über Atomwaffen verfügen. Es wird also eine dauerhafte Lösung für und mit Nordkorea nur dann geben, wenn das Land verlässliche Friedensgarantien erhält, nicht nur von Seiten Südkoreas sowie Chinas, Russlands und Japans, sondern vor allem von Seiten der USA. Der Schlüssel für die Entschärfung der Koreafrage – und damit auch der Denuklearisierung und Raketenabrüstung auf der koreanischen Halbinsel – liegt nicht in Pjöngjang, sondern in Washington. Und das gilt unabhängig davon, wer die KVDR regiert. Trumps Entscheidung zum Gipfel bricht mit der Praxis seiner Vorgänger und bietet die Möglichkeit einer politischen Lösung.
Wer jedoch glaubt, dies fände auch hierzulande einhellige Zustimmung, irrt gewaltig. So schrieb Stefan Kornelius, der nicht nur Ressortchef Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung ist, sondern als einer der am besten vernetzten „atlantischen“ Meinungsführer in Deutschland gilt, hier walte „das Ego zweier Supermänner mit höheren Absätzen und extralangen Krawatten“. Tatsächlich gehe es aber „um Nuklearwaffen, die größte sicherheitspolitische Bedrohung dieser Zeit, um ein entsetzliches Unrechtsregime, Hungertote, moralische und politische Überlegenheit“. Wer jedoch Verhandlungen von der Position der Überlegenheit aus führen will, und das war die Position des Westens seit Jahrzehnten, der verhindert Gespräche auf Augenhöhe. Und wer die Atomwaffenfrage mit der nach dem Charakter des Regimes verknüpft, will der Sache nach weiter den Regime-Change, dem schon der Korea-Krieg dienen sollte. Die von Kornelius eingeforderte Verknüpfung zielt im Kern auf eine Verhinderung echter Verhandlungen. Das aber hätte eine Fortschreibung der gefährlichen Konstellation auf der koreanischen Halbinsel zur Folge, in der Endkonsequenz auch einen möglichen Krieg. Der mit Atomwaffen ausgetragen würde.
Dass die politische und Medienkaste in Deutschland oft zum Fremdschämen ist, wäre nichts Neues. Dass sie zum Fremdkriegsführen aufruft, dagegen schon. Offenbar gibt es Themen, bei denen Donald Trump alleine klüger ist, als all die Experten der „Atlantik-Brücke“ zusammen.